Obdachlose Pol:innen in Deutschland. Geschichten, die gehört werden müssen!

Die Podcast-Reihe „Bezdomni Polacy w Niemczech (Obdachlose Pol:innen in Deutschland)“ / Adam Gusowski, Monika Sędzierska
Die Podcast-Reihe „Obdachlose Pol:innen in Deutschland“ / Adam Gusowski, Monika Sędzierska

2. Gefangene der Straße
 

Die zweite Folge veranschaulicht den Alltag auf der Straße – den Kampf ums Überleben und gegen die Sucht sowie die Mechanismen, die die Obdachlosen daran hindern, den Teufelskreis der Hoffnungslosigkeit zu durchbrechen.

„Für einen Obdachlosen ist Deutschland am besten“, sagt Jędrzej, der sich seit zehn Jahren in den Straßen Berlins herumtreibt. „Man muss nur ein paar Pfandflaschen abgeben, schon hat man zwei Euro. Dann kann man losgehen und kaufen, was das Herz begehrt: Wein oder Bier, denn Essen gibt es hier an jeder Ecke kostenlos.“ Eine Ironie des Schicksals? Denn obwohl den Obdachlosen in Deutschland viel mehr Unterstützung geboten wird als anderswo in Europa, so ist das Leben auf der Straße doch äußerst brutal – es ruiniert nicht nur die Gesundheit, sondern auch zwischenmenschliche Beziehungen und Hoffnungen auf eine bessere Zukunft.

In den Straßen Berlins leben 5.000 obdachlose Pol:innen. Viele landen in Notunterkünften wie dem „Ballon“ in der Frankfurter Allee, wo sie etwas essen, sich aufwärmen und dem Chaos der Straße wenigstens für eine kurze Zeit entfliehen können. Wie viele andere polnische Obdachlose kommt auch Beata regelmäßig zum Mittagessen in den „Ballon“. „Ich schlafe in dem sogenannten Rattengehege, das heißt, in der Notschlafstelle. Dort wird man um sechs Uhr morgens geweckt und rausgeschmissen, dann muss man sich den ganzen Tag rumtreiben. Manchmal weine ich über mich selbst. Ich vermisse Polen, aber hier ist es besser, hier kann man wenigstens gut essen.“

Vielen Pol:innen erscheint das Leben auf der Straße in Deutschland einfacher als in Polen. Doch auch hierzulande ist es oft genug ein harter Überlebenskampf. „Wir gehen bechern oder pfanden“, beschreibt Marek, wie er seinen Lebensunterhalt bestreitet: Pfandflaschen sammeln oder mit einem Becher an Bankeingängen betteln.

Zu den größten Problemen der polnischen Obdachlosen zählt die Alkoholsucht. Czarek gibt zu: „Ich habe alle meine Jobs wegen Alkohol verloren. Jetzt lebe ich auf der Straße.“ Fehlende Dokumente erschweren zusätzlich die Rückkehr zur Normalität. Beata gesteht offen: „Ich kann nicht zurück nach Polen, weil über mich eine Bewährungsstrafe verhängt wurde. Ich habe weder einen Personalausweis noch einen Pass, und ohne Dokumente bekomme ich keinen Job.“

Doch trotz all dieser Widrigkeiten bemühen sich viele obdachlose Pol:innen, ihre Würde zu bewahren und sich gegenseitig zu unterstützen. „Die Polen halten hier zusammen“, sagt Beata. „Man bestiehlt einander nicht, hilft einander. Das sind richtige Polen hier.“

Das deutsche Sozialsystem sticht im Vergleich zu anderen Ländern tatsächlich hervor. Jędrzej, der bereits in den Niederlanden, Frankreich und Spanien unterwegs war, betont: „Die Deutschen gehen mit Obdachlosen sehr menschlich um. Wenn man krank ist, wird man im Krankenhaus aufgenommen. Essen, Kleidung, Schlafstelle – alles gibt’s hier kostenlos. Aber es ist auch die Hölle, weil die Leute hierherkommen und glauben, das ist das Paradies, und dann geraten sie in einen Teufelskreis aus Alkohol und Drogen.“ Trotz zahlreicher Möglichkeiten schaffen es viele Obdachlose nicht, in ein normales Leben zurückzufinden. „Berlin ist eine Teufelsstadt“, sagt Jędrzej. „Ein verfluchter Ort. Polen sterben hier auf der Straße durch Alkohol und Drogen. Ich habe meine Freunde in ihren Zelten wegsterben gesehen, von allen vergessen.“

Ist es überhaupt möglich, von der Straße wegzukommen? Berichte wie der von Sylwia Jasion aus Hannover spenden Mut und Zuversicht. „Eine Dame, die lange auf der Straße gelebt hat, hat sich ein Herz gefasst, einen Pass beantragt, eine Anstellung gefunden, ein Kind bekommen und ein neues Leben angefangen“, erzählt Sylwia. Möglich machen es Streetworker:innen wie Zuza Mączyńska vom Verein „Gangway“ und die Zusammenarbeit von Einrichtungen in Polen und in Deutschland. Expert:innen betonen jedoch, dass hierfür ein engagiertes Mitwirken von beiden Seiten notwendig ist: der Einrichtungen sowie der Obdachlosen selbst.

Obdachlosigkeit ist mehr als nur eine Statistik. Es sind Lebensgeschichten von echten Menschen – oft geprägt von Schmerz, Kampf und Verlust. Beata träumt davon, nach Polen zurückzukehren. Jędrzej behauptet, Berlin habe sein Leben zerstört. Marek hingegen sucht Hoffnung in alltäglichen, freundlichen Gesten. Ihre Berichte erinnern uns daran, dass hinter jeder obdachlosen Person eine Lebensgeschichte steht, die es verdient, gehört zu werden.

 

Mediathek
  • Obdachloser mit Becher

    Berlin, 2024
  • Zeltlager von Obdachlosen unter einer Brücke

    Berlin, 2024
  • Zeltlager von Obdachlosen auf der Straße

    Berlin, 2024
  • Dr. Tomasz Skajster

    Vivantes Klinikum Berlin, 2024
  • Patient:innen der „Krankenwohnung“ der Caritas

    Berlin, 2024
  • Zuzanna Mączyńska, Streetworkerin von „Gangway“, und Monika Sędzierska

    Berlin, 2024