Dom Polski in Allenstein (Olsztyn)

Daraufhin enthob die interalliierte Kommission den Bürgermeister von Allenstein, Georg Zülch, seines Amtes, da er sich weigerte, sich beim polnischen Konsulat zu entschuldigen. In den Wochen vor dem Plebiszit verstärkten beide Seiten ihre Aktivitäten, und die Wahlbezirke wurden mit Plakaten und Flugblättern, patriotischen Feiern, Konzerten und Kundgebungen geradezu überschwemmt. Die polnischen Aktivitäten wurden aus dem Haus an der Bahnhofstraße geplant und koordiniert. Die 2. Polnische Republik führte aber gleichzeitig einen blutigen Krieg gegen die Sowjetunion, die Unterstützung des Plebiszits musste im Angesicht der Kriegslage zurückstehen: Im Mai 1920 hatte die Rote Armee in der Nähe von Kiew eine Offensive gestartet, Anfang Juni befanden sich die polnischen Truppen auf dem Rückzug. Es sah nicht gut aus für den neuen polnischen Staat. Je näher das Datum der Abstimmung rückte, desto hektischer wurde die Lage. Am 2. Juli berichtet die Ermländische Zeitung, dass eine Gruppe nationalistischer Deutscher gewaltsam das Haus an der Bahnhofstraße betrat, dort aber zusammengeschlagen und in einen Raum gesperrt wurden. Erneut versammelte sich eine große Menschenmenge vor dem Haus und verlangte die Herausgabe der „Gefangenen“. Bald standen sich Truppen der deutschen Reichswehr, der neugegründeten Armee der Weimarer Republik und britische Truppen mit aufgesetzten Bajonetten gegenüber. Während einige britische Soldaten das Gebäude betraten, drohten die deutschen Truppen damit, Maschinengewehre in Stellung zu bringen. Einige Polen erschienen am Fenster und riefen laut der Ermländischen Zeitung heraus: „Ihr habt nicht einmal Maschinengewehre!“. Die blutüberströmten „Gefangenen“ wurden schließlich von den Briten aus dem Gebäude eskortiert. All diese Eskalationen führten dazu, dass das Haus bald von einer Stacheldrahtsperre umgeben war und von Militärposten bewacht wurde.
All den Aktivitäten des polnischen Komitees und der polnischen Aktivisten zum Trotz blieb das Ergebnis der Volksabstimmung eindeutig: Bei einer Wahlbeteiligung von rund 87 % stimmten 363.209 Wähler (97,86 %) für den Verbleib bei Ostpreußen und 7.924 (2,11 %) für einen Anschluss an Polen. Das jetzt als „Dom Polski“, polnisches Haus, bekannt gewordene Gebäude blieb aber ein Zentrum polnischer Aktivitäten in Allenstein/Olsztyn und dem Ermland, die sich jetzt vom politischen in den kulturellen Bereich verlagerten. Das Konsulat der 2. polnischen Republik zog 1923 in ein eigens dafür vorgesehenes Gebäude auf der Kaiserstraße (heute Ulica Dąbrowszczaków) und dann an den Friedrich-Wilhelm-Platz, heute der pl. Konsulatu Polskiego (Platz des polnischen Konsulates). Im Dom Polski hingegen befanden sich ab 1923 die örtliche Zentrale des 1922 gegründeten Bundes der Polen in Deutschland, ein polnischer Kindergarten und Schule, eine polnische Bibliothek mit Lesesaal, die Pfadfindergruppe der Region Ostpreußen, das polnische Puppentheater „Bajka“ sowie ab 1922 die lokale Filiale der Slawischen Bank, die auch die Besitzerin des Gebäudes geworden war. Darüber hinaus beherbergte das Haus weiterhin das Hotel „International“, welches später in „Concordia“ umbenannt wurde. Hier in der Bank findet mein Großonkel Franz Nerowski mit Anfang Zwanzig auch eine Anstellung und lernt über den Bund der Polen auch seine spätere Verlobte Pelagia Stramkowska (1915–2006) kennen, die in der Buchhandlung der seit 1886 bestehenden polnischen Zeitung von Allenstein/Olsztyn, der Gazeta Olsztyńska, arbeitet. Generell arbeiten alle polnischen Institutionen und Vereinigungen in der Stadt eng zusammen, was sich am Beispiel von Seweryn Pieniężny junior (1890–1940) verdeutlichen lässt: Er war gleichzeitig Verleger der Gazeta Olsztyńska und des angeschlossenen Buchverlages, Vorsitzender des Bundes der Polen in Ostpreußen und Vorstandsmitglied der Slawischen Bank in Allenstein/Olsztyn.