Marcel Reif – vom polnischen Wałbrzych zum Fußballkommentator mit Kultcharakter

Marcel Reif, 2018
Marcel Reif, 2018

Was ungebundene individualistische Zugereiste mit Migrationshintergrund allerdings auszeichnet, ist einerseits ein völlig unproblematisches Verhältnis zur eigenen nationalen Identität, andererseits eine ganz klare Vorstellung davon, was für sie die (neue) Heimat bedeutet. Für Marcel Reif ist die Definition seiner nationalen Identität nie ein Thema gewesen. Als Heimat begreift er eindeutig jenen „Ort, an dem mir nahestehende Menschen mit mir zusammen sind“, ohne dass man sich auf eine bestimmte Verortung begrenzt. Also nicht „Heimat“, sondern „Zuhause“. In diesem Sinne war es auch nie ein Problem für ihn, an mehreren Orten gleichzeitig zu leben, was er im Übrigen bis heute praktiziert.

Der Wechsel von der politischen Redaktion zum Sport beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) im Jahre 1985 wurde für Reifs künftiges Leben entscheidend. Fußball, seine Passion, sollte nun zum Beruf werden. Als Live-Moderator und Kommentator der Spiele der Nationalmannschaft, der Bundesliga und der Champions League – es sollten bis 2016 über 1500 werden – erarbeitete er sich rasch eine breite Fangemeinde und im Laufe der Jahre einen Kultcharakter. „Marcel Reif“ ist zu einer medialen Marke geworden. Sein Moderationsstil, der sich zwischen sprachlicher Leichtigkeit, Humor, klarer Wiedergabe der Spielsituationen, ehrlicher und nicht vorgespielter Emotionalität und der Vermittlung von Hintergrundwissen zum jeweiligen Geschehen bewegte, ließ die Zuschauenden mit dem Spiel geradezu verschmelzen und immer Vorfreude auf Zukünftiges aufkommen. Die Treffsicherheit seines Urteils und die Auswahl der verbalen Mittel bewirkten dabei selbstverständlich auch, dass die Fans der gerade in die Missgunst des Kommentators geratenen Mannschaft sich oft provoziert fühlten. Für Reif verständlich, denn er war sich immer ganz genau bewusst, dass „die Fans nicht nur mit den Augen, sondern vor allem mit den Herzen“ dabei sind. Für diesen ultimativen Liebesbeweis an das Spiel und an die Fans, der sich immer wieder deutlich in seinen Kommentaren zeigte, wird er bis heute geachtet, geschätzt und gemocht.

Marcel Reif wurde nicht nur als Fußballkommentator, sondern als mediale Persönlichkeit mit zahlreichen bedeutenden Preisen ausgezeichnet, darunter 1998 mit dem Bayerischen Fernsehpreis für seine legendäre 76-minütige Improvisation zusammen mit Günther Jauch nach einer Spielverzögerung in Madrid, 2002 mit dem Deutschen Fernsehpreis und 2003 mit dem Adolf-Grimme-Preis für seine Berichterstattung von der Fußball-Weltmeisterschaft 2002.

 

Jacek Barski, Dezember 2021

 

 

Weiterführende Informationen und Links:

Aufritt bei „Inas Nacht“ am 14.10.2021 (ARD):

https://www.ardmediathek.de/video/inas-nacht/inas-nacht-mit-marcel-reif-und-caro-daur/das-erste/Y3JpZDovL25kci5kZS8wOTgyYmI4ZS1lN2RmLTQzNDItYmExZS1lY2UwMDhiMmQ0YzE/

Podcast "Reif ist live":

https://www.bild.de/bild-mobil/audio/reif-ist-live/startseite-72904458.bild.html#remId=1661067283447424322

 

Ausgewählte Publikationen:

Marcel Reif, Christoph Biermann, Aus spitzem Winkel. Fußballreporter aus Leidenschaft. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004.

Marcel Reif, Holger Gertz, Nachspielzeit. Ein Leben mit dem Fußball, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017.

Marcel Reif, Patrick Strasser, Auswärtsspiel. Meine schönsten Reisen durch Fußball-Europa, EMF, München 2020.

 

Mediathek
  • Marcel Reif mit dem Vater in Schlesien 1953

    Marcel Reif mit dem Vater in Schlesien 1953
  • Überfahrt von Neapel nach Haifa 1956

    Lucie und Leon Reif mit Eva und Marcel