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Frömmigkeit und Nachtgesichte – Naive Kunst aus Polen im Spiegel der Moderne

Ausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen, 21. Februar bis 10. April 2016.

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  • Abb. 1: Jerzy Truszkowski  - Ausstellungsansicht.
  • Abb. 2: Katarzyna Kozyra - Summertale, 2008.
  • Abb. 3: Nikifor - Spaziergänger (Selbstbildnis), undatiert.
  • Abb. 4: Nikifor - Selbstbildnis, undatiert.
  • Abb. 5: Ausstellungsansicht - Werke von Bolesław Suska, Emilia Leśniak und Stanisław Marcisz.
  • Abb. 6: Bolesław Suska - Dörfliche Szenen.
  • Abb. 7: Ausstellungsansicht - Werke von Józef Orlecki, Stanisław Ciszek, Franciszek Lenart.
  • Abb. 8: Bruno Podjaski - Monster fallen in Bukowiec ein, 1975.
  • Abb. 9: Jan Lamecki - Priester- und Heiligenfiguren, undatiert.
  • Abb. 10: Stanisław Denkiewicz - Kruzifix und Engel, undatiert.
  • Abb. 11: Stanisław Denkiewicz - Figuren, undatiert.
  • Abb. 12: Stanisław Denkiewicz - Ausstellungsansicht.
  • Abb. 13: Teofil Ociepka - Selbstbildnis als Heiliger Antonius, 1966.
  • Abb. 14: Maria Korsak - Polnisches Dorf, undatiert.
  • Abb. 15: Katarzyna Gawłowa - Ausstellungsansicht.
  • Abb. 16: Paweł Wróbel - Stadt im Zeichen des Bergbaus, 1975.
  • Abb. 17: Adam Zegadło - Das Engelsgericht, undatiert.
  • Abb. 18: Adam Zegadło - Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis, undatiert.
Ausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen, 21. Februar bis 10. April 2016.
Ausstellung in der Kunsthalle Recklinghausen, 21. Februar bis 10. April 2016.

Unter den naiven Malern ragt Teofil Ociepka (1891-1978) durch seine außergewöhnliche Biographie und das umfangreiche Werk heraus. Geboren in Janów in Oberschlesien, war er Bergmann und Maschinenwärter in einer Kohlegrube. Als Soldat der preußischen Armee im Ersten Weltkrieg wurde er Mitglied des Rosenkreuzer-Ordens und gründete in Janów eine okkultistische Gemeinde. Aus dem Kreis der Rosenkreuzer wurde er zum Malen angehalten und begann 1927 mit phantastischen Bildthemen, in denen wirkliche und ausgedachte Tiere in bunten Urwaldlandschaften einen Kampf des Guten gegen das Böse führen. Er war überzeugt davon, dass ihn seine Bildideen auf telepathischem Weg erreichten. Nachdem er in den 1950er-Jahren von den Behörden offiziell als Laienmaler anerkannt worden war, wurde seine Malerei kommerzieller. Sein spätes „Selbstporträt als Heiliger Antonius“ im Besitz der Kunsthalle Recklinghausen ist ohne Kenntnis des „Isenheimer Altars“ (1506-15) von Matthias Grünewald (vermutlich aus Reproduktionen) kaum denkbar (Abb. 13). Von Maria Korsak (1908-2002), deren beeindruckend klar aufgebaute Gemälde weltweit auf Auktionen gehandelt werden und die ebenfalls in der Kunsthalle Recklinghausen vertreten ist (Abb. 14), sind jedoch keine biographischen Details bekannt.

Anders Katarzyna Gawłowa (1896-1983), Bäuerin in dem kleinen Dorf Zielonki bei Krakau, die nach dem frühen Tod ihres Mannes einen Raum in einem abseits gelegenen Schuppen bewohnte und eines Tages den Impuls verspürte, die Wände ihrer Behausung mit Heiligenszenen zu bemalen. In den Siebzigerjahren wurde sie von einem Krakauer Künstler und einem Sammler entdeckt und malte erst seitdem transportable Bilder auf Holz und Hartfaserplatte. Seit 1974 hatte sie Ausstellungen in Krakau und Warschau, bis zu ihrem Tod und danach auch in zahlreichen deutschen Städten, in Paris und Helsinki. In ihren Bildern, von denen sich ein umfangreicher Bestand in Recklinghausen befindet, füllte sie die Bildfläche neben den zentral angeordneten Heiligenfiguren und Bibelszenen mit Blumen und Tieren in reinen leuchtend bunten Farben (Abb. 15).

Eine bekannte Persönlichkeit in der polnischen Volkskunst-Szene ist auch Paweł Wróbel (1913-1984), Bergmann wie Teofil Ociepka, mit dem er zusammen auf der Zeche Wieczorek 1946 die Janower Künstlergruppe (Grupa Janowska) gründete, der zahlreiche weitere naive Maler und Bildschnitzer der Region angehörten. Seit 1957 entstanden seine Bilder, in denen er Szenen aus dem Alltag der Bergleute und den Städten Oberschlesiens in farbenfroher, geometrisch stilisierter Malweise festhielt, in schneller Folge. Bald rissen sich Sammler, Galerien und Museen um seine Werke, und Ausstellungen im In- und Ausland schlossen sich an (Abb. 16). Ähnlich erfolgreich war der Bildschnitzer Adam Zegadło (1910-1989) der in der Kriegs- und Nachkriegszeit zusammen mit seinen Söhnen Holzspielzeug fertigte. Seit Anfang der 1960er-Jahre gestaltete er freiere Arbeiten, deren rascher Erfolg ihn zu einem Werk von über eintausend farbig gefassten Holzfiguren veranlasste. In seinen Arbeiten nimmt die Darstellung jüdischer Menschen und Bräuche einen breiten Raum ein. Das Gute und das Böse waren in seiner religiösen Vorstellungswelt streng voneinander getrennt. Es heißt, dass er auf seinem Hof in Krzyżka, zwanzig Kilometer nordöstlich von Kielce, zwei verschiedene Werkräume benutzte, um Hexen- und Teufelsfiguren von den religiösen Skulpturen zu separieren. Aber auch das Alltagsleben seines Heimatdorfes findet sich in seinen Arbeiten wieder. Ausgehend von Ausstellungen in Warschau und Kielce 1965/66 folgten zahlreiche Werkschauen in deutschen Städten sowie in Rom, Helsinki, Mailand und Wien (Abb. 17, 18).

Die Ausstellung enthielt zahlreiche Werke anderer Künstlerinnen und Künstler, die hier jedoch nicht alle erwähnt werden können, und von denen teilweise keine biographischen Angaben oder nicht einmal die Lebensdaten bekannt sind. Wer mit dem Begriff „Naive Kunst“ bislang vor allem naive Malerei aus dem ehemaligen Jugoslawien verband, deren Erfolg in den Sechziger- und Siebzigerjahren zu einer Massenproduktion unter anderem von Hinterglasbildern führte, wird von der großen Anzahl an Bildschnitzereien und der hohen Qualität der Arbeiten aus Polen überrascht gewesen sein. Ob und wieweit Ursprünglichkeit und Authentizität auch hier von Kommerzialisierung abgelöst wurden, wäre ein Thema, dem man eine intensivere Forschungsarbeit wünschen würde. Ein Katalog, der hier vielleicht Klärung hätte bringen können, war aufgrund der kurzfristig anberaumten Ausstellungsreihe der in Bochum, Recklinghausen und Marl beheimateten Museen anlässlich der Eröffnung des Museums Jerke nicht zu realisieren.

 

Axel Feuß, Juni 2016