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Jesekiel David Kirszenbaum (1900–1954). Ein Bauhaus-Schüler

Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm

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Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm
Selbstporträt, um 1925. Öl auf Leinwand, 55 x 37,5 cm

Kirszenbaums neu erwachter Lebensmut dokumentierte sich in den folgenden Jahren auch in einer verstärkten Reisetätigkeit. 1948/49 reiste er nach Brasilien, wo ihn Land und Leute im tropischen Klima zu farbenfrohen, teils naiv anmutenden Tableaus inspirierten. Seine Gemälde einer „Brasilianerin mit Kind“,[99] einer „Brasilianerin mit Korb“[100], von „Brasilianischen Masken“[101], eines „Brasilianischen Jungen mit Drachen“ (Abb. 53 . ) und die drei Jahre später aus der Erinnerung gemalte „Festa de São João in São Paulo“ (Abb. 54 . , 55 . ) sind mit ihren reinen Farbflächen von den Fauves, aber auch von indigener Malerei beeinflusst und nicht frei von visionären Farbexperimenten. Auch in Brasilien, wo seit 1924 in São Paulo der aus Vilnius stammende und zur Dresdner Sezession gehörende jüdische Maler Lasar Segall (1891-1957) lebte, fand Kirszenbaum Anschluss und herzliche Aufnahme. 1948 stellte er in der führenden Kunstgalerie in São Paulo, der Galeria Domus, und im Instituto de Arquitetos do Brasil in Rio de Janeiro aus.

Nach seiner Rückkehr wurde er 1949 französischer Staatsbürger. Im selben Jahr illustrierte er den 50seitigen Gedichtband des deutsch-französischen Schriftstellers und Dichters Frédéric Hagen (Friedrich Hagen, 1903-1979), „Paroles à face humaine“. Das Buch mit acht Illustrationen von Kirszenbaum erschien in einer nummerierten Auflage von 500 Stück im Pariser Verlag des surrealistischen Dichters Guy Lévis Mano (1904-1980), GLM. Mit Hagen, der wie Kirszenbaum 1933 nach Frankreich geflohen war, blieb der Maler bis zu seinem Lebensende eng befreundet.[102] 1948/50 unternahm er Reisen nach Marokko und Italien,[103] die sein malerisches Interesse auf die Natur, vor allem auf exotische Früchte und Pflanzen lenkten. Zwei 1952 entstandene Früchtestillleben,[104] eines davon in der Sammlung des Centre national des arts plastiques,[105] wecken Erinnerungen an entsprechende Motive von Cézanne, nähern sich in ihrem gemäßigten Kubismus aber Picasso. Ein ganz neues Motiv, die Ansicht einer Schlachterei in Paris, vor deren offenen Auslagen Damen mit Einkaufskörben ihre Hunde spazieren führen,[106] folgt in der bunten Farbigkeit und dem naiven Figurenstil den brasilianischen Bildern.

Kirszenbaums religiöse Themen, auch das Nebeneinander von christlichen und jüdischen Sujets, fanden jetzt auch öffentliche Beachtung. 1951 schrieb der bekannte polnisch-französische Kunstkritiker Waldemar George (Jerzy Waldemar Jarociński, 1893-1970) im achtseitigen Katalog einer Retrospektive von Kirszenbaum mit Gemälden, Aquarellen und Gouachen in der Pariser Galerie André Weil in der Avenue Matignon 26: Kirszenbaum habe zu einem großen Teil zur Wiederbelebung einer jüdischen Malerei beigetragen, deren Geist eng mit der jiddischen Poesie verbunden sei. Wie andere Illustratoren des Alten Testaments habe auch er die starke Anziehungskraft der Legenda aurea (also der nichtbiblischen Heiligenlegenden) erlebt. „Synagoge“ und „Kirche“ (Judentum und Christentum) würden im Werk dieses Sehenden (gemeint ist Kirszenbaum), der das Universum mit faszinierten Augen betrachte, ineinander übergehen anstatt sich zu widersprechen.[107] 1953 stellte der Künstler in der Galerie Au Pont des Arts in der Rue Bonaparte 6 aus. Diese Galerie gab eine bibliophile Edition mit zehn reproduzierten Aquarellen von Kirszenbaum in einer Auflage von 100 Exemplaren heraus, die chassidische Legenden von I.L. Peretz illustrieren. Das Vorwort schrieb Waldemar George.[108] Kirszenbaums Illustrationen rekapitulieren im Wesentlichen frühere Bildmotive wie den blinden Geiger, studierende Rabbiner und den Wasserträger aus Staszów, zeigen aber auch eine bislang unbekannte Gauklerszene (siehe PDF 3).

 

[99] Vergleiche auf diesem Portal die Solinger Ausstellung, https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/jesekiel-kirszenbaum-ausstellung-solingen, Abbildung 28

[100] J.D. Kirszenbaum 2013 (siehe Literatur), Seite 121

[101] Vergleiche auf diesem Portal die Solinger Ausstellung, https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/jesekiel-kirszenbaum-ausstellung-solingen, Abbildung 29

[102] Wann Hagen und Kirszenbaum sich kennen lernten, ist nicht bekannt. Die bisherige Annahme, dass sie sich vom Weimarer Bauhaus her kannten (J.D. Kirszenbaum 2013, siehe Literatur, Seite 26), ist wenig wahrscheinlich. Hagen wurde von 1919 bis 1922 in Schwabach an der Lehrerbildungsanstalt zum Kunstlehrer ausgebildet. Von 1923 bis 1930 war er in Nürnberg als Mitarbeiter verschiedener Zeitungen, Theaterspielleiter und Kunstkritiker ansässig. Seit 1935 in Paris als Kunstkritiker tätig und Mitglied von Vereinigungen antifaschistischer Künstler und Schriftsteller, war er von 1945 bis 1950 Chefredakteur der deutschen Sendungen des französischen Rundfunks (Friedrich Hagen: Curriculum Vitae, in: Friedrich Hagen, Leben in zwei Ländern, herausgegeben von Godehard Schramm, Nürnberg 1978, Seite 198-201). Hagen war mit Schriftstellern und Lyrikern seiner Zeit wie Paul Éluard, Jean Cocteau, André Breton und Paul Celan befreundet.

[103] Im Bauhaus-Archiv, Berlin, befindet sich eine aquarellierte Zeichnung „Toskanische Landschaft – San Gimignano“, 1948, Inv. Nr. 3574

[104] Vergleiche auf diesem Portal die Solinger Ausstellung, https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/jesekiel-kirszenbaum-ausstellung-solingen, Abbildung 28

[106] J.D. Kirszenbaum 2013 (siehe Literatur), Seite 122

[107] Waldemar George in: J.D. Kirszenbaum. Peintures, aquarelles, gouache. Du 27 Septembre au 11 Octobre 1951, Ausstellungs-Katalog Galerie André Weil, Paris [1951], zitiert nach: J.D. Kirszenbaum 2013 (siehe Literatur), Seite 108 f.

[108] Dix aquarelles de Kirszenbaum. Inspirées des légendes hassidiques de I. L. Peretz. Préface de Waldemar George, Paris: Au pont des arts, 1953