Maria Anna Potocka: Zofia Posmysz

Zofia Posmysz mit ihrem Mann, um 1960
Zofia Posmysz mit ihrem Mann während einer Seefahrt, die möglicherweise eine Inspiration für ihren Roman „Die Passagierin“ war, um 1960

Zofia Posmysz hat der Ich-Form ihres niedergeschriebenen Berichts zugestimmt, erklärte jedoch, dass dieser Text mein Werk sei und deshalb auch unter meinem Namen publiziert werden sollte.

Die Aufbereitung des Materials, der Aufzeichnungen und der Filmbeiträge dauerte mehrere Jahre. In dieser Zeit hat sich zwischen Zosia und mir eine Freundschaft entwickelt. Sie ist die wunderbarste und verblüffendste Person, die ich in meinen Leben kennenlernen durfte. Wenn ich ihr das sage, schlägt sie die Hände vors Gesicht und amüsiert sich über den kuriosen Gedanken.

Zosia Posmysz vereint königliche Vornehmheit mit der Unschuld und der Offenheit eines Kindes. Sie mag Menschen, den Gesang und die Poesie und kann viele Gedichte und Lieder auswendig. Vor einigen Wochen haben wir in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim/Auschwitz einen ganzen Poesieabend mit Zosia aufgenommen, bei dem sie Słowackis Grób Agamemnona (Das Grab des Agamemnons) und Ojciec zadżumionych (Der Vater der Pestkranken) aus dem Gedächtnis rezitierte. Sie erinnerte uns auch an viele kürzere Gedichte, vor allem ihres Lieblingsdichters Leśmian. Außerdem sang sie Lieder und forderte uns auf, einzustimmen.

Zofia Posmysz ist ein tiefgläubiger Mensch, was ihr sicher geholfen hat, Auschwitz zu überleben. Ihr Glaube ist zutiefst christlich geprägt und erinnert so gar nicht an das seltsame Religionsverständnis der heutigen polnischen Enthusiasten, die mit jedem Wort und jeder ihrer Tat über Kreuz mit dem Christentum sind. Zosia trägt etwas Charismatisches in sich und das spiegelt sich spürbar im Verhalten der Besucher der Treffen mit ihr wider, die danach fast wie verändert wirken.

Zofia Posmysz hat das mörderischste Experiment an der Menschheit überlebt, das Menschen sich jemals einfallen ließen. Sie war so stark, dass sie ihre Güte, ihre Lebensfreude und ihre Zuversicht in den Sinn nicht verloren hat.

Solche Persönlichkeiten, solche Biographien und solche Menschen, die diese Qualitäten besitzen, sind eine große historische Herausforderung, die viele Fragen stellt: Wie ist der Wert dieser Menschen zu bewahren? Mit welchen Mitteln? Wie soll man sie beschreiben? Wie filmen? Wie kann man sie über den Tod hinaus lebendig erhalten, trotz der unabwendbaren Vergänglichkeit? Wie kann man es vermeiden, sie in leblose Denkmäler zu verwandeln? Das Buch, das sich auf die Erinnerungen von Zofia Posmysz stützt und der Film, der zeigt mit welcher Ruhe und Würde sie über das Leben und Sterben in Auschwitz spricht, stellen Versuche in dieser Hinsicht dar.

 

Maria Anna Potocka, September 2017 

 

Mediathek
  • Ein Filminterview mit Zofia Posmysz, 2016

    Maria Anna Potocka: Ein Filminterview mit Zofia Posmysz, 2016
  • Zofia Posmysz als Kind

    Zofia Posmysz als Kind, Krakau, Ende der 1920-er Jahre.
  • Zofia Posmysz als Jugendliche

    Zofia Posmysz als Jugendliche, um 1940
  • Zofia Posmysz als Jugendliche

    Zofia Posmysz als Jugendliche, um 1940
  • Zofia Posmysz, Erkennungsbild aus Auschwitz

    Zofia Posmysz, Erkennungsbild, aufgenommen bei der Registrierung im KZ Auschwitz, 1942
  • Zofia Posmysz in den 1950-er Jahren

    Zofia Posmysz in den 1950-er Jahren
  • Zofia Posmysz in den 1960-er Jahren

    Zofia Posmysz in den 1960-er Jahren
  • Zofia Posmysz mit ihrem Mann

    Zofia Posmysz mit ihrem Mann während einer Seefahrt, um 1960.
  • Zofia Posmysz bei der Buchmesse in Rostock, 1969

    Zofia Posmysz bei der Buchmesse in Rostock bei der Präsentation der deutschen Ausgabe von "Die Passagierin", 1969.
  • Zofia Posmysz mit dem Papst Benedikt XVI.

    Zofia Posmysz mit dem Papst Benedikt XVI., Krakau, 2006.
  • Zofia Posmysz mit Waldemar Dąbrowski

    Zofia Posmysz mit Waldemar Dąbrowski in Warschau vor der Premiere von "Die Passagierin", 2010.
  • Zofia Posmysz - "Song für Masza"

    Zofia Posmysz singt für Maria Anna Potocka, 2016,