Zwangsarbeit in einer Tarnfabrik des Bosch-Konzerns bei Hildesheim

„Keine moralische Schuld“?
Die Trillke-Werke überstanden die Luftangriffe auf Hildesheim ohne jeglichen Schaden, obwohl die britische Royal Air Force die Anlagen bei einem Aufklärungsflug im Februar 1945 fotografiert hatte. Am 7. April 1945 erreichten Truppen der 9. US-Armee das Werk und besetzten es. Bereits am folgenden Tag entließ die Firma sämtliche Zwangsarbeiter:innen.[19] Die Ausländer:innen waren damit sich selbst überlassen. Es kam zu Plünderungen und Racheakten.
Viele ehemalige Zwangsarbeiter:innen lebten als „Displaced Persons“ weiterhin in Lagern, bis sie in ihre Heimat zurückkehren oder emigrieren konnten. Die „Ostarbeiter“, die bei ELFI/Trillke hatten arbeiten müssen, wurden zwangsweise „repatriiert“, d.h. in die Sowjetunion zurückgebracht. Weil die sowjetischen Behörden sie pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigten, mussten sie sich in sogenannten Filtrierlagern Verhören unterziehen. Etliche wurden zur Zwangsarbeit in sowjetischen Lagern verurteilt, viele noch Jahrzehnte später diskriminiert. Zwangsarbeiter:innen aus dem polnischen Vorkriegsgebiet konnten „wählen“, ob sie in ihre Heimat zurückkehren, in ein anderes Land emigrieren oder in Deutschland bleiben wollten. Fast alle der interviewten ehemaligen Zwangsarbeiter:innen von Bosch litten bis an ihr Lebensende an gesundheitlichen Folgen der Lagerhaft; für viele war der Abschluss ihrer Ausbildung nicht möglich, so dass sie ihre Berufs- und Lebenspläne aufgeben mussten.[20]
Die Trillke-Werke durften nach Kriegsende zunächst nur Reparaturarbeiten ausführen, doch bereits am 29. Juni 1945 erhielt der Betrieb von der britischen Besatzungsmacht die Erlaubnis, wieder elektronisches Zubehör für Kraftfahrzeuge herzustellen.[21]
Die amerikanische Militärregierung und die Briten strebten eine Entflechtung der deutschen Wirtschaft an. Als eines der größten Rüstungsunternehmen Deutschlands war der Bosch-Konzern davon betroffen; er sollte sich von allen außerhalb Stuttgarts gelegenen Werken trennen. Nach langen Verhandlungen und mit Hilfe des Wirtschaftsministeriums in Bonn kam es Anfang 1952 schließlich zu einer für das Unternehmen annehmbaren Lösung.[22] Im April 1952 wurde die Trillke-Werke GmbH im Handelsregister gelöscht und das Werk fortan unter dem Namen Robert Bosch GmbH/Werk Hildesheim geführt.[23] Sieben Jahre später arbeiteten etwa 10.000 Menschen im Hildesheimer Wald für Bosch und das Tochterunternehmen Blaupunkt.[24] Die Anpassung der Konzernpolitik an die Vorgaben der Nationalsozialisten und die Umstellung der Produktion auf Rüstungsgüter hatte sich gelohnt.
Den ehemaligen Zwangsarbeiter:innen wurde lange eine Entschädigung verwehrt. Bosch verweigerte bis ins Jahr 2000 Zahlungen und stritt jede Mitverantwortung ab. Als 1998/99 in den USA Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen eingereicht wurden, beteiligte sich der Konzern an der Gründung eines Entschädigungsfonds. Hans Merkle, damals Ehrenvorsitzender der Robert Bosch GmbH, schlug für die Verhandlungen die Formulierung vor, „in der Beschäftigung von Zwangsarbeitern keine moralische Schuld, wenn auch eine materielle Verpflichtung der deutschen Wirtschaft“ zu sehen.[25] Nachdem die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) gegründet worden war, zahlte auch Bosch in den Fonds ein. Der Kommentar von Irena Matuszak, einer ehemaligen Zwangsarbeiterin von Trillke: „Die Entschädigung? Ursprünglich hieß es, wir würden 15.000 Mark bekommen – damals gab es noch die D-Mark. Da wäre jeder zufrieden gewesen. Später wurde die Summe immer niedriger und niedriger. Und dann haben wir das in Raten bekommen, so dass man nichts davon hatte. Das ist keine Genugtuung.“[26]
Angela Martin, Februar 2025
[19] Vgl. Overesch, Bosch in Hildesheim, S. 250.
[20] Die polnischen Zeitzeug:innen, die wir interviewt haben, lebten alle in Polen, als wir sie 2007 und 2008 besucht haben. Die Kontakte zu ihnen hatte die Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung in Warschau vermittelt, die als Partnerorganisation der Stiftung Erinnerung – Verantwortung – Zukunft (EVZ) für die Entschädigungszahlungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter:innen in Polen zuständig war. Eine unserer Gesprächspartner:innen hatte etwa zwei Jahre lang in einem DP-Lager verbracht, bevor sie beschloss, nach Polen zurückzukehren – eine Entscheidung, die sie später bereute. Der Heimatort einer anderen Zeitzeugin gehörte bei Kriegsende zur Sowjetunion, sie kehrte daher nicht dorthin zurück, sondern zog in einen Ort auf dem Gebiet der VR Polen. Vgl. www.zwangsarbeit-bosch.de/zeitzeugen/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2025).
[21] Vgl. Overesch, Bosch in Hildesheim, S. 250.
[22] Vgl. Paul Erker: Anpassungs- und Transformationsprozesse zwischen Wirtschaftsboom und Wirtschaftskrisen (1945–1983), in: Johannes Bähr/Paul Erker, Bosch, S. 253–395, hier S. 264 ff.
[23] Vgl. Overesch, Bosch, S. 78.
[24] Ebd.
[25] Zit. nach Bähr, Bosch im Dritten Reich, S. 235.
[26] Irena Matuszak im Gespräch mit Angela Martin und Ewa Czerwiakowski am 20. Oktober 2008 in Gdańsk. www.zwangsarbeit-bosch.de/zeitzeugen/irena-matuszak/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2025).