Die Polnische Buchhandlung in West-Berlin

Das Interieur der Polnischen Buchhandlung in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Das Interieur der Polnischen Buchhandlung in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Die Gründung der Polnischen Buchhandlung geschah einerseits aus purem Zufall, andererseits verdankte sie sich den Bemühungen einer Gruppe von Enthusiasten unter den polnischen Migranten in West-Berlin. Der Philologe und Bibliothekar Wojciech Drozdek, der erst als Mitbegründer und später als Betreiber der Buchhandlung dabei gewesen ist, äußert sich zu diesen Anfängen wie folgt: „In dieser Zeit weilten auf Einladung des DAAD Adam Zagajewski und Ryszard Krynicki in West-Berlin. Die Zusammenkunft mit ihnen wurde von der damals wichtigsten Buchhandlung, der Knesebeck Elf, organisiert. Vor Ort gab es Gedichtbände beider Autoren, die von der Pariser ‚Kultura‘ herausgegeben worden waren. Gemeinsam mit meinem Bekannten dachten wir uns, wenn die es schaffen, diese Publikationen einzuführen, warum sollte uns das nicht auch gelingen?“

Für die Umsetzung dieser Idee brauchte es noch einen Ort. Ausgerechnet in diesem Oktober 1979 eröffnete der deutsche Buchhändler Thomas Stodieck in Charlottenburg seine Buchhandlung an der Richard-Wagner-Straße 39, in deren Räumen es eine bescheidene Ecke mit Veröffentlichungen polnischer Autoren gab. Im Laufe der Zeit entwickelte sich hieraus eine Polnische Buchhandlung im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Jahr 1981, in dem am 13. Dezember das „Kriegsrecht“ ausgerufen wurde, war für die Polnische Buchhandlung das Jahr des Durchbruchs. Dieser Tag leitete einen wahren Exodus aus Polen ein. Während des anderthalb Jahre dauernden Ausnahmezustands waren die damaligen Machthaber darum bemüht, die als Unruhestifter stigmatisierten Oppositionellen loszuwerden, so dass viele dieser Menschen Polen verließen. Obwohl mit der Einführung des „Kriegsrechts“ auch die Grenzen geschlossen wurden, begann bereits im März 1982 eine groß angelegte Aktion gegen die Aktivisten der Opposition, die schließlich aus den Gefängnissen und Internierungseinrichtungen entlassen sowie zum Verlassen des Landes gezwungen wurden.[1] Viele von ihnen reisten damals nach West-Berlin aus.

Die angespannte politische Situation in Polen löste in der Bundesrepublik starkes Interesse an dem Land an der Weichsel aus. Westliche Medien berichteten ausführlich über die Ereignisse in Polen, während die deutsche Bevölkerung und die deutschen Wohltätigkeitsorganisationen hoch engagiert humanitäre Hilfe leisteten. Dieses gesteigerte Interesse war auch in der Polnischen Buchhandlung zu spüren. „Es war ein Ort, an dem man seine intellektuellen und kulturellen Bedürfnisse befriedigen konnte, ein Treffpunkt, zu dem man kommen und an dem man sich aufhalten konnte. Es war aber auch ein Ort politischer Aktivitäten“ - erinnert sich Barbara Drozdek, ihres Zeichens Mitbegründerin der Arbeitsgruppe Solidarność, der ersten westdeutschen Organisation, die der Solidarność-Bewegung freundlich gesonnen war.

Damals wurde die Buchhandlung rasch zu einem Unterstützungszentrum für polnische Oppositionelle. Von hier aus wurden Untergrundschriften in beide Richtungen geschleust. Publikationen in Miniaturformat gelangten mit Medikamentenlieferungen und Lebensmitteltransporten nach Polen. Die Buchhändler wiederum erwarben von den nach Berlin kommenden Polen Schallplatten, Bücher und Musikkassetten und baten diese, bei nächster Gelegenheit die in Polen erscheinenden, unabhängigen Publikationen mitzubringen. Aus den Verkaufserlösen finanzierte die Buchhandlung Projekte in Polen mit, deren Schirmherrschaft sie übernahm; seit 1985 profitierte davon vor allem der Verlag Pusty Obłok/Przedświt.[2] Bei alledem entging das Interesse an der Buchhandlung, sowohl der Deutschen als auch der Polen, der Polnischen Militärmission (Polska Misja Wojskowa) in Berlin nicht, zu der unter anderem auch Nachrichtendienste und Spionageabwehr gehörten. Im Archiv des Instituts für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej) finden sich zum Beispiel Vermerke über versuchte Kontaktaufnahmen mit dem polnischen Buchhändler und eine detaillierte Skizze der Buchhandlung. Wojciech Drozdek erinnert sich an den Besuch zweier Agenten, der kurz nach der Eröffnung der Buchhandlung 1980 stattgefunden hat: „Es waren Leute aus der Militärmission oder aus der Botschaft – ganz genau weiß ich das nicht. Sie sagten, unsere Geschäftstätigkeit wäre mit dem Status West-Berlin unvereinbar und sie würden es den Amerikanern melden, falls wir die polnischen Bücher nicht aus dem Verkauf nähmen. Ich sagte ihnen, dass es in Deutschland keine Zensur gäbe und wir uns außerdem hier in Charlottenburg befänden, also in der britischen und nicht in der amerikanischen Zone. Man versuchte offenbar, uns einzuschüchtern.“ 

Die Agenten, die damals spöttisch als „Missionare“ bezeichnete wurden, zählten zu den regelmäßigen Besuchern der Buchhandlung, auch der Autorenabende, die es häufig gab. Schriftsteller und Künstler wie Adam Zagajewski, Tomasz Jastrun, Krystyna Zachwatowicz, Zdzisław Jaskuła, Andrzej Wajda und viele andere kamen hier mit ihren Lesern zusammen. Ihre Reisekosten und Unterbringung in Berlin wurden oft vom Eigentümer der Buchhandlung, Thomas Stodieck, finanziert. Mitte der 80er Jahre wurde die Buchhandlung, die weiterhin Bücher verkaufte und ihre politischen Aktivitäten pflegte, zum Sitz des von Wojciech Drozdek gegründeten Verlags Veto, in dem unter anderem Vaclav Havels „Siła bezsilnych“ (dt. Die Macht der Machtlosen) oder Tomasz Jastruns „Notatnik amerykański“ (Amerikanisches Tagebuch) erschienen.

Die Buchhandlung von Thomas Stodieck in der Richard-Wagner-Straße in Berlin Charlottenburg besteht heute noch. Sie beging im November 2019 ihr vierzigjähriges Jubiläum. Die in ihren Räumen betriebene Polnische Buchhandlung wurde jedoch bereits 1990 geschlossen. Der Sturz des Kommunismus in Polen, der Fall der Berliner Mauer und der Zerfall der bisherigen Weltordnung haben dazu geführt, dass die Ziele, die sich die Buchhändler gesetzt haben, erreicht wurden. Die Zensur in Polen wurde aufgehoben und Bücher sind jederzeit problemlos zu haben. Was von der Polnischen Buchhandlung blieb, sind die dort veröffentlichten Bücher und die wehmütige Erinnerung an diese in Vergessenheit geratene polnische Einrichtung in West-Berlin. 

 

Monika Stefanek, Februar 2020

 

[1]  G. Wołk, Uchodźcy Jaruzelskiego, [auf:] Dzieje.pl, https://dzieje.pl/artykuly-historyczne/uchodzcy-jaruzelskiego (aufgerufen am 07.02.2020).

[2]  Marian Stefanowski, Für Solidarność. Hinter der Mauer - Fotografien / Solidarni zza Muru. Fotografie, [Ausstellung], Berlin - Warszawa 2014.

 

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  • Das Interieur der Polnischen Buchhandlung

    Das Interieur der Polnischen Buchhandlung in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.
  • Das Interieur der Polnischen Buchhandlung

    Das Interieur der Polnischen Buchhandlung in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts.
  • Die Kinder- und Jugend-buchabteilung

    Die Kinder- und Jugendbuchabteilung der Polnischen Buchhandlung, 80er Jahre des 20. Jahrhunderts.
  • Lesung mit dem Dichter und Oppositionellen Zdzisław Jaskuła

    Lesung mit dem Dichter und Oppositionellen Zdzisław Jaskuła, 1984.
  • Autorenabend mit Adam Zagajewski

    Autorenabend mit Adam Zagajewski, 1985.
  • Der „Veto“-Verlag in einer Ausstellung

    Der „Veto“-Verlag in einer Ausstellung der Akademie der Künste Berlin.
  • Barbara Nowakowska-Drozdek und Zbigniew Dominiak (1947-2002)

    arbara Nowakowska-Drozdek und Zbigniew Dominiak (1947-2002), Dichter und Herausgeber der Vierteljahresschrift „Tygiel“, in der Polnischen Buchhandlung, 1988.
  • Vierzigjähriges Jubiläum von Stodieck´s Buchhandlung

    Wojciech Drozdek (links) und Thomas Stodieck bei der Feier zum vierzigjährigen Jubiläum von Stodieck´s Buchhandlung, November 2019.