Menu toggle
Navigation

Danuta Karsten – „In meinen Arbeiten wird der Raum materialisiert“

Ohne Titel, 1997. Kartoffelstärke, Nessel, Pigment, Metall, H = 250 cm, B = 600 cm, T = 100 cm, Kunsthaus Essen (Ausstellung Danuta Karsten. Räume)

Mediathek Sorted

Mediathek
  • Abb. 1: Ohne Titel, 1997 - Ohne Titel, 1997. Kartoffelstärke, Nessel, Pigment, Metall, H = 250 cm, B = 600 cm, T = 100 cm,  Kunsthaus Essen (Ausstellung Danuta Karsten. Räume)
  • Abb. 2a: Ohne Titel, 1998 - Ohne Titel, 1998. Handgegossene Wasserglaslinsen, Pappringe, Stahlseile, Haken, B = 800 cm, L = 1900 cm, Museum Ostdeutsche Galerie, Regensburg
  • Abb. 2b: Ohne Titel, 1998 - Ohne Titel, 1998. Handgegossene Wasserglaslinsen, Pappringe, Stahlseile, Haken, B = 800 cm, L = 1900 cm, Museum Ostdeutsche Galerie, Regensburg
  • Abb. 3: Ohne Titel, 1999 - Ohne Titel, 1999. Luftpolster aus Folie, H = 360 cm, ∅ = 600 cm, Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg
  • Abb. 4: Kleider, 2001 - Kleider, 2001. (1) Hanf, Stoff, (2) Metallwolle, Stoff, (3) Sisal, Stoff, (4) Kunststoff, Stoff, jeweils H = 300 cm,  ∅ = 400 cm, Stadtmuseum Hattingen
  • Abb. 5a: Ohne Titel, 2001 - Ohne Titel, 2001. Papier, Holzleim, Aluprofil, L = 2000 cm, B = 580 cm, H = 660 cm, Museum Bochum (Ausstellung Danuta Karsten. Rauminstallationen; Installation 1)
  • Abb. 5b: Ohne Titel, 2001 - Ohne Titel, 2001. Papier, Holzleim, Aluprofil, L = 2000 cm, B = 580 cm, H = 660 cm, Museum Bochum (Ausstellung Danuta Karsten. Rauminstallationen; Installation 1)
  • Abb. 6: Ohne Titel, 2003 - Ohne Titel, 2003. 80 Leitern, 1000 cm lang aus ca. 60.000 Zündholzstäbchen ohne Kopf, jeweils 43 x 2 x 2 mm, weißer Zwirn, Holzleim, Kunstverein ArtHaus e.V., Ahaus
  • Abb. 7: Papierraum, 2005 - Papierraum, 2005. Ca. 4000 handgeschnittene Papierspiralen, H = 368 cm, B = 600 cm, T = 1400 cm, Studio A. Museum gegenstandsfreier Kunst, Otterndorf
  • Abb. 8a: Ohne Titel, 2006 (innen) - Ohne Titel, 2006. (innen:) 32 transparente Folien, Handzeichnung mit Lackstift, jeweils 280 x 120 cm, Galerie im Schloss Borbeck, Essen
  • Abb. 8b: Ohne Titel, 2006 (außen) - Ohne Titel, 2006. (außen:) Blumenrondell vor dem Schloss, bespannt mit ca. 20.000 cm weißem Kunststoffband, ∅ = 1300 cm, Galerie im Schloss Borbeck, Essen
  • Abb. 9: Seife, 2007 - Seife, 2007. Ca. 9000 Stück Kernseife, H = 3,5 cm, B = 629 cm, T = 800 cm, Centrum Sztuki Współczesnej Kronika, Bytom (Ausstellung Space as the place 2)
  • Abb. 10: Oben, 2009 - Oben, 2009. Latex, H = 200 cm, B= 1400 cm, T = 700 cm, Erich-Brost-Pavillon, Zeche Zollverein, Essen (Ausstellung Danuta Karsten. Oben)
  • Abb. 11: Lichtatem, 2010 - Lichtatem, 2010. 250 Stück PVC-Folie, genäht, jeweils 50 x 50 x 110 cm, Zeche Zollverein, Essen (Europäische Kulturhauptstadt Ruhr)
  • Abb. 12: Ohne Titel, 2012 - Ohne Titel, 2012. PVC-Folie, Acrylfarben, H = 550 cm, B = 1300 cm, T = 2000 cm, Flottmann-Hallen, Herne (1. Preis der Auswahl 2012. Herner Künstlerinnen und Künstler)
  • Abb. 13a: Ohne Titel, 2012 - Ohne Titel, 2012. Papier, Nylonschnur, Klebstoff, ca. 66.000 Papierkärtchen, jeweils 2 x 7 cm, H = 700 cm, B = 800 cm, T = 800 cm, Atrium im Dominohaus, Reutlingen
  • Abb. 13b: Ohne Titel, 2012 - Ohne Titel, 2012. Papier, Nylonschnur, Klebstoff, ca. 66.000 Papierkärtchen, jeweils 2 x 7 cm, H = 700 cm, B = 800 cm, T = 800 cm, Atrium im Dominohaus, Reutlingen
  • Abb. 14a: 100 Kilometer, 2013 - 100 Kilometer, 2013. Kunststoffbänder, Metall, B = 1250 cm,  H = 1300 cm,  T = 3000 cm, Kunstkirche Christ-König, Bochum (Ausstellung Danuta Karsten. 100 Kilometer)
  • Abb. 14b: 100 Kilometer, 2013 - 100 Kilometer, 2013. Kunststoffbänder, Metall, B = 1250 cm,  H = 1300 cm,  T = 3000 cm, Kunstkirche Christ-König, Bochum (Ausstellung Danuta Karsten. 100 Kilometer)
  • Abb. 15: Stadtkuppel, 2013 - Stadtkuppel, 2013. Stahl, feuerverzinkt, Farbanstrich, Stahlprofile 20 x 4 x 0,4 cm, ∅ = 1200 cm, H = 600 cm, Recklinghausen, Kreisverkehr Hertener Straße/Tiefer Pfad
Ohne Titel, 1997. Kartoffelstärke, Nessel, Pigment, Metall, H = 250 cm, B = 600 cm, T = 100 cm,  Kunsthaus Essen (Ausstellung Danuta Karsten. Räume)
Ohne Titel, 1997. Kartoffelstärke, Nessel, Pigment, Metall, H = 250 cm, B = 600 cm, T = 100 cm, Kunsthaus Essen (Ausstellung Danuta Karsten. Räume)

Für die St.-Johannes-Kirche in Recklinghausen schafft die Künstlerin 1996 ein dreistöckiges Metallobjekt, in dem Linsen aus Wasserglas hängen[8] - ein glasartiges Material, das unter der Wirkung von Luftfeuchtigkeit unsichtbar zu fließen beginnt. 1998 entwickelt sie anlässlich der Ausstellung im Museum Ostdeutsche Galerie in Regensburg aus einem ähnlichen Modul, einer in einem Pappring handgegossenen Wasserglaslinse, eine Zwischendecke im zweigeschossigen Graphiksaal des Museums aus rund 1.400 an Drahtseilen verspannten Linsen. Hierdurch definiert sie den ursprünglichen Raum neu, der jetzt vom Betrachter aus beiden Geschossen unterschiedlich erlebt werden kann (Abb. 2 a, b). In der Galerie Koło in Danzig lässt sie dann dem Fließen des Materials unter dem Einfluss der natürlichen Luftfeuchtigkeit freien Lauf, bis das Wasserglas aus zwei Metern Höhe den Fußboden erreicht.[9] Zeit ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Installationen, denn während der Vorbereitung vergehen Wochen und Monate, die die Künstlerin für die Analyse des Raums und die Anfertigung häufig Tausender von Modulen aufwendet. Für die Installation der Ausstellung „Papier bewegt“ 2012 in Reutlingen schneidet sie 66.000 Papierblättchen mit der Hand (Abb. 13). Zeit braucht das Material, um sich in eine bestimmte Form zu bewegen. Eine bestimmte Zeitdauer benötigt der Betrachter, um das räumliche Geschehen aus verschiedenen Perspektiven und Blickwinkeln zu erfassen. Er  muss „in den Dialog seine eigene Zeit einbringen und in ihr über das Gesehene und Erfahrene nachdenken.“[10]

Ebenfalls kennzeichnend für ihre Installationen ist ein starkes graphisches Element, das auf ein frühes Anliegen der Künstlerin, nämlich „im Raum zeichnen zu wollen“,[11] zurückgeht und das Kommentatoren ihres Werks mehrfach bestätigt haben.[12] Die im Museum Bochum 2001 installierte, 120 Quadratmeter große geschwungene Papierfläche aus dünnen zusammengeleimten Streifen „ist eine solche Zeichnung im Raum“[13] (Abb. 5 a, b). Diese Charakterisierung trifft auch auf die zweite dort gezeigte Installation aus von der Decke herabhängenden Papiergirlanden zu,[14] ebenso auf den 2005 in Otterndorf zu sehenden „Papierraum“ aus viertausend handgeschnittenen Papierspiralen (Abb. 7). Sie gilt erst recht für die aus jeder Perspektive graphisch wirkende Installation mit 60.000 Zündhölzchen im zehn Meter hohen Treppenhaus des Kunstvereins in Ahaus (Abb. 6).[15]

„Eine intensive Beziehung zur freien Linie“[16] vertritt die Künstlerin auch in Arbeiten, bei denen sie mit straff gespannten Bändern arbeitet wie in der Außeninstallation über dem Blumenrondell vor Schloss Borbeck in Essen 2006 (Abb. 8 b) oder in der überwältigend als Linienzeichnung wirkenden Installation in der Kunstkirche Christ-König 2013 in Bochum (Abb. 14), für die sie „100 Kilometer“ an Kunststoffbändern verarbeitet. Zeichnungen im Raum entstehen aber auch, wenn sie geometrische Figuren mit Lackstift (Abb. 8 a) oder Acrylfarben auf hängende Kunststofffolien überträgt, zwischen denen sich die Besucher die Installation erwandern. Dabei wiederholen die schwarzen, weißen, blauen und grünen Linien der Installation in den Flottmann-Hallen in Herne 2012 die Reste der ehemaligen Spielfeldmarkierungen des Hallenfußbodens (Abb. 12) und übertragen diese ein weiteres Mal in den Raum. Zeichnung im Raum ist auch das Liniennetz, das Karsten der „Stadtkuppel“ im Hertener Kreisverkehr 2013 zugrunde legt und das vom Straßenplan der dortigen Altstadt abgeleitet ist (Abb. 15).

Licht und Bewegung bestimmen das Erscheinungsbild der Installationen. Nicht nur die weißen und durchscheinenden Werkstoffe, auch die hohe Anzahl an Modulen und deren räumliche Ausrichtung bewirken Brechungen des Lichts. Bewegung entsteht vor allem bei hängenden oder verspannten Arbeiten durch jeden Lufthauch. Dies gilt für Arbeiten in kleinerem Maßstab wie bei den Luftpolsterwänden im Museumsfoyer in Regensburg 1999 (Abb. 3), wo das Öffnen der Außentür die Wirkung der Installation durch Zugwind und Lichteinfall ständig verändert. Licht und Bewegung konstituieren in besonderem Maße große Arbeiten wie die aus Papierkärtchen an 1.406 Nylonschnüren im Atrium des Dominohauses in Reutlingen 2012 (Abb. 13), die als „gigantische Wolke“ und „in Abhängigkeit von Tageslicht, Sonnenstand oder nächtlichem Kunstlicht“ als „Erlebnis von unbeschreiblicher Vielfalt“ beschrieben wird und Assoziationen an gigantische Schwärme, Eiskristalle und Schneeflocken auslöst.[17] In der Kunstkirche Christ-König 2013 in Bochum (Abb. 14) werden die Besucher „Zeuge eines einzigartigen Naturschauspiels […] wenn das Sonnenlicht über die Installation streift, um […] optische Sensationen zu zaubern“.[18] In den Bodeninstallationen aus Kernseife (Abb. 9), erstmals 2007 in der Galerie Łaznia in Danzig gezeigt[19] und von der ursprünglichen Funktion des Gebäudes als öffentliches Badehaus inspiriert, wird zusätzlich der Geruchssinn der Besucher aktiviert.

Kunsthistorische Rückbezüge zu den weißen und an der Oberfläche vibrierenden Objekten von Karstens Akademielehrer Günther Uecker, zu den mit Licht und kinetischen Effekten arbeitenden Werken der Gruppe „Zero“, der Uecker seit 1961 angehört hat, oder zu den der Op Art nahestehenden „Vibrationsbildern“ von Jesús Rafael Soto drängen sich auf. Danuta Karstens Installationen sind jedoch Aufführungen, szenographische Darbietungen,[20] in denen die Architektur die Bühne bildet[21] und das Licht und schließlich auch der Geruch als immaterielle Materialien des Werks[22] fungieren. Mehrzweckhallen transformiert sie zu sakralen Räumen.[23] In Sakralräumen verstärkt sie das Gefühl für Transzendenz, Spiritualität[24] und die geistige Anwesenheit des Mythos.[25] Inspiriert wird die Künstlerin von historischen Räumen, deren Ausstrahlung und Geschichte sie in ihren Installationen materialisiert.[26]

 

Axel Feuß, Mai 2015

 

Literatur:

Danuta Karsten. Räume, Ausst.-Kat. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte (anläßlich der Vergabe des Kulturförderstipendiums der westfälischen Wirtschaft 1997), Münster 1997

Lovis-Corinth-Preis 1998. Sonderpreis. Danuta Karsten, Ausst.-Kat. Künstlergilde / Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Esslingen am Neckar 1998

Danuta Karsten. Rauminstallationen, Ausst.-Kat. Museum Bochum [2001]

Danuta Karsten. Neue Orte, Ausst.-Kat. Galerie im Schloss Borbeck, Essen 2006

Auswahl 2012. Danuta Karsten, Ausst.-Kat. anlässlich der Ausstellung Auswahl 2012. Herner Künstlerinnen und Künstler, Flottmann-Hallen, Herne 2012

Danuta Karsten. „Papier bewegt“, Ausst.-Kat. DominoArt, Atrium im Dominohaus, Reutlingen 2012

Danuta Karsten, Bönen 2012

Danuta Karsten. 100 Kilometer, Dortmund 2014

[8] Abbildung bei Barski 1998 (s. Anm. 3), S. 83

[9] Abbildungen im Katalog Bochum 2001, S. 30 f.

[10] Dieter Ronte: Danuta Karsten oder von der Erfahrbarkeit der Wirksamkeit [energeia], in: Danuta Karsten, Bönen 2012, S. 6

[11] Jacek Barski 1998 (s. Anm. 3), S. 73

[12] Sepp Hiekisch-Picard: In den Raum gezeichnet, in: Katalog Bochum 2001, S. 11-13; Inge Ludescher: Zeichnung und Raum, in: Katalog Essen 2006, S. 9-11

[13] Sepp Hiekisch-Picard 2001 (s. Anm. 12), S. 12

[14] Abbildung im Katalog Bochum 2001, S. 23

[15] Zahlreiche weitere Abbildungen im Katalog Essen 2006, S. 28-33.

[16] Ferdinand Ullrich: Über einige Grundzüge im Werk von Danuta Karsten, in: Katalog Bochum 2001, S. 7

[17] Wolfgang Riehle: Zur Eröffnung „Papier bewegt“, in: Katalog Reutlingen 2012, S. 3, 6

[18] Elisabeth Kessler-Slotha, in: Katalog Dortmund 2014, 2. Seite

[19] Abbildungen in: Danuta Karsten, Bönen 2012, S. 30-32; erneut in der Installation „Saubere Sache“ in der Galerie Idelmann, Gelsenkirchen 2010, Abbildung ebd., S. 83-85

[20] Jacek Barski 1998 (s. Anm. 3), S. 75

[21] Elisabeth Kessler-Slotha 2014 (s. Anm. 18), 1. Seite

[22] Ferdinand Ullrich: Ein Kubus in einem Kubus, in: Katalog Reutlingen 2012, S. 12

[23] Falko Herlemann: Die Auflösung des Raums, in: Katalog Auswahl, Herne 2012, S. 4

[24] Elisabeth Kessler-Slotha 2014 (s. Anm. 18), 4. Seite

[25] Andreas Steffens: Das Erbe der Kathedralen oder das Licht der Welt, in: Katalog Dortmund 2014, 6. Seite

[26] „Ich schaue mir Architektur an, ich sauge auf, was sie sagt. Umgebung, Geschichte, all diese Aspekte wirken auf mich … Es sind Bestandteile meiner Arbeiten. Ich mag neutrale Räumlichkeiten überhaupt nicht.“ Danuta Karsten im Interview 2007 (Bönen 2012, s. Anm. 1, S. 41)