Zwangsarbeit in einer Tarnfabrik des Bosch-Konzerns bei Hildesheim

Aus aller Herren Länder
Natürlich brauchte das Unternehmen nicht nur für diese Produktionssteigerungen Arbeitskräfte. Bereits Ende 1940 setzte es die ersten Ausländer ein: 59 französische Kriegsgefangene wurden damals in die Hildesheimer Rüstungsfabrik von Bosch verbracht. Die Betriebsleitung hatte die Männer über das städtische Arbeitsamt vom Kriegsgefangenenlager (Stalag) Fallingbostel angefordert. Ihr Arbeitseinsatz war ein eindeutiger Verstoß gegen das Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929, dem zufolge Arbeiten von Kriegsgefangenen in keiner Beziehung zu Kriegsunternehmungen stehen durften. Trotzdem kamen im Laufe des Jahres 1941 weitere Kriegsgefangene aus Frankreich und Belgien in das Hildesheimer Bosch-Werk.[8]
Überall fragten die Geschäftsführer nach ausländischen Arbeiter:innen an: beim städtischen und beim Landesarbeitsamt, beim Reichsarbeitsministerium, außerdem beim Rüstungskommando, bei der Rüstungsinspektion in Hannover, ja selbst beim Oberkommando des Heeres und beim Reichsministerium für Bewaffnung und Munition in Berlin.[9] Im Oktober 1942 bestand die Belegschaft bereits fast zu 40 Prozent aus Ausländer:innen. Im September 1944 meldeten die Trillke-Werke, dass 2.027 ausländische Arbeitskräfte in der Fabrik beschäftig würden; zeitweilig stellten sie etwa die Hälfte der rund 4.000 Beschäftigten. Insgesamt mussten etwa 3.100 Zwangsarbeiter:innen bei ELFI/Trillke arbeiten.[10]
Die größte Gruppe bildeten die „Ostarbeiter“, d.h. Männer und Frauen aus der Sowjetunion, gefolgt von Zwangsarbeiter:innen aus Frankreich und Polen. Auch etwa 90 italienische Militärinternierte und 31 Inder (britische Kriegsgefangene) mussten Zwangsarbeit für das Hildesheimer Bosch-Werk leisten. Außerdem richtete die Firma im Zuchthaus Celle Fertigungsstätten ein und ließ dort etwa 230 Strafgefangene für sich arbeiten.[11]Auch in den Trillke-Werken selbst wurden Häftlinge aus Celle eingesetzt. Um sie von den anderen Beschäftigten zu isolieren, mussten sie in einer Art Drahtkäfig arbeiten.[12]
Gemäß den nationalsozialistischen Vorschriften erhielten Zwangsarbeiter:innen aus Polen und der Sowjetunion bei ELFI/Trillke geringere Löhne als Deutsche und westeuropäische Ausländer:innen. Von dem spärlichen Lohn wurde ihnen zudem ein Teil für die Unterkunft im Barackenlager und für die dürftige Verpflegung abgezogen. Die Kriegsgefangenen erhielten keinerlei Vergütungen, ihren ohnehin niedrigen Lohn führte die Firma direkt an das zuweisende Stalag ab, nachdem sie Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung abgezogen hatte.
In der Regel mussten die Zwangsarbeiter:innen im Hildesheimer Bosch-Werk zehn bis zwölf Stunden täglich arbeiten. Sie bekamen keinen Urlaub und hatten nur sonntags frei. Die meisten arbeiteten am Fließband oder an den Automaten. Viele der damals zur Arbeit in die Fabrik verschleppten Zeitzeuginnen aus Polen und der Ukraine, die in den Jahren 2007 und 2008 für das Projekt „z.B. Bosch. Zwangsarbeit im Hildesheimer Wald“ befragt werden konnten, fanden die Arbeit nicht besonders schwer. Doch die langen Arbeitszeiten, die Schichtarbeit sowie die unzureichende Ernährung führten dazu, dass die Frauen unter Hunger, Übermüdung und Erschöpfung litten. Arbeitskleidung erhielten nur die wenigsten. Einige berichteten von Verbrennungen und Augenverletzungen, weil es keinen Arbeitsschutz gab.[13]
Beaufsichtigt wurden sie vom Werkschutz der Firma. Zeitzeuginnen aus Polen und der Sowjetunion berichteten von Strafen, wobei Beschimpfungen und Schläge das Geringste waren. Die Polin Teodozja Adamek z.B. wurde wegen einer Bagatelle in das von der Gestapo betriebene „Arbeitserziehungslager“ Watenstedt geschickt, in dem KZ-ähnliche Zustände herrschten:
„Als erstes sahen wir eine Frau, Französin, die an einer Leine, die an einem Pfahl gebunden war, bis zur Erschöpfung im Kreis laufen musste. Wir mussten uns sofort ausziehen, und alle gingen unter die Dusche. Ich bekam einen Arbeitsanzug mit einer großen Zahl 21 am Rücken. Das bedeutete Lager 21, in dem man zumindest 21 Tage zur Strafe verbringen musste. Aber was für eine Strafe! Goss es in der Nacht in Strömen, veranstaltete man einen Appell. Nur drei Minuten hatten wir, um uns anzuziehen und anzutreten. Dann standen wir stundenlang in Pfützen draußen.“[14]
Max Clostermeyer, kaufmännischer Geschäftsführer von ELFI und Mitglied der SS, ließ in der Fabrik Anschläge aushängen, wenn ein „Gefolgschaftsmitglied“ in ein Straflager geschickt wurde.[15] So wuchsen Angst und Leistungsdruck unter den Beschäftigten.
ELFI/Trillke brachte die Ausländer:innen in Barackenlagern unter. So sollten sie von der deutschen Bevölkerung isoliert werden. Das Lagergelände für die Polinnen war mit einem Maschenzaun abgegrenzt. Die Baracken waren aus Holz und hatten jeweils zehn „Stuben“ für 16 Personen. Die „Stuben“ waren mit doppelstöckigen Holzpritschen, einem Tisch, Stühlen und Spinden sowie einem Ofen ausgestattet. Im Winter litten die Frauen unter der Kälte, denn sie erhielten viel zu wenig Brennstoff zum Heizen. Die hygienischen Bedingungen waren denkbar schlecht: Es gab nur einen Eimer und eine Schüssel zum Waschen, aber kein fließendes Wasser; die Toiletten waren weit entfernt. Ungeziefer wie Wanzen, Flöhe und Läuse breiteten sich aus und damit auch Krankheiten. Die Baracken der „Ostarbeiter“ waren mit einem doppelten Zaun eingegrenzt und wurden besonders bewacht; hier waren Hunger und Krankheiten noch verbreiteter.
Die Verpflegung war der nationalsozialistischen Rassenideologie entsprechend gestaffelt. „Westarbeiter“ erhielten besseres Essen als die Zwangsarbeiter:innen aus Polen. Die Lebensmittelzuteilungen für die sowjetischen Arbeiter:innen und die italienischen Militärinternierten waren so gering und schlecht, dass diese Menschen oft Abfälle aßen und sogar von den unterernährten Pol:innen manchmal Brot zugesteckt bekamen.[16] Auch bei Trillke selbst räumte man ein, dass die Verpflegung der „Ostarbeiter“ äußerst knapp sei: „Wir haben fast täglich Fälle, dass durchaus arbeitswillige Ukrainer an der Maschine ohnmächtig zusammenbrechen.“[17]
Ihre Freizeit nutzten die meisten polnischen Zwangsarbeiter:innen, um zur Kirche zu gehen. Mehrere polnische Zeitzeuginnen berichteten aber auch von Ausflügen nach Hildesheim. Wenn sie den Bus zur Stadt benutzen wollten – was ihnen ausdrücklich verboten war –, entfernten sie ihre Abzeichen mit dem Buchstaben „P“. Während des Krieges mussten alle Pol:innen in Deutschland das „P“ tragen, das sie ausgrenzen und als „minderwertig“ markieren sollte. Auch der Besuch von Kinos, Gaststätten oder eines Friseurs war den polnischen Arbeiter:innen nicht gestattet. Die Hildesheimer Stadtverwaltung untersagte ihnen zudem an Wochentagen von 17 bis 21 Uhr sowie sonntags „das Begehen des Hauptstraßenzuges Bernwardstraße – Almsstraße – Hoher Weg – Altpetristraße“.[18] Auch in den städtischen Anlagen, im Steinberg und im Hildesheimer Wald, auf dem Friedhof und in Kleingartenanlagen durften sie sich in der Zeit von 12 bis 21 Uhr nicht aufhalten.
Die Regeln für die „Ostarbeiter“ waren noch restriktiver. Sie durften erst 1943 ohne Bewachung das Lager verlassen. Ausgang hatten sie nur an Feiertagen. Ständig mussten sie das diskriminierende Abzeichen „OST“ tragen.
[8] Zu den Zahlen der bei ELFI/Trillke eingesetzten Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeiter:innen hier und im Folgenden vgl. Bähr, Bosch im Dritten Reich , S. 222–224 und Anmerkungen, sowie Manfred Overesch: Bosch in Hildesheim 1937–1945, Göttingen 2008, S. 218 ff.
[9] Vgl. Overesch, Bosch in Hildesheim, S. 219.
[10] Vgl. Bähr, Bosch im Dritten Reich, S. 222.
[11] Robert Bosch Archiv, Schreiben an die Autorin vom 23.2.2015 und 26.11.2015.
[12] Vgl. Hans Teich: Hildesheim und seine Antifaschisten, Hildesheim 1979, S. 66.
[13] Vgl. www.zwangsarbeit-bosch.de/zeitzeugen/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2025).
[14] Teodozja Adamek im Gespräch mit Angela Martin und Ewa Czerwiakowski, 22. September 2007 in Łódź. www.zwangsarbeit-bosch.de/zeitzeugen/teodozja-adamek/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2025).
[15] Vgl. Teich, Hildesheim und seine Antifaschisten, S. 66.
[17] Bundesarchiv-Militärarchiv, RW 19/2147 (Ostarbeiter, Bd. 2), Bl. 60 ff. Den Hinweis auf diese Quelle verdanke ich Günther Siedbürger.
[18] Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 6.11.1941.