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Kunstmuseum Bochum – Die Sammlung polnischer Kunst

Artymowska, Zofia (1923 Krakau - 2000 Warschau): Multiplied Space IX, 1981. Serigraphie, Collage, 60,8 x 49,7 cm (41,6 x 41,1 cm); Inv. Nr. 2149

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Artymowska, Zofia (1923 Krakau - 2000 Warschau)
Artymowska, Zofia (1923 Krakau - 2000 Warschau): Multiplied Space IX, 1981. Serigraphie, Collage, 60,8 x 49,7 cm (41,6 x 41,1 cm); Inv. Nr. 2149

Allerdings sind einige Epochen der polnischen Kunstgeschichte nicht in der Sammlung des Kunstmuseums Bochum repräsentiert, und zwar alle vor und gleichzeitig mit dem Konstruktivismus datierenden Stilrichtungen wie der Jugendstil, der Expressionismus, DADA und der Surrealismus sowie der polnische „Kolorismus“ (auch „Kapismus“), ein von polnischen Künstlern in Paris ausgehender Neo-Impressionismus der 1930er- und 40er-Jahre. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass als ursprüngliches Sammelgebiet bei der Gründung des Bochumer Museums die „Kunst nach 1945“ beschlossen worden ist und erst Peter Spielmann 1972 die Sammeltätigkeit auf das gesamte 20. Jahrhundert erweitert hat.[10]

Die früheste vertretene Künstlergeneration mit Strzemiński, Henryk Stażewski (*1894) und Henryk Berlewi (*1894) ist eng mit dem internationalen Konstruktivismus verbunden und gründet 1924 in Warschau eine eigene konstruktivistische Künstlervereinigung, die Gruppe „Block“ (Blok Kubistów, Konstruktywistów i Suprematystów). Deren nationale Strahlkraft ist so stark, dass Künstlerinnen und Künstler der nächsten Generation, die verzögert durch den Zweiten Weltkrieg erst nach Kriegsende ausgebildet wird, sich erneut und vor allem auf dem Gebiet der Grafik dem Konstruktivismus zuwenden. Zu ihnen gehören Zofia Artymowska (*1923) und Jerzy Grabowski (*1933). Aber auch Berlewi und Stażewski feiern in den 1960er-Jahren unter dem Eindruck der geometrischen Op Art und der minimalistisch-konzeptuellen Kunst der USA ein Comeback.

Ähnlich wie in der DDR wird Ende der Vierzigerjahre der aus der Sowjetunion übernommene Sozialistische Realismus in Literatur und bildender Kunst in Polen zur staatlichen Doktrin erklärt. Ende 1947 äußert sich der neugewählte polnische Präsident Bolesław Bierut in einer Rede anlässlich der Eröffnung des Funkhauses in Breslau/Wrocław „über die Pflicht der Künstler, sich von breiten Bevölkerungsmassen inspirieren zu lassen“.[11] Auf dem „4. Allgemeinen Kongress des Verbandes polnischer bildender Künstler“ wird der Sozialistische Realismus im Juni 1949 für verbindlich erklärt. Der Dramaturg und Maler Tadeusz Kantor (*1915), der während des Krieges in Krakau ein Untergrund-Theater geleitet hat, spricht sich auf demselben Kongress jedoch für die Fortsetzung der Avantgarde-Kunst aus.[12] Während sich Aleksander Kobzdej (*1920) als Exponent der Zoppoter Schule schnell zu einem anerkannten Vertreter des Sozialistischen Realismus entwickelt, werden Kantor 1949 in Krakau und Strzemiński 1950 in Łódź wegen Missachtung des „Sozrealismus“ aus dem Hochschuldienst entlassen. Kobzdej wendet sich nach einer Reise nach Vietnam 1953/54 von der offiziellen Staatskunst ab und orientiert sich nach Reisen durch Westeuropa ab 1957 an der internationalen Avantgarde. 1955 verkündet der polnische Kulturminister Włodzimierz Sokorski, dass von nun an auch andere experimentelle künstlerische Formen zugelassen seien - eine Entwicklung, die sich in Polen schon nach dem Tod Joseph Stalins 1953 abgezeichnet hat. Auf der Ausstellung „Allgemeinpolnischer junger Kunst“ im Warschauer „Arsenal“ 1955 ist bereits kein Werk des Sozialistischen Realismus mehr zu sehen.[13]

Grund für diese unterschiedlich zur DDR verlaufende Entwicklung, wo der Sozialistische Realismus bis in die Siebzigerjahre hinein existiert, ist eine auch von der polnischen Kulturverwaltung beobachtete Erstarrung der „sozrealistischen“ Malerei, vor allem aber eine offenbar gern genutzte Reisefreiheit polnischer Künstler in den Westen. Kantor, der in der Bochumer Sammlung mit Malerei, Objekt- und Installationskunst vertreten ist, reist bereits 1947 erstmals nach Paris. Kobzdej unternimmt 1957 und 1960 Studienreisen nach Italien, Österreich, Frankreich und in die Schweiz, 1960 durch die USA, nach England und in die Niederlande. Hasior (*1928) bereist 1959 mit einem Stipendium des französischen Kulturministeriums Deutschland, Belgien, Holland und Italien und arbeitet anschließend in Paris. Lebenstein (*1930) nutzt 1959 ein Paris-Stipendium des polnischen Kulturministeriums für die Übersiedlung nach Frankreich. Makowski (*1930) arbeitet 1962/63 ebenfalls in Paris, Artymowska seit 1960 als Professorin an der Universität von Bagdad. Tarasin (*1926) reist Anfang der 1960er-Jahre in die Niederlande, nach Frankreich und Schweden. Zahlreiche Künstler vertreten Polen 1954, ’66, ’70 und ’72 auf der Biennale in Venedig, 1959, ’63, ’65, ’67 und ’69 auf der Biennale in Sao Paulo und haben in der Regel seit den Fünfziger- und Sechzigerjahren Einzelausstellungen im westlichen Ausland. Kulik (*1947) wird nach einem von der polnischen Kulturverwaltung missbilligten Werk auf einer Ausstellung in Malmö 1975 der Reisepass wieder entzogen.

Die polnischen Künstler haben durch ihre Reisetätigkeit intensiven Kontakt zur internationalen Kunstszene, nehmen natürlich Einflüsse auf und verarbeiten diese vor dem Hintergrund der persönlichen Entwicklung und der polnischen Geschichte zu eigenständigen Werken der internationalen Avantgarde. So liefern Bereś, Kantor, Hasior und Kobzdej herausragende Werke zur Objektkunst und zur Technik der Assemblage, Fijałkowski, Kobzdej, Lebenstein und Tarasin wichtige und theoretisch erweiternde Beiträge zur informellen Kunst. Makowski, aber auch Hasior liefern individuelle Arbeiten zur Kunst des späten Surrealismus, Bereźnicki (*1935) zur figürlichen Malerei. Myjak (*1947) ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Bildhauer mit Bezügen zu Henry Moore und Alberto Giacometti. Kulik (*1947) und Deskur (*1962) gelten als herausragende Vertreterinnen der internationalen Fotokunst. Die Installationskunst ist mit Kantor und Deskur, deren Arbeiten  von 1976 und 1997 über zwanzig Jahre auseinander liegenden, in der polnischen Sammlung des Kunstmuseums Bochum repräsentiert. Karsten, die ihre Installationen in Deutschland und Polen zeigt, ist mit einem ihrer frühen Objekte vertreten. Sie ist dem Museum aber auch durch eine große Ausstellung von Rauminstallationen im Jahr 2001 verbunden.[14]

Die hier gezeigte Auswahl von Werken polnischer Kunst im Kunstmuseum Bochum repräsentiert nicht nur die in der Sammlung vertretenen wichtigsten Künstler und kunsthistorischen Epochen. Sie berücksichtigt auch einen repräsentativen Querschnitt durch die verschiedenen Kunstgattungen Malerei, Plastik, Grafik, Fotografie, Objektkunst und Installation.

 

Axel Feuß, April 2015

 

[10] Hans Günter Golinski: Kunst polnischer Künstler im Kunstmuseum Bochum, S. 1 (auf diesem Internet-Portal)

[11] Anna Malkiewicz: Aufstieg und Fall des sozialistischen Realismus am Beispiel der bildenden Kunst der Volksrepublik Polen und der DDR, in: Inter Finitimos 1, 2003, S. 107-114; online: bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/40. Vgl. auch Anna Malkiewicz: Die Kunstpolitik des sozialistischen Realismus im Vergleich. Die Malerei in der SBZ/DDR und in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg, Diss. Universität Leipzig, 2008

[12] Ebd.

[13] Ebd.

[14] Danuta Karsten - Rauminstallationen, Museum Bochum [2001]