Mariusz Hoffmann – Vom schlesischen Dorf über Werne nach Berlin

Mariusz Hoffmann, Foto: Lionel Kreglinger, 2022
Mariusz Hoffmann

In Hildesheim lernten die Autor:innen in spe allerdings nicht nur, ihre Texte kritisch zu besprechen, sondern auch, dass es im Kulturbetrieb weit mehr Betätigungsfelder gibt als die reine Schriftsteller-Existenz. Hofmann nennt als Beispiele: Kulturveranstaltungen organisieren, Lektorieren, Radiobeiträge schreiben, Bloggen und Formate wie das „Litradio“ oder die Literaturzeitschrift „Bella triste“, bei der Hoffmann als Mitherausgeber fungiert. Diese Perspektiven helfen ihm dabei, in den Phasen der Selbstzweifel nicht zu mutlos zu werden. Und so bewarb sich Hoffmann während seiner Ausbildung in Hildesheim auf zahlreiche Literaturförderungen. Oft erfolglos, so dass auch hier Geduld und Frustrationstoleranz gefragt waren. Die aber zahlten sich aus, denn schließlich konnte Hoffmann Schreibaufenthalte unter anderem in Broumov in Tschechien und Ahrenshoop an der Ostsee antreten. 

Während solcher bezahlter Schreibstipendien entsteht auch die Kurzgeschichte „Dorfköter“. Darin gibt es einen Ich-Erzähler, der 1990 mit seinen Eltern das schlesische Dorf Zalesie verlässt und nach Deutschland auswandert. Ursprünglich wollte Hoffmann nicht autobiografisch schreiben, nicht die eigene Familiengeschichte als Ausgangspunkt nehmen. Dann aber drängte sich ihm der Stoff auf. Im Mittelpunkt der Geschichte stand der Verlust einer Freundschaft. Aber der Text war durchtränkt mit Hoffmanns Kindheitserinnerungen und mit Beschreibungen des ländlichen Ortes, aus dem er stammte. Beim renommierten Literaturwettbewerb open mike gewann Hoffmann 2017 mit „Dorfköter“ den ersten Preis in der Kategorie „Prosa“. Durch die Auszeichnung und den Zuspruch fühlte er sich motiviert, den Stoff auszubauen. Hoffmann führte Gespräche mit seinen Eltern und seiner Großmutter und versucht, die familiäre Geschichte nachzuzeichnen. Schließlich hat er mehr als genug Material, um die Romanfamilie Sobota auf ihre Reise zu schicken. Bevor das fertige Buch jedoch unter dem Titel „Polnischer Abgang“ beim berlin Verlag erschien, beendete Mariusz Hoffmann erst einmal seine Ausbildung in Hildesheim, zog nach Berlin, arbeitete im Pflegebereich und feilte nach Dienstschluss an seinem Manuskript. Über eine Agentur fand er schließlich seinen Verlag. Hoffmann erinnert sich an die Reaktion seiner Eltern: „Anfangs waren sie skeptisch, wenn ich davon berichtete, ein Buch zu schreiben. Aber als es dann mit dem Verlag ernst wurde, waren sie begeistert, dass ihr Sohn so etwas ungewöhnliches wie Schriftsteller geworden ist.“

Der Roman „Polnischer Abgang“ ist ein tragikomischer Familien-Roadtrip, der 2023 für den Literaturpreis Ruhr nominiert und von Nico Bleutge im Deutschlandfunk als „wundersam schräg“ und „wahrnehmungssatt“ gelobt wurde. Der schlesische Germanist Andrzej Kaluza bemängelte hingegen in einem Aufsatz für das Deutsche Polen-Institut, Hoffmanns Roman stehe in einer Tradition mit anderen polnischen Auswanderergeschichten, die Fakt und Fiktion vermischten und im Kern nicht glaubwürdig seien. Mariusz Hoffmann erklärt dazu: „Es handelt sich um einen Roman, nicht um ein Sachbuch. Der Ich-Erzähler ist jung und unzuverlässig und interessiert sich nicht für ‚Identitäten‘. Mein Wahrheitsanspruch hat nichts mit der korrekten Wiedergabe der Geschichte Oberschlesiens zu tun, sondern mit der wahrheitsgemäßen Wiedergabe einer subjektiven Sichtweise. Als ich die Figur Jarek entwickelte, orientierte ich mich an den Jugendlichen, die ich in Zalesie und Strzelce kennenlernte, als ich selbst als Jugendlicher dort zu Besuch war. Jungs aus einfachen Verhältnissen. Die kennt Herr Kaluza womöglich nicht so gut.“

Heute arbeitet Hoffmann freiberuflich als Autor und Dozent für kreatives Schreiben. Auch hat er eine feste Stelle als Dozent für Sprachkurse. Davon abgesehen schreibt er an einem neuen Roman, über den er noch nicht viel verraten will. Nur so viel gibt Hoffmann preis: Auch im neuen Buch sucht die Hauptfigur nach einem Zuhause.

Nach Polen fährt er zwei-, dreimal im Jahr. Diesen Sommer reist er das erste Mal nach Warschau und freut sich darauf, wieder einmal in der Öffentlichkeit Polnisch zu sprechen, ohne damit aufzufallen. 

 

Anselm Neft, August 2024

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  • Mariusz Hoffmann: Polnischer Abgang, Berlin/München 2023

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