Sabina Kaluza. Kunst und „Postmemory“
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Video 1/3: maske (2005)
Video 2/3: reduktion (2005)
Video 3/3: gegen die zeit (2005)
Dokumentarfilm „PIERWSZY DZIEŃ“ [DER ERSTE TAG] (2014)
Dokumentarfilm „DER ERSTE TAG“ (2014)
„Atelier digital #16“ zu Gast bei der Künstlerin Sabina Kaluza
SACRUM VS. REVOLTE
Als Frau und als Künstlerin trägt Sabina Kaluza sowohl die Erinnerung an die oppressive, streng katholische Erziehung in sich, in der alles, was mit dem weiblichen Körper und der weiblichen Sexualität zu tun hat, als Sünde und Ausdruck animalischer Verführung verpönt wird, als auch die Spuren des Heranwachsens in einer androzentrischen Gesellschaft, die nur die oberflächliche Schönheit junger Frauen glorifiziert. Um die eigene Erinnerung aus diesen patriarchalischen Schemata zu lösen, beschränkt sich die Künstlerin nicht nur darauf, tanzende Gestalten darzustellen und eine milde Revolution durch Tanz herbeizubeschwören; sie spricht auch mit vollem Einsatz ihres nackten Körpers das Vaterunser. In dem 15-teiligen Fotozyklus „PATER NOSTER“ (Abb. 21 . , 22.1–15 . ) übersetzt sie die Worte des bekannten Gebets in Gebärdensprache, wobei sie jede der Gebärden so ausführt, um ihren eigenen nackten Körper möglichst präsent in Szene zu setzen. All das, was im Katholizismus tunlichst und auf prüdeste Art und Weise versucht wird zu verbergen, kehrt in Kaluzas Fotografien mit enormer Kraft zurück und wird zu einem feministischen Manifest.
Durch ihre Haltung – den Dauerzwist mit dem Katholizismus – vereint Kaluza in ihrer Kunst die Rebellion gegen die Dogmata des katholischen Glaubens und Fragen der Transzendenz. In diesem Sinne kann das Werk „OHNE TITEL“ aus dem Jahre 2003 (Abb. 23 . ) als eine Art Signatur betrachtet werden. Darin sind Händeabdrücke der Künstlerin zu sehen, erstellt mit ihrem eigenen Menstruationsblut. Es ist eine Art Vera ikon – die Spur einer durchaus leiblichen, doch zutiefst von Spiritualität gezeichneten Präsenz.
GESCHICHTE UND IDENTITÄT
Ihr Werk „ein-hacken“ aus dem Jahre 2005 hat die Künstlerin neulich um zwei Frauengestalten erweitert: Maria Magdalena und Maija (Abb. 24 . , 18 . ). Zu dem Konzept sagt sie: „Diese Gestalten sind Teil meines langjährigen Schaffensprozesses, in dem ich immer wieder zu Fragen der Spiritualität, der Erinnerung und der Identität zurückgekehrt bin. Ich verspüre ein starkes Bedürfnis, Fragen nach der Transzendenz und nach dem Zustand der Menschheit im Kontext der Weltgeschichte zu ergründen. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, erkenne ich, dass mich diese Themen niemals verlassen haben, sondern sich mit mir zusammen weiterentwickelt haben und letztendlich zum Kern meines Schaffens geworden sind. Mein Ziel ist es, Spuren der Vergangenheit in der Gegenwart zu finden und ihnen neue Formen zu verleihen. Maria Magdalena und Maija stehen symbolisch für den Weg, die Suche, das stumme Zeugnis. Beide vereinen spirituelle und persönliche Ebenen, die auch mit meiner eigenen Erfahrung und meinen Gedanken eng verwoben sind.“ (E-Mail an die Verfasserin vom 1.04.2025, Übersetzung aus dem Polnischen.)
VERKÖRPERTES ERINNERN – DIE KUNST ALS MITTEL ZUR POSTMEMORY
Die deutsch-polnische Konzeptkünstlerin Sabina Kaluza widmet sich also einerseits der eigenen, individuellen Erinnerung, in dem das Frausein, die Emanzipation und der Feminismus wichtige Rollen spielen; andererseits aber auch der Postmemory, indem sie Fragen ergründet, die in der traumatischen Mikrogeschichte ihrer Familie vor dem Hintergrund der Makrogeschichte des Zweiten Weltkriegs verankert sind. Sie lebt und arbeitet in Zeiten stetigen Wandels, was sie in einem ihrer neuesten Kunstwerke, „die WELT steht KOPF“ (Abb. 25 . ), zum Ausdruck bringt. Dabei wendet sie sich unterschiedlichen Medien zu: vorwiegend der Fotografie, aber auch der Installation und dem Film. Die Stoffe, die sie verwendet – rostiges Metall, Jute, eine Linse – sind symbolträchtig und beeinflussen unsere Sinne zutiefst. Das zeigt sich u. a. in der Gruppenausstellung „WAR und ist KRIEG”, die im Frühjahr 2025 in den Räumlichkeiten der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin stattfand und ihre Installationen „JEDEM DAS SEINE, LEO!“ und „D-DAY HEERESGRUPPE MIT FRANZ” (Abb. 26 . ) umfasste. Die Sprache der Kunst, der sich Sabina Kaluza bedient, ist eine zutiefst sinnliche; das ergibt sich aus der Natur der Postmemory, die nicht nur in Bildform existiert, sondern oft eben auch sehr körperlich geprägt ist.
Marta Smolińska, Juni 2025