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Ateliers polnischer Maler in München um 1890

Carl Teufel: Künstleratelier Alfred Wierusz-Kowalski, München 1889. Schwarzweiß-Fotografie vom Glasnegativ, 18 x 24 cm, Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme-Nr.: 121.688, Digitalisierung 2013

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Carl Teufel: Künstleratelier Alfred Wierusz-Kowalski, München 1889. Schwarzweiß-Fotografie vom Glasnegativ, 18 x 24 cm, Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme-Nr.: 121.688, Digitalisierung 2013
Carl Teufel: Künstleratelier Alfred Wierusz-Kowalski, München 1889. Schwarzweiß-Fotografie vom Glasnegativ, 18 x 24 cm, Bildarchiv Foto Marburg, Aufnahme-Nr.: 121.688, Digitalisierung 2013

Die Dekorationen der Münchner Künstlerateliers zielten jedoch nicht nur auf das eingeweihte ortsansässige Publikum ab, sondern auch auf Touristen, auswärtige Sammler und potentielle Käufer und gehörten geradezu zum Geschäftsmodell der Künstler. Lenbach öffnete sein Atelier vor allem für durchreisende Aristokraten, Kaulbach zeigte seine Sammlung an italienischer Renaissancemalerei zu festen Öffnungszeiten. Münchner Adressbücher verzeichneten seit dem Ende der 1870er-Jahre in einer eigenen Rubrik die Adressen der Künstlerateliers mit dem Fach der jeweiligen Maler und den Öffnungszeiten. Englischsprachige Reiseführer für München wiesen in den 1880er‑ und 90er­­­‑Jahren eigens auf das Atelier des polnischen Schlachtenmalers von Brandt hin, „eines besonders erfolgreichen Meisters des exotischen Genres und Inhabers eines außergewöhnlichen Schauateliers“.[49] Nach dem Vorbild der Kostümfeste, die Makart in seinem großen Wiener Atelier feierte und zu denen dieser die Vorlagen für die historischen Kostüme lieferte,[50] feierte man 1876 in München das Faschingsfest der Münchner Künstler unter dem Motto „Ein Hoffest Karls V.“, an dem auch Makart und Mitglieder des bayerischen Königshauses teilnahmen. Dabei kamen Requisiten aus Brandts Atelier zum Einsatz, der eine türkische Truppe mit Kostümen ausgestattet hatte und damit für eine Sensation sorgte.[51]

Die Auflistung der Künstlerateliers in den Münchner Stadtführern und in der internationalen Presse als Sehenswürdigkeiten, die man bei einem München-Besuch nicht auslassen durfte, führte bereits Mitte der 1870er-Jahre zu Besucherströmen, die manche Künstler veranlasste, nur noch auf Anfrage zu öffnen oder das Atelier gleich ganz abzuschließen.[52] Brandts Atelier diente vor allem als Treffpunkt der polnischen Künstlergemeinde. Zu seinem Kreis gehörten verteilt über rund fünfzig Jahre Ludwik Kurella (in München 1861-97), Henryk Redlich (1863-69), natürlich Szerner (1865-1915) und Ajdukiewicz (1873-75), Maksymilian (1867-74) und Aleksander Gierymski (1868-97), Stanisław Szembek (1868-71), Ludomir Benedyktowicz (1868-72), Władysław Czachórski (1868-1911), Franciszek Streitt (1871-90), Antoni Kozakiewicz (1871-1900), Henryk Piątkowski (1872-75), Jan Rosen (1872-95), Jan Chełmiński (1873-76), Alfred Wierusz-Kowalski (1873-1915), Julian Fałat (1875-81), Franciszek Ejsmond (1879-94), Bohdan Kleczyński (1882-88), Szymon Buchbinder (1883-97), Apoloniusz Kędzierski (1886-89), Olga Boznańska (1886-98) und viele andere.[53]

Die Künstler lebten alle in denselben Straßen in der Ludwigs- und der Maxvorstadt und in Schwabing. Ihre Malstudios hatten sie an der Akademie, in ihren Wohnungen oder in nur mit Ateliers belegten Rückgebäuden dieser Straßen. Sie studierten und arbeiteten gemeinsam, trafen sich zum Essen und spazierten am späten Nachmittag mit ihrem Lehrer Franz Adam ins Café Tambosi am Odeonsplatz zum Rauchen und zum Billardspiel. „Abends gehen wir unserer Wege“, erinnerte sich Juliusz Kossak an seine Münchner Zeit 1868/69, „die einen zum Zeichnen in die Akademie, die anderen nach Hause zum Abendessen oder Tee, meistens zu Brandt, wo der Flügel bearbeitet wird, Gierymski spielt, Brandt singt und Redlich auf den Arm genommen wird.“[54] In Brandts Atelier in der Schwanthalerstraße 19 wurde 1876 gemeinsam das „Album polnischer Maler/Album malarzy polskich“ vorbereitet,[55] das die Kunst der Münchner Gruppe verbreiten sollte. Es enthält Reproduktionen und Beschreibungen zu Werken von Brandt, Chełmiński, (Wierusz-)Kowalski, Kozakiewicz, Ludwik Kurella (1834-1902)[56], Piątkowski, Streitt, Aleksander Świeszewski (1839-1895), Szerner und Roman Szwoynicki (1845-1915) und erschien noch im selben Jahr im Verlag von Józef Unger in Warschau. (siehe PDF)

Seit Brandts Heirat mit Helena Pruszak 1877, die zwei Kinder mit in die Ehe brachte, verlagerte sich das gesellschaftliche Leben zumindest teilweise in die Privatwohnung des Ehepaars, das noch zwei gemeinsame Töchter bekam. Einer der Paten wurde Prinz Luitpold von Bayern. Die Familie lebte im ersten Stock eines Mietshauses in der Barerstraße in der Maxvorstadt in Sichtweise zur Neuen Pinakothek[57] und führte ein offenes Haus, in dem Freunde und Bekannte aus der polnischen Künstlerkolonie und der Münchner Gesellschaft gern gesehene Gäste waren. Im Atelier in der Schwanthalerstraße ließ Szerner die Besucher zur Besichtigung ein. Die polnische Malerin Anna Bilińska (1857-1893) berichtete anlässlich einer München-Reise 1882 von einem Besuch im Atelier: Brandt wäre ewig nicht zugegen gewesen, aber Szerner habe ihr und ihren Begleitern erlaubt, die Räume zu besichtigen. Szerners Steifheit habe sie geradezu gefrieren lassen, „mrozi nas sztywność jakaś.“[58] Dass Brandt sein museales Atelier auch über viele Jahre hinweg keineswegs vernachlässigte, belegen die 1889 entstandenen Fotografien von Teufel.

 

[49] Langer 1992, Seite 56

[50] Doris H. Lehmann: Künstlerfeste, in: Malerfürsten 2018, Seite 233-235

[51] Bagińska 2015, Seite 45

[52] Langer 1992, Seite 56 f.

[53] Ausführliche Biografien der wichtigsten polnischen Künstler in München sind auf diesem Portal über die Link-Liste „Münchner Schule 1828-1914“ abrufbar, https://www.porta-polonica.de/de/lexikon/muenchner-schule-1828-1914

[54] Ptaszyńska 2008, Seite XIII

[55] Bagińska 2015, Seite 45

[56] Ausführliche Biografie in der Encyclopaedia Polonica, https://www.porta-polonica.de/de/lexikon/kurella-ludwik

[57] Adressbuch von München für das Jahr 1885, I. Teil, Seite 58: „Brandt, Jos. v. k. Prof. Historien- u. Schlachtenmal. Ehrenmitgl. d. Akadem. Barerstr. 31/1.“

[58] Bagińska 2015, Seite 44