Todesstrafe für eine Liebe in Freren. Auf der Suche nach Bolesław Wernicki (1914–1942)

Die Lichtung auf dem Gallenberg, wo Bolesław Wernicki 1942 erhängt wurde. Allerdings muss es seitdem mal einen Kahlschlag gegeben haben. / Anton Wiechmann 2022
Die Lichtung auf dem Gallenberg, wo Bolesław Wernicki 1942 erhängt wurde. Allerdings muss es seitdem mal einen Kahlschlag gegeben haben.

Wo ist der Leichnam von Bolesław geblieben?
 

Knapp vier Jahre nach der Hinrichtung, am 5. Mai 1946 stellt der Standesbeamte in Andervenne eine Sterbeurkunde aus. Darin notiert er:

„Der polnische Zivilarbeiter Boleslaw Wernicki, wohnhaft zuletzt in Andervenne Oberdorf, ist am 10. Januar 1942 um 10 Uhr 50 Minuten in Andervenne Oberdorf verstorben.“[8]

Eine frühere Version der Sterbeurkunde ist im Archiv des Landkreises Emsland nicht auffindbar. Die Vorschriften des Nationalsozialismus werden aber auch auf dieser später ausgestellten Sterbeurkunde eingehalten: Statt „Exekution auf Befehl des Reichsführers-SS“ hat das Wort „verstorben“ darauf zu stehen.

Es gibt zwei Auszüge der Gräberliste vom Gemeindefriedhof Andervenne, die aber beide nicht mit einem Datum versehen sind. Der Zeitpunkt der Grablegung lässt sich dementsprechend nicht erschließen, lediglich folgende Eintragung ist zu finden:

„Der am 10.7.1942 gestorbene Boleslaw Wernicki ist in Andervenne auf dem Gemeindefriedhof beerdigt. Das Grab ist mit Holzkreuz und Namen versehen.“[9]

Die im digitalen Archiv von Arolsen zu findende Sterbeurkunde und der Auszug aus der Gräberliste dürften eher eine Reaktion auf eine Anfrage des ITS von etwa 1946 sein. Möglicherweise ist Bolesław aus Anlass dieser Anfrage umgebettet oder sein ursprüngliches Grab verschönert worden. Denn die Umstände hatten sich geändert, Himmlers Vorschriften galten nicht mehr, nach denen der Leichnam eines Hingerichteten einem Krematorium zuzustellen oder auf einen jüdischen Friedhof zu verbringen gewesen wäre. Ausnahmsweise hätte der Leichnam auch in der „Selbstmörderecke eines großen Friedhofes“ beerdigt werden können. Wie im Jahr 1942 nach Bolesławs Hinrichtung mit seinem Leichnam tatsächlich verfahren wurde, bleibt letztendlich ungeklärt.

 

Strafrechtliche Ermittlungen
 

Erst 1967/68 wurden strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen. Der Ausführende, der Bolesław den Strick um den Hals legte und das Gerüst umstieß, auf dem er stand, war der Kriminalsekretär und SS-Sturmscharführer Hermann Hagedorn. So bezeugt es sein Kollege und Kriminalobersekretär Eduard Prüssing am 10. Oktober 1967 vor der Sonderkommission Z des Landespolizeikriminalamtes Niedersachsen. Es war nicht die einzige Hinrichtung, an der Hagedorn ausführend beteiligt war. „Der große Macher“ soll er gewesen sein, wenn es um Hinrichtungen ging, bezeugt der Zivilinternierte Karl Wachsmann im Internierungslager Sandbostel bei Bremervörde, als es um seine Entnazifizierung und die anderer Lagerinsassen geht. Neben seinem Schreibtisch habe immer ein Behälter mit den entsprechenden Stricken gestanden. Auch die internierten Zeugen Rudolf Lüders und Karl-Adolf Haas äußern sich in diesem Sinne.

Nach seinen Recherchen über insgesamt zehn Angehörige der Gestapo kommt der Erste Staatsanwalt Wächter beim Landgericht Osnabrück in seiner abschließenden Verfügung vom 3. Dezember 1968 zu einem überraschenden Ergebnis: Haupttäter seien in allen Fällen Heinrich Himmler und die anderen Führer des Reichssicherheitshauptamtes gewesen. Für die hier Beschuldigten bleibe festzustellen:

„Keiner hat mehr getan, als ihm befohlen war, oder ist über den entsprechenden Auftrag hinausgegangen. Keiner hat aus eigenem Entschluss getötet oder den Willen zur Tatherrschaft gehabt.“[10]

Die Verfügung des Ersten Staatsanwaltes Wächter endet mit der Bemerkung: 

„Das Verfahren muss somit eingestellt werden. 
Der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass, wie sich aus einer Übersicht der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg vom 20.9.1967 ergibt, fast alle bei zahlreichen Staatsanwaltschaften anhängig gewesenen ähnlich gelagerten Verfahren wegen ‚Sonderbehandlungen‘ ebenfalls zur Einstellung gelangt bzw. durch Außerverfolgungssetzung oder Freispruch der Angeklagten abgeschlossen worden sind.“[11]

Keine weiteren Ermittlungen, keine Strafverfolgung also für diese Taten allgemein, auch keine Strafverfolgung für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf dem Gallenberg. „Die anderen Staatsanwaltschaften machen es ja auch so …“, so ließe sich der zweite Satz seiner Niederlegungsentscheidung auch formulieren.

 

[8] ITS Digital Archive, Arolsen Archives: 02020202 701, Sterbeurkunde, DocID: 76898732.

[9] ITS Digital Archive, Arolsen Archives: DE ITS 2.1.2.1 NI 044 3 UNB ZM, Gräberlisten im Landkreis Lingen, Gemeinde Andervenne, DocID: 70680858 (Boleslaw WERNICKI).

[10] Verfügung, Wächter, in: NLA OS, Rep. 945 Akz. 2001/054 Nr. 40, Blatt 374.

[11] Ebd., Blätter 377–378.

Mediathek
  • Das sog. „Kriegerdenkmal“ in Andervenne

    Wer nahe herangeht, erkennt die in Stein gemeißelte Inschrift: „Den tapferen Kriegern, die dankbare Gemeinde Andervenne“. An Bolesław Wernicki erinnert nichts…
  • Information über Bolesławs Arbeitgeber

    Ohne Datum
  • Sterbeurkunde von Bolesław Wernicki

    Ausgestellt durch den Standesbeamten in Andervenne am 5. Mai 1946
  • Auszug aus einer Gräberliste des Landkreis Lingen, Gemeinde Andervenne

    Ohne Datum
  • Informationsschreiben für den Internationalen Suchdienst ITS durch den Polizei-Posten Freren, ca. 1949

    Zu Vornamen, Todesdatum und Alter werden falsche Angaben gemacht, der Verbleib der Leiche war nicht recherchierbar, aber den Hinrichtungsgrund glaubt man zu kennen. Man beachte die Informationsquelle!
  • Auf Befehl des Reichsführers SS erhängt: Bolesław Wernicki, Hamburg 2022

    Buchcover (vorne)
  • Auf Befehl des Reichsführers SS erhängt: Bolesław Wernicki, Hamburg 2022

    Buchcover (hinten)