Jakob Hirschkorn und Halina Zylberberg: Die Lebenswege einer jüdischen Familie aus Łódź

Die Hirschkorns in Wawern um 1928. Paula, Sara, Norbert, Aron, Erna, Jakob, Sophie (v.l.)
Die Hirschkorns in Wawern um 1928. Paula, Sara, Norbert, Aron, Erna, Jakob, Sophie (v.l.)

Jakob Hirschkorn kam am 1. Januar 1914 in Łódź zur Welt. Seine Eltern wanderten nach dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland aus, zunächst nach Darmstadt, dann 1919/20 nach Wawern bei Trier im Grenzgebiet zu Luxemburg. Die Familie, die ursprünglich Herszkorn hieß, stammte aus dem Süden Russlands. Um 1860 zog sie nach Hungersnöten und antijüdischen Pogromen nach Łódź. Dort wurde 1885 Aron Hirschkorn, der Vater von Jakob geboren. Er heiratete die 1887 in Drzewica bei Radom in der heutigen Woiwodschaft Łódź geborene Sara Lachmann. Die Familie war im Textilhandel tätig. Dadurch entstanden Beziehungen nach Darmstadt, wo ein Onkel von Jakob lebte. In Wawern baute sich Vater Aron eine bescheidene Existenz als fahrender Schuhhändler auf. Er kannte die Gegend, weil er als Kriegsgefangener des Ersten Weltkrieges dort war und nach Kriegsende in der Synagoge die einheimischen Jüdinnen und Juden kennen gelernt hatte. Jakob Hirschkorn hatte vier Geschwister. Das Geburtsjahr der ebenfalls in Łódź geborenen älteren Schwester Sophie ist nicht bekannt. Paula kam 1919 in Darmstadt zur Welt, ihr folgten in Wawern Norbert 1921 und zwei Jahre später Erna.

Jakob Hirschkorn erlernte in Saarbücken das Metzgerhandwerk und kehrte 1935 nach der Saarabstimmung nach Wawern zurück. Ab diesem Jahr war die Familie dort ständigen Schikanen ausgesetzt. Die Nazis belagerten regelmäßig das Haus der Hirschkorns und zertrümmerten mindestens dreimal Fensterscheiben. Die SA drang ins Haus ein und erpresste unter Drohungen Geld, Schuhe u. a. 1936 musste Aron Hirschkorn sein Schuhgeschäft schließen.

Nach Luxemburg

Bei Jakob reifte nach einer Festnahme durch die Gestapo und kurzzeitiger Haft in Trier im August 1938 der Entschluss, nach Luxemburg zu fliehen. Er war 24 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt war es kaum noch möglich, legal ins neutrale Luxemburg zu emigrieren, weil insbesondere durch den „Anschluss Österreichs“ die Zahl der jüdischen Flüchtlinge in dem kleinen Land stark angestiegen war. Es gab dort Ressentiments, insbesondere gegen Menschen aus Polen. So lesen wir in einem Bericht der Gendarmerie:

„Es ist zu bemerken, dass Hirschkorn ein jüdischer Flüchtling ist, der gemäß seinem Pass eine nur auf Termin begrenzte Aufenthaltsermächtigung in Deutschland besitzt. Er arbeitet hierlands unter dem Tarife eines normalen Lohnes. Für eine eventuell in Frage kommende Heimbeförderung nach Polen, will der Arbeitgeber sich nicht verbürgen. Indem das Land mit jüdischen Flüchtlingen überflutet ist - die auch in anderen Ländern kein Unterkommen mehr erhalten – und auch sonstwie weitgehend überfremdet ist, sowie der Staat augenblicklich grosse Kosten hat zur Unterhaltung einer Grenzbesatzung zur Eindämmung der Zuwanderung von Flüchtlingen, kann das Gesuch hiesigerseits nicht begutachtet werden.“

Wanderarbeiter

In der Folgezeit duldeten die Justizbehörden Jakob Hirschkorn in Luxemburg, weil er sich bei der jüdischen Hilfsorganisation ESRA für eine Auswanderung nach Paraguay, wo sein Onkel lebte bzw. nach England angemeldet hatte. Er arbeitete in der Landwirtschaft auf verschiedenen Höfen in Echternach, einer kleinen Stadt im Osten Luxemburgs, nahe der deutschen Grenze. Allem Anschein nach war Jakob Hirschkorn eine Art Wanderarbeiter, in jedem Jahr bei einem anderen Landwirt beschäftigt. Die Landwirtschaft war auf Grund des Arbeitskräftemangels fast der einzige Bereich, in dem jüdische Flüchtlinge eine Chance hatten, unterzukommen. Oftmals aber nur zu einem Hungerlohn.

Im Mai 1940 überfiel die deutsche Wehrmacht das neutrale Luxemburg. Im September 1941 internierten die Nazis Jakob Hirschkorn zusammen mit weiteren 53 jüdischen Zwangsarbeitenden aus Luxemburg in ein Arbeitslager der „Reichsautobahn“ in der Eifel. Zurück in Luxemburg, deportierten die deutschen Besatzer Jakob Hirschkorn am 17. Oktober 1941 nach „Litzmannstadt“.

Mediathek
  • Die Hirschkorns in Wawern um 1928

    Paula, Sara, Norbert, Aron, Erna, Jakob, Sophie (v.l.).
  • Grenz-Ausweis Jakob Hirschkorn 1940

    Der Aufdruck „Evakuiert am 17.10.1941” war im Entschädigungsverfahren der Nachweis der Deportation.
  • Die Hochzeit von Paula Hirschkorn und Chaim Berlin (1946).

    Die Hochzeit von Paula Hirschkorn und Chaim Berlin (1946).
  • Erna, Halina, Paula (v.l.), frühe 1950er Jahre.

    Erna, Halina, Paula (v.l.), frühe 1950er Jahre.
  • Die Familien von Erna und Paula Ende der 1950er Jahre

    Oben (v.l.) Adrian, Eddy, Leslie und Raymond Binki, Rita Hirschkorn (die Frau von Norbert) und Erna Binki. Unten Hilary, Chaim, Paula und Alan Berlin.
  • London 1962

    Remon, Halina, Jakob und Ruth Hirschkorn. (v.l.).