"Zofia Posmysz – szrajberka"

Zofia Posmysz, Erkennungsbild (Fragment), aufgenommen bei der Registrierung im KL Auschwitz im Jahr 1942
Zofia Posmysz, Erkennungsbild (Fragment), aufgenommen bei der Registrierung im KL Auschwitz im Jahr 1942

Im Juni 1943 nahm ich meine Arbeit als Schreiberin auf. Direkt nach dem Appell ging ich in mein Büro. Das war ungefähr um sieben beziehungsweise halb acht. Um acht Uhr kam die Küchenaufseherin, in der Regel die Franz; sie löste die Aufseherin, die nachts bei den Köchinnen war, ab. Direkt nach meiner Ankunft fing ich mit der Arbeit an, also mit den Berechnungen und den Überprüfungen. Der Personalstand der Blöcke und die vorgegebenen Portionen, also die festgelegten Essensrationen für jede Gefangene, lagen mir vor. Nun musste ich das auf die entsprechende Menge der Produkte umlegen, je nach dem, was für diesen Tag eingeplant war. Jeden Tag gab es Brot, aber es gab auch Beigaben zum Brot. Das alles hatte ich auszurechnen und umzurechnen.

Ein wenig Zeit für mich hatte ich, wenn die Aufseherin Franz zu Mittag fuhr, dann konnte ich schreiben. Als Schreiberin hatte ich Zugang zu den Schreibutensilien. Ich fing mit Notizen über den Alltag an, ging aber bald zu Gedichten über. Heute messe ich ihnen keinen hohen poetischen Wert mehr bei. Die Gedichtskizzen schreib ich auf lose Zettel. Eines Tages erhielt ich eine Kladde, in die ich die Gedichte dann übertragen habe. Endlich konnte ich sie alle zusammenführen. Die meisten Gedichte waren Gebete oder Erinnerungen an die Freiheit. Einige von ihnen nehmen Bezug auf den Tod von Tadeusz. Unter diesen Gedichten befindet sich auch der für mich wichtige „List do Matki“ [Brief an die Mutter]. Das Schreiben der Gedichte entsprang dem Willen, sich aus der unmenschlichen Wirklichkeit, von der wir damals umgeben waren, loszureißen. Und diese Realität wurde zunehmend schrecklicher. Zwar hatten wir, die wir in der Küche und in der Brotkammer gearbeitet haben, es viel leichter und besser als die anderen Häftlinge, doch dabei hatte alles, was sich an der Rampe und in den Gaskammern abspielte, entsetzlichen Einfluss auf unser Leben. Wir wussten von der Hekatombe, der Apokalypse, die dort herrschte. Tag und Nacht hörte man die ankommenden Züge, ein Transport nach dem anderen. Ob wir es wollten oder nicht, wurden wir Zeugen des Ganzen und irgendwie nahmen wir auch daran teil. Wahrscheinlich war mein Schreiben ein Versuch, mich aus dieser schrecklichen Wirklichkeit loszureißen. Allerdings diensten nicht alle Gedichte der Flucht in eine andere Welt. Es gab auch welche, die ich politisch nennen könnte. Eines davon klagte England für seine Mitschuld am Holocaust an, da es nichts dagegen tat. In Auschwitz sterben Menschen, die Krematorien brennen, die Schornsteine rauchen Tag und Nacht, wir ersticken im Lager am Gestank der brennenden Körper und England tut nichts. Ich dachte, dafür sollte es aus Scham selbst ersticken.