Vom Warschauer Aufstand nach Frankfurt am Main. Polnische KZ-Häftlinge in den Frankfurter Adlerwerken
Mediathek Sorted
Jahrzehntelanger Kampf um die Erinnerung
In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren die in den Adlerwerken verübten Verbrechen an KZ-Häftlingen in der Stadtgesellschaft bekannt; ihnen wurde aber angesichts des allgemeinen Ausnahmezustands, der in der zerstörten Stadt herrschte, keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Die Frankfurter Rundschau berichtete über die Ermittlungen und Prozesse. Die über 500 auf dem Hauptfriedhof begrabenen Häftlinge wurden nach dem Krieg umgebettet. Auch in Orten entlang der Todesmarschstrecke wie etwa in Dörnigheim, wo erschossene Häftlinge notdürftig verscharrt worden waren, wiesen die Amerikaner die örtliche Bevölkerung an, die Toten zu exhumieren und würdig zu bestatten. Bei der Exhumierung in Dörnigheim waren sogar zwei Überlebende anwesend. Sie waren an die Stätte ihres Leidens zurückgekehrt. (Abb. 26 . )
Die Grabstätte auf dem Hauptfriedhof wurde zur sichtbarsten Spur des Lagers im Stadtraum, die im Lauf der Nachkriegsjahrzehnte mehrfach um Gedenkelemente erweitert wurde.[9] Im Jahr 1972 ließ das hessische Innenministerium die Ruhestätte mit Steinplatten einfassen, auf denen die Namen aller in Frankfurt Verstorbenen eingraviert waren. Im Jahr 1988 fand Zygmunt Świstak hier das Grab seines Bruders Tadeusz. (Abb. 27 . , 28 . ) Seit dem Jahr 2025 erinnert eine Glasstele an der Grabstätte mit in alphabetischer Reihenfolge eingravierten Namen an jeden einzelnen in Frankfurt ums Leben gekommenen Häftling. (Abb. 29 . )
Wie an vielen anderen Verbrechensorten des Nationalsozialismus geriet die Geschichte des KZ „Katzbach“ im Laufe der Jahre in Vergessenheit. Seit den 1980er Jahren begannen zivilgesellschaftliche Akteure auf die Geschichte des Ortes aufmerksam zu machen und sich für eine öffentliche Erinnerung an das KZ-Außenlager einzusetzen. Ernst Kaiser und Michael Knorn leiteten Forschungsprojekte, nahmen Kontakt mit Überlebenden auf und veröffentlichten 1994 die erste Monographie zum Lager. Der Betriebsrat der Adlerwerke unter seinem Vorsitzenden Lothar Reiniger brachte das Thema innerbetrieblich auf die Tagesordnung. Im Jahr 1992 gründete sich der Verein LAGG (Leben und Arbeiten in Griesheim und Gallus e.V.), der sich bis heute für das Gedenken an das KZ-Außenlager engagiert und Besuche von Überlebenden organisierte. (Abb. 30 . ) Im Jahr 1998 erstritt er bei der Dresdner Bank, der als große Anteilseignerin eine Mitverantwortung zugesprochen wurde, eine Zahlung von 8.000 Mark an elf zu diesem Zeitpunkt bekannte Überlebende.
Die Stadt Frankfurt am Main brachte diesen Initiativen zunächst wenig Interesse entgegen; teilweise wurde die Existenz eines KZ-Außenlagers in den Adlerwerken sogar angezweifelt. Seit dem Jahr 2016 setzte sie sich jedoch für die Errichtung einer Gedenkstätte ein. Der „Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik – Zwangsarbeit – Konzentrationslager“ konnte im März 2022 am Ort des Verbrechens in der Kleyerstraße eröffnen. Dort wurde die Möglichkeit geschaffen, sich intensiv mit den Geschehnissen im KZ-Außenlager der Adlerwerke auseinanderzusetzen. Ziel ist es, Wissen über die Vergangenheit zu vermitteln und damit zu einem besseren Verständnis der Gegenwart beizutragen. Auch im öffentlichen Raum wird weiterhin an die Verbrechen erinnert. Eine vom Verein LAGG organisierte Aktion fand im März 2022 statt, als sich Tausende Frankfurter:innen entlang des Mainufers versammelten und mit selbstgestalteten Schildern an jeden einzelnen Häftling erinnerten. Viele nutzten die Gelegenheit, sich intensiver mit dem Schicksal der jeweiligen Person zu beschäftigen. (Abb. 31 . , 32 . ) Im März 2025, zum 80. Jahrestag des Todesmarsches, wurde mit zahlreichen Veranstaltungen in Frankfurt und in den Gemeinden entlang der Todesmarschstrecke an die Geschehnisse erinnert.
Andrea Rudorff, Juli 2025
(Das Forschungsprojekt von Dr. Andrea Rudorff zu „Katzbach“ war von 2018 bis 2020 am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main angesiedelt.)
Literatur:
Andrea Rudorff: Katzbach – Das KZ in der Stadt. Zwangsarbeit in den Adlerwerken Frankfurt am Main 1944/45, Göttingen 2021.
Ernst Kaiser und Michael Knorn: „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten. Rüstungsproduktion, Zwangsarbeit und Vernichtung in den Frankfurter Adlerwerken“, Frankfurt am Main/New York, 1994.
Joanna Skibinska: Die letzten Zeugen. Gespräche mit Überlebenden des KZ-Außenlagers „Katzbach“ in den Adlerwerken in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main/Hanau 2005.
Janusz Garlicki: Von der Wahrscheinlichkeit zu überleben. Aus dem Warschauer Aufstand ins KZ-Außenlager bei den Frankfurter Adlerwerken, Wiesbaden 2021.
https://geschichtsort-adlerwerke.de/
[9] Zur Geschichte des Grabes siehe den Text von Joanna de Vincenz: https://www.porta-polonica.de/de/kriegsgraeber/gemeinschaftsgrab-der-kz-haeftlinge-des-kz-katzbach-den-adlerwerken.