„MRR“: Sein Leben
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Interview mit Gerhard Gnauck im SWR
Interview mit Gerhard Gnauck zum Gedenken an Marcel Reich-Ranicki
In Gedenken an Marcel Reich-Ranicki im Radio "Trójka" (polnisch)
Marcel Reich-Ranicki - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch
Marcel Reich-Ranicki auf Polnisch! Interview mit Joanna Skibińska 1997
Marcel Reich-Ranicki auf Polnisch! Interview mit Joanna Skibińska 2000
Ende 1949 wurde Konsul Ranicki plötzlich nach Warschau bestellt. Wenig später wurde er aus dem MBP, dem Außenministerium und der Kommunistischen Partei, deren Mitglied er war, ausgestoßen. Warum? Lag es – wie MRR später andeutete – am im polnischen Apparat aufkommenden Antisemitismus? Oder an ideologischer Entfremdung zwischen ihm und der Partei? Das ist nicht zweifelsfrei festzustellen. Aus den Akten geht außerdem hervor, dass Ranickis Londoner Apparat aus Mitarbeitern und Agenten (unter anderem durch Seitenwechsel) fast völlig zusammengebrochen war, was beim Geheimdienstchef in Warschau die Alarmglocken läuten ließ.
Ranicki schreibt, er habe es als „Anstandspflicht“[7] angesehen, „loyal“ zu sein und dennoch nach Polen zurückzukehren. Ob er damit Loyalität gegenüber dem Land seiner Herkunft meinte, gegenüber dem herrschenden System oder einer anderen Instanz, läßt er offen. Sicher ist nur, dass er nicht „aus politischen Gründen“ um seine Abberufung bat, wie er später einmal behauptet hat[8]; mit dieser Behauptung rückt er sich selbst in die Nähe von Dissidenten und Bürgerrechtlern.
Der Sturz war dennoch schmerzhaft; auch musste Ranicki zwei Wochen in Haft verbringen. Dann war er – mit Teofila und dem in London geborenen Sohn Andrew – wieder frei, so frei, wie es im Polen der Stalinzeit eben möglich war. Und in der Zelle, in der er immerhin deutsche Literatur lesen durfte, war ein neuer Ranicki geboren worden: der Literaturkritiker.
Nach und nach etablierte sich Ranicki als Fachmann vor allem für deutsche Literatur – ein in Polen nach 1945 nicht gerade sehr beliebtes Feld. Er schrieb zahllose Texte, von der Dorfzeitung „Wieś“ über Kulturzeitungen bis hinauf zum Parteiorgan „Trybuna Ludu“. In den fünfziger Jahren kamen außerdem Autoren zu Besuch, erst Brecht aus der DDR, dann Böll und Grass aus der Bundesrepublik – Ranicki war für sie der ideale Ansprechpartner und lernte sie alle kennen. Aber auch viele der berühmtesten polnischen Schriftsteller hat er gekannt (Lec, Tuwim). Nach einer kurzen Studienreise in die Bundesrepublik unternahm Ranicki 1958 den Versuch, noch einmal ein deutsches Visum für sich und – um die Behörden irrezuführen - gleichzeitig britische Visa für Frau und Kind zu bekommen. Der Plan ging auf: Als alle im Westen waren, blieben sie dort.
Jetzt begann – nach MBP und polnischem Kulturbetrieb – die dritte Karriere dieses Mannes. Er begann sie als „Reich-Ranicki“, weil ein Redakteur der F.A.Z. ihm riet, seine beiden Namen zu einem Doppelnamen zusammenzufügen. Der Kritiker begann bei der FAZ, wechselte dann zur „Zeit“ nach Hamburg, kehrte später zur FAZ. zurück und leitete außerdem von 1988 bis 2001 die Sendung „Literarisches Quartett“ beim ZDF. Inzwischen galt er als der „Literaturpapst“ Deutschlands. Früh hatte er sich der Gruppe 47 angeschlossen, der wichtigsten Gruppierung deutschsprachiger Schriftsteller.