Jan de Weryha-Wysoczański
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De Weryhas 1999 geschaffenes Denkmal „In Erinnerung an die Deportierten des Warschauer Aufstandes 1944“ für die KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Abb. 18a-c . ), das aus dreißig in Reih und Glied platzierten grob behauenen Granitblöcken auf einer Fläche aus polierten Platten besteht, wirkt zwar wie eine frei konzipierte Arbeit der Land Art, ist jedoch ein Werk der Denkmalkunst. Symbolisch verweisen die einzelnen Steinblöcke auf die „Vielfalt und Unverwechselbarkeit“ der menschlichen Individuen, ihre regelmäßige Ausrichtung auf den „totalitären, perfekt organisierten Apparat“ der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Der mit Granitschotter ausgelegte Fußweg zum Mahnmal verkörpert den Weg, „den die zum Tode Verurteilten zurücklegen mussten“.[11] An Rückriem erinnert bei dieser Arbeit allenfalls das Material. Wichtiger ist aber die Tatsache, dass in Polen anders als in den übrigen sozialistischen Ländern schon Mitte der 1960er-Jahre abstrakte Denkmalkunst an ähnlich belastetem Ort möglich war. Dort errichteten Franciszek Duszenko, Adam Haupt und Franciszek Strynkiewicz 1964 für das Denkmal zu Ehren der Opfer des Vernichtungslagers Treblinka ein Feld aus dreitausend unregelmäßig gespaltenen Steinblöcken, das Gedanken an die „überzeitliche Dauer“ des Gedenkens hervorrufen und „die tragische Anwesenheit der in den Tod gehenden Menschen spürbar machen“ sollte.[12]
Jan Stanisław Wojciechowski, Bildhauer und Professor für Kulturanthropologie in Warschau, hat anlässlich einer Einzelausstellung von de Weryha in der Galeria Szyb Wilson/Galerie Schacht Wilson 2005 in Katowice darauf hingewiesen, dass im Polen der 1970er-Jahre, also zur Studienzeit von de Weryha, die internationale moderne Kunst an den Akademien und von Galerien in großer Breite zur Kenntnis genommen worden sei. Vor allem junge Künstler hätten die verschiedenen Tendenzen der zeitgenössischen Kunst ohne Zurückhaltung für ihre eigenen Bedürfnisse adaptiert. Sie hätten sich die besten Beispiele der Konzeptkunst, der Minimal Art, von Performance und Neuen Medien zunutze gemacht, um sie mit persönlichen Motiven anzureichern, sie in andere politische oder anthropologische Zusammenhänge zu integrieren und sich neuen Materialien oder der Natur zuzuwenden: „Jan de Weryha-Wysoczański left Poland with a baggage of European intellectual and artistic values.“[13]
Anlässlich der Ausstellung in Katowice, die in der Maschinenhalle eines ehemaligen Bergwerks stattfand, vermutete Wojciechowski, de Weryha würde mit seiner Kunst aus einer „romantischen Position“ heraus argumentieren, indem er seine Einsichten in die Natur in bewusstem Gegensatz zur technischen Welt oder zur „späten Moderne, also der Welt der Globalisierung, des beschleunigten Konsums und der Algorithmen“ präsentieren würde.[14] Das wiederum rückt den Künstler in einen Zusammenhang mit der Installationskunst, die traditionell auf vorgefundene oder bewusst ausgesuchte Räume reagiert. Auch Aleksandra Warchoł stellt in ihrer 2011 an der Universität für Technologie/Politechnika Radomska im. Kazimierza Pułaskiego in Radom verfassten Magisterarbeit fest, de Weryha schaffe außer seinen Holzobjekten auch „Anordnungen im Raum“.[15]
Zwar fungierte die Maschinenhalle in Katowice für den Künstler lediglich als Ausstellungsfläche, jedoch lassen sich auch andere Argumente dafür finden, dass er mit einzelnen Installationen bewusst auf Räume reagiert. So integrierte er blockartige oder runde Holzsegmente in Türöffnungen oder Wandnischen (Abb. 3 . , 9 . , 48 . ), richtete Bodenarbeiten bewusst an der Architektur aus (Abb. 6 . , 17 . , 59 . ) oder fügte sie in architektonische Elemente ein (Abb. 8 . , 14 . ). Auch die bereits genannten „Hölzernen Objekte“ in Ecken, an Wänden entlang oder um Pfeiler herum (Abb. 7 . , 54 . , 55 . , 65 . ) oder die an Wandabschnitten aufgeschichteten oder gruppierten Arbeiten „ohne Titel“ (Abb. 11 . , 30 . ) gehören hierzu. Als ephemere Installationen in situ, wie man heute sagen würde, die sich konkret auf Architektur bezogen, waren auch die kreuzförmige Bodenarbeit aus kurzen Birkenstämmen für die Ausstellung Objawienia w drewnie (dt. Offenbarungen in Holz) 2006 im Zentrum für polnische Skulptur in Orońsko/Centrum Rzeźby Polskiej w Orońsku (Abb. 53 . ) und die vom Künstler als „Temporäre Raumerfahrung“ bezeichnete Bodenarbeit aus gelegten Birkenstammsegmenten konzipiert, die sich unter dem Titel „Chilehaus five lines“ anlässlich der Hamburg Art Week 2011 in fünf parallelen Linien durch Räume des Hamburger Chilehauses schlängelte (Abb. 67 . ).
[11] De Weryha im online-Interview mit Helga König, 2015, http://interviews-mit-autoren.blogspot.de/2015/03/helga-konig-im-gesprach-mit-dem.html
[12] Wojciech Skrodzki, in: Andrzej Osęka/Wojciech Skrodzki: Polnische Bildhauerkunst der Gegenwart, Warschau 1977 (deutsch), Seite 33
[13] Jan Stanisław Wojciechowski 2005, S. 4/8 (siehe Literatur; Text online verfügbar auf der Webseite des Künstlers, polnisch, Seite 1/englisch, Seite 1)
[14] Ebenda, Seite 7/11 (online polnisch, Seite 4/englisch, Seite 4)
[15] Aleksandra Warchoł 2011, Seite 10 (siehe Literatur; online verfügbar auf der Webseite des Künstlers, deutsche Übersetzung, PDF-Seite 10)