Zwangsarbeit in einer Tarnfabrik des Bosch-Konzerns bei Hildesheim

Schattenfabriken
Das Hildesheimer Bosch-Werk war eins von zwei großen „Ausweichwerken“ des Stuttgarter Bosch-Konzerns. Er war Marktführer bei der Ausrüstung von Kraftfahrzeugen und Flugmotoren und damit ein Schlüsselbetrieb für die Aufrüstung des Deutschen Reiches. Vor allem die Einspritzpumpen, Anlasser und Magnetzünder von Bosch waren unersetzlich für die Kriegsvorbereitungen der Nationalsozialisten. Daher wandten sich Vertreter der neuen Regierung bereits 1933, im Jahr der Machtübernahme, an Robert Bosch. Der Raum Stuttgart, in dem der Bosch-Konzern seine zentralen Fabriken betrieb, galt wegen seiner Nähe zu Frankreich als militärisch schwer zu verteidigen. Deshalb solle das Unternehmen neue Fertigungsstätten in einer sicheren Region im Innern Deutschlands errichten.[2]
Bosch stimmte zu und gründete in den folgenden Jahren zwei geheime Rüstungsfabriken im Landesinneren: Zunächst ein Unternehmen mit dem Tarnnamen Dreilinden Maschinenbau GmbH in Kleinmachnow bei Berlin, wo elektronisches Flugzeugzubehör für die Luftwaffe produziert wurde.[3] Zwei Jahre später beschloss Bosch, auch in Hildesheim ein Ausweichwerk zu betreiben. Dieses Werk mit dem harmlosen Namen Elektro- und Feinmechanische Industrie GmbH (ELFI) diente ebenfalls ausschließlich der Rüstungsproduktion.
Bosch war nicht das einzige Unternehmen, das in den ersten Jahren der NS-Herrschaft Verlagerungswerke errichtete. Die Nationalsozialisten verfolgten von Anfang an eine Politik der Duplizierung und Dezentralisierung von Rüstungsfirmen, schrieb ein US-amerikanischer Berichterstatter 1943. „Es war nicht gestattet, weitere Fabriken bei schon existierenden Anlagen zu bauen, vor allem dann nicht, wenn diese in den angreifbaren westlichen Regionen Deutschlands lagen.“[4] Schlüsselunternehmen der Rüstungsindustrie wurden vielmehr dazu angehalten, Zweitanlagen zu bauen. Diese „Schattenfabriken“, wie die Amerikaner sie nannten, entstanden unter größter Geheimhaltung und in enger Zusammenarbeit mit den NS-Behörden.[5]
In der Dreilinden Maschinenbau GmbH (DLMG) lief bereits 1935 die Produktion an. Auch für die Motorisierung des Heeres sollte Bosch ein Ausweichwerk fern von den Grenzen des Deutschen Reiches errichten. Im Frühjahr 1937 trat das Heereswaffenamt daher erneut an die Firma heran. Aber während Bosch den Bau der DLMG aus eigenen Mitteln bestritten hatte, bot man dem Unternehmen für das Ausweichwerk in Hildesheim ein ausgesprochen attraktives Finanzierungsmodell an, das den Konzern finanziell entlastete und seine Risiken minimierte: das sogenannte Montanschema. Danach erhielt ein Privatunternehmen von der zuständigen Heeresdienststelle des Oberkommandos des Heeres den Auftrag, auf Kosten des Reiches eine Rüstungsfabrik zu bauen. Eigentümerin des neuen Werks war die Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH, eine Treuhandgesellschaft des Heereswaffenamtes. Sie verpachtete die fertigen Werksanlagen an die beauftragte Privatfirma. Diese wiederum gründete dazu eine Tochtergesellschaft und verpflichtete sich, die neue Fabrik mit dem erforderlichen Know-how einzurichten und zu betreiben. Auf diese Weise erreichte das Heereswaffenamt, dass private Industriekonzerne für militärisch wichtige Produkte Fabriken auch dann betrieben, wenn diese langfristig nicht rentabel zu sein schienen. Außerdem wurden diese Fabriken bei der Zuteilung von Arbeitskräften, Rohstoffen und Energie bevorzugt. Bis Kriegsende wurden 119 solcher Betriebe eingerichtet.
Um die Tarnfabrik vor der Entdeckung durch Aufklärungsflugzeuge zu schützen, wurde ELFI – ebenso wie auch die DLMG – im Wald errichtet; die Gebäude waren relativ klein und sollten den Eindruck einer Wohnsiedlung erwecken. Mit ihren Laternenaufbauten und Sheddach-Konstruktionen entsprachen die aus rotem Backstein gemauerten hellen und gut belüfteten Hallen den damals modernsten Standards. Eine der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen beschrieb die Fabrik folgendermaßen:
„Sie war im tiefsten Wald gelegen, so gebaut, dass auf jedem Dach ein kleiner Wald wuchs. Keine Bäume, aber Sträucher. Und diese Sträucher verdeckten zusammen mit den großen Bäumen die Sicht. Deswegen ist die Fabrik niemals getroffen worden, obwohl es oft Bombardierungen gab. Das Gelände wurde sehr schön gehalten. Ich hoffe, dass die Fabrik bis heute steht – ich weiß nicht, was heute dort gemacht wird. Aber die Deutschen hätten etwas, das so schön war, bestimmt nicht zerstört.“[6]
Tatsächlich lässt Bosch noch immer in den Backsteinhallen aus den 1930er Jahren fertigen. Im ehemaligen „Gefolgschaftshaus“ befindet sich jetzt die Kantine.
Im Laufe des Krieges wurde das Werk erweitert und Ende 1942 nach einem nahegelegenen Bach in Trillke-Werke GmbH umbenannt. Die Fabrik erhielt einen eigenen Bahnanschluss, mit dem die strategisch wichtigen Aggregate an die Unternehmen geliefert wurden, die Panzer produzierten. Vor allem nach dem Überfall auf die Sowjetunion und infolge des „Adolf-Hitler-Panzerprogramms“, das eine Verdopplung der bisherigen Planziele bei der Panzerproduktion vorsah, expandierte die Produktion im Hildesheimer Wald. Ab Oktober 1943 nahmen die Trillke-Werke eine Monopolstellung ein: Sie rüsteten sämtliche neuen Panzer der Wehrmacht mit Starterelementen und anderem elektrotechnischen Zubehör aus.[7]
[2] Vgl. Angela Martin: „Ich sah den Namen Bosch“. Polnische Frauen als KZ-Häftlinge in der Dreilinden Maschinenbau GmbH. Berlin 2002 (dt./pl.), S. 215; Johannes Bähr, Bosch im Dritten Reich, S. 195.
[3] Vgl. Martin, „Ich sah den Namen Bosch“, S. 217.
[4] Department of Justice, War Division, Economic Warfare Section, Report on the Activities of Robert Bosch GmbH in the Fuel Injection Industry, submitted by James B. Adams Jr., June 15 1943, S. 36. National Archives, NDD 812045. Übers. A.M.
[5] Vgl. ebd.
[6] Helena Bednarska im Gespräch mit Angela Martin und Ewa Czerwiakowski, 25. September 2007 in Opole, www.zwangsarbeit-bosch.de/zeitzeugen/helena-bednarska/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2025).
[7] Vgl. Bähr, Bosch im Dritten Reich, S. 202.
Aus aller Herren Länder
Natürlich brauchte das Unternehmen nicht nur für diese Produktionssteigerungen Arbeitskräfte. Bereits Ende 1940 setzte es die ersten Ausländer ein: 59 französische Kriegsgefangene wurden damals in die Hildesheimer Rüstungsfabrik von Bosch verbracht. Die Betriebsleitung hatte die Männer über das städtische Arbeitsamt vom Kriegsgefangenenlager (Stalag) Fallingbostel angefordert. Ihr Arbeitseinsatz war ein eindeutiger Verstoß gegen das Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929, dem zufolge Arbeiten von Kriegsgefangenen in keiner Beziehung zu Kriegsunternehmungen stehen durften. Trotzdem kamen im Laufe des Jahres 1941 weitere Kriegsgefangene aus Frankreich und Belgien in das Hildesheimer Bosch-Werk.[8]
Überall fragten die Geschäftsführer nach ausländischen Arbeiter:innen an: beim städtischen und beim Landesarbeitsamt, beim Reichsarbeitsministerium, außerdem beim Rüstungskommando, bei der Rüstungsinspektion in Hannover, ja selbst beim Oberkommando des Heeres und beim Reichsministerium für Bewaffnung und Munition in Berlin.[9] Im Oktober 1942 bestand die Belegschaft bereits fast zu 40 Prozent aus Ausländer:innen. Im September 1944 meldeten die Trillke-Werke, dass 2.027 ausländische Arbeitskräfte in der Fabrik beschäftig würden; zeitweilig stellten sie etwa die Hälfte der rund 4.000 Beschäftigten. Insgesamt mussten etwa 3.100 Zwangsarbeiter:innen bei ELFI/Trillke arbeiten.[10]
Die größte Gruppe bildeten die „Ostarbeiter“, d.h. Männer und Frauen aus der Sowjetunion, gefolgt von Zwangsarbeiter:innen aus Frankreich und Polen. Auch etwa 90 italienische Militärinternierte und 31 Inder (britische Kriegsgefangene) mussten Zwangsarbeit für das Hildesheimer Bosch-Werk leisten. Außerdem richtete die Firma im Zuchthaus Celle Fertigungsstätten ein und ließ dort etwa 230 Strafgefangene für sich arbeiten.[11]Auch in den Trillke-Werken selbst wurden Häftlinge aus Celle eingesetzt. Um sie von den anderen Beschäftigten zu isolieren, mussten sie in einer Art Drahtkäfig arbeiten.[12]
Gemäß den nationalsozialistischen Vorschriften erhielten Zwangsarbeiter:innen aus Polen und der Sowjetunion bei ELFI/Trillke geringere Löhne als Deutsche und westeuropäische Ausländer:innen. Von dem spärlichen Lohn wurde ihnen zudem ein Teil für die Unterkunft im Barackenlager und für die dürftige Verpflegung abgezogen. Die Kriegsgefangenen erhielten keinerlei Vergütungen, ihren ohnehin niedrigen Lohn führte die Firma direkt an das zuweisende Stalag ab, nachdem sie Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung abgezogen hatte.
In der Regel mussten die Zwangsarbeiter:innen im Hildesheimer Bosch-Werk zehn bis zwölf Stunden täglich arbeiten. Sie bekamen keinen Urlaub und hatten nur sonntags frei. Die meisten arbeiteten am Fließband oder an den Automaten. Viele der damals zur Arbeit in die Fabrik verschleppten Zeitzeuginnen aus Polen und der Ukraine, die in den Jahren 2007 und 2008 für das Projekt „z.B. Bosch. Zwangsarbeit im Hildesheimer Wald“ befragt werden konnten, fanden die Arbeit nicht besonders schwer. Doch die langen Arbeitszeiten, die Schichtarbeit sowie die unzureichende Ernährung führten dazu, dass die Frauen unter Hunger, Übermüdung und Erschöpfung litten. Arbeitskleidung erhielten nur die wenigsten. Einige berichteten von Verbrennungen und Augenverletzungen, weil es keinen Arbeitsschutz gab.[13]
Beaufsichtigt wurden sie vom Werkschutz der Firma. Zeitzeuginnen aus Polen und der Sowjetunion berichteten von Strafen, wobei Beschimpfungen und Schläge das Geringste waren. Die Polin Teodozja Adamek z.B. wurde wegen einer Bagatelle in das von der Gestapo betriebene „Arbeitserziehungslager“ Watenstedt geschickt, in dem KZ-ähnliche Zustände herrschten:
„Als erstes sahen wir eine Frau, Französin, die an einer Leine, die an einem Pfahl gebunden war, bis zur Erschöpfung im Kreis laufen musste. Wir mussten uns sofort ausziehen, und alle gingen unter die Dusche. Ich bekam einen Arbeitsanzug mit einer großen Zahl 21 am Rücken. Das bedeutete Lager 21, in dem man zumindest 21 Tage zur Strafe verbringen musste. Aber was für eine Strafe! Goss es in der Nacht in Strömen, veranstaltete man einen Appell. Nur drei Minuten hatten wir, um uns anzuziehen und anzutreten. Dann standen wir stundenlang in Pfützen draußen.“[14]
Max Clostermeyer, kaufmännischer Geschäftsführer von ELFI und Mitglied der SS, ließ in der Fabrik Anschläge aushängen, wenn ein „Gefolgschaftsmitglied“ in ein Straflager geschickt wurde.[15] So wuchsen Angst und Leistungsdruck unter den Beschäftigten.
ELFI/Trillke brachte die Ausländer:innen in Barackenlagern unter. So sollten sie von der deutschen Bevölkerung isoliert werden. Das Lagergelände für die Polinnen war mit einem Maschenzaun abgegrenzt. Die Baracken waren aus Holz und hatten jeweils zehn „Stuben“ für 16 Personen. Die „Stuben“ waren mit doppelstöckigen Holzpritschen, einem Tisch, Stühlen und Spinden sowie einem Ofen ausgestattet. Im Winter litten die Frauen unter der Kälte, denn sie erhielten viel zu wenig Brennstoff zum Heizen. Die hygienischen Bedingungen waren denkbar schlecht: Es gab nur einen Eimer und eine Schüssel zum Waschen, aber kein fließendes Wasser; die Toiletten waren weit entfernt. Ungeziefer wie Wanzen, Flöhe und Läuse breiteten sich aus und damit auch Krankheiten. Die Baracken der „Ostarbeiter“ waren mit einem doppelten Zaun eingegrenzt und wurden besonders bewacht; hier waren Hunger und Krankheiten noch verbreiteter.
Die Verpflegung war der nationalsozialistischen Rassenideologie entsprechend gestaffelt. „Westarbeiter“ erhielten besseres Essen als die Zwangsarbeiter:innen aus Polen. Die Lebensmittelzuteilungen für die sowjetischen Arbeiter:innen und die italienischen Militärinternierten waren so gering und schlecht, dass diese Menschen oft Abfälle aßen und sogar von den unterernährten Pol:innen manchmal Brot zugesteckt bekamen.[16] Auch bei Trillke selbst räumte man ein, dass die Verpflegung der „Ostarbeiter“ äußerst knapp sei: „Wir haben fast täglich Fälle, dass durchaus arbeitswillige Ukrainer an der Maschine ohnmächtig zusammenbrechen.“[17]
Ihre Freizeit nutzten die meisten polnischen Zwangsarbeiter:innen, um zur Kirche zu gehen. Mehrere polnische Zeitzeuginnen berichteten aber auch von Ausflügen nach Hildesheim. Wenn sie den Bus zur Stadt benutzen wollten – was ihnen ausdrücklich verboten war –, entfernten sie ihre Abzeichen mit dem Buchstaben „P“. Während des Krieges mussten alle Pol:innen in Deutschland das „P“ tragen, das sie ausgrenzen und als „minderwertig“ markieren sollte. Auch der Besuch von Kinos, Gaststätten oder eines Friseurs war den polnischen Arbeiter:innen nicht gestattet. Die Hildesheimer Stadtverwaltung untersagte ihnen zudem an Wochentagen von 17 bis 21 Uhr sowie sonntags „das Begehen des Hauptstraßenzuges Bernwardstraße – Almsstraße – Hoher Weg – Altpetristraße“.[18] Auch in den städtischen Anlagen, im Steinberg und im Hildesheimer Wald, auf dem Friedhof und in Kleingartenanlagen durften sie sich in der Zeit von 12 bis 21 Uhr nicht aufhalten.
Die Regeln für die „Ostarbeiter“ waren noch restriktiver. Sie durften erst 1943 ohne Bewachung das Lager verlassen. Ausgang hatten sie nur an Feiertagen. Ständig mussten sie das diskriminierende Abzeichen „OST“ tragen.
[8] Zu den Zahlen der bei ELFI/Trillke eingesetzten Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeiter:innen hier und im Folgenden vgl. Bähr, Bosch im Dritten Reich , S. 222–224 und Anmerkungen, sowie Manfred Overesch: Bosch in Hildesheim 1937–1945, Göttingen 2008, S. 218 ff.
[9] Vgl. Overesch, Bosch in Hildesheim, S. 219.
[10] Vgl. Bähr, Bosch im Dritten Reich, S. 222.
[11] Robert Bosch Archiv, Schreiben an die Autorin vom 23.2.2015 und 26.11.2015.
[12] Vgl. Hans Teich: Hildesheim und seine Antifaschisten, Hildesheim 1979, S. 66.
[13] Vgl. www.zwangsarbeit-bosch.de/zeitzeugen/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2025).
[14] Teodozja Adamek im Gespräch mit Angela Martin und Ewa Czerwiakowski, 22. September 2007 in Łódź. www.zwangsarbeit-bosch.de/zeitzeugen/teodozja-adamek/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2025).
[15] Vgl. Teich, Hildesheim und seine Antifaschisten, S. 66.
[17] Bundesarchiv-Militärarchiv, RW 19/2147 (Ostarbeiter, Bd. 2), Bl. 60 ff. Den Hinweis auf diese Quelle verdanke ich Günther Siedbürger.
[18] Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 6.11.1941.
„Keine moralische Schuld“?
Die Trillke-Werke überstanden die Luftangriffe auf Hildesheim ohne jeglichen Schaden, obwohl die britische Royal Air Force die Anlagen bei einem Aufklärungsflug im Februar 1945 fotografiert hatte. Am 7. April 1945 erreichten Truppen der 9. US-Armee das Werk und besetzten es. Bereits am folgenden Tag entließ die Firma sämtliche Zwangsarbeiter:innen.[19] Die Ausländer:innen waren damit sich selbst überlassen. Es kam zu Plünderungen und Racheakten.
Viele ehemalige Zwangsarbeiter:innen lebten als „Displaced Persons“ weiterhin in Lagern, bis sie in ihre Heimat zurückkehren oder emigrieren konnten. Die „Ostarbeiter“, die bei ELFI/Trillke hatten arbeiten müssen, wurden zwangsweise „repatriiert“, d.h. in die Sowjetunion zurückgebracht. Weil die sowjetischen Behörden sie pauschal der Kollaboration mit den Deutschen verdächtigten, mussten sie sich in sogenannten Filtrierlagern Verhören unterziehen. Etliche wurden zur Zwangsarbeit in sowjetischen Lagern verurteilt, viele noch Jahrzehnte später diskriminiert. Zwangsarbeiter:innen aus dem polnischen Vorkriegsgebiet konnten „wählen“, ob sie in ihre Heimat zurückkehren, in ein anderes Land emigrieren oder in Deutschland bleiben wollten. Fast alle der interviewten ehemaligen Zwangsarbeiter:innen von Bosch litten bis an ihr Lebensende an gesundheitlichen Folgen der Lagerhaft; für viele war der Abschluss ihrer Ausbildung nicht möglich, so dass sie ihre Berufs- und Lebenspläne aufgeben mussten.[20]
Die Trillke-Werke durften nach Kriegsende zunächst nur Reparaturarbeiten ausführen, doch bereits am 29. Juni 1945 erhielt der Betrieb von der britischen Besatzungsmacht die Erlaubnis, wieder elektronisches Zubehör für Kraftfahrzeuge herzustellen.[21]
Die amerikanische Militärregierung und die Briten strebten eine Entflechtung der deutschen Wirtschaft an. Als eines der größten Rüstungsunternehmen Deutschlands war der Bosch-Konzern davon betroffen; er sollte sich von allen außerhalb Stuttgarts gelegenen Werken trennen. Nach langen Verhandlungen und mit Hilfe des Wirtschaftsministeriums in Bonn kam es Anfang 1952 schließlich zu einer für das Unternehmen annehmbaren Lösung.[22] Im April 1952 wurde die Trillke-Werke GmbH im Handelsregister gelöscht und das Werk fortan unter dem Namen Robert Bosch GmbH/Werk Hildesheim geführt.[23] Sieben Jahre später arbeiteten etwa 10.000 Menschen im Hildesheimer Wald für Bosch und das Tochterunternehmen Blaupunkt.[24] Die Anpassung der Konzernpolitik an die Vorgaben der Nationalsozialisten und die Umstellung der Produktion auf Rüstungsgüter hatte sich gelohnt.
Den ehemaligen Zwangsarbeiter:innen wurde lange eine Entschädigung verwehrt. Bosch verweigerte bis ins Jahr 2000 Zahlungen und stritt jede Mitverantwortung ab. Als 1998/99 in den USA Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen eingereicht wurden, beteiligte sich der Konzern an der Gründung eines Entschädigungsfonds. Hans Merkle, damals Ehrenvorsitzender der Robert Bosch GmbH, schlug für die Verhandlungen die Formulierung vor, „in der Beschäftigung von Zwangsarbeitern keine moralische Schuld, wenn auch eine materielle Verpflichtung der deutschen Wirtschaft“ zu sehen.[25] Nachdem die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) gegründet worden war, zahlte auch Bosch in den Fonds ein. Der Kommentar von Irena Matuszak, einer ehemaligen Zwangsarbeiterin von Trillke: „Die Entschädigung? Ursprünglich hieß es, wir würden 15.000 Mark bekommen – damals gab es noch die D-Mark. Da wäre jeder zufrieden gewesen. Später wurde die Summe immer niedriger und niedriger. Und dann haben wir das in Raten bekommen, so dass man nichts davon hatte. Das ist keine Genugtuung.“[26]
Angela Martin, Februar 2025
[19] Vgl. Overesch, Bosch in Hildesheim, S. 250.
[20] Die polnischen Zeitzeug:innen, die wir interviewt haben, lebten alle in Polen, als wir sie 2007 und 2008 besucht haben. Die Kontakte zu ihnen hatte die Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung in Warschau vermittelt, die als Partnerorganisation der Stiftung Erinnerung – Verantwortung – Zukunft (EVZ) für die Entschädigungszahlungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter:innen in Polen zuständig war. Eine unserer Gesprächspartner:innen hatte etwa zwei Jahre lang in einem DP-Lager verbracht, bevor sie beschloss, nach Polen zurückzukehren – eine Entscheidung, die sie später bereute. Der Heimatort einer anderen Zeitzeugin gehörte bei Kriegsende zur Sowjetunion, sie kehrte daher nicht dorthin zurück, sondern zog in einen Ort auf dem Gebiet der VR Polen. Vgl. www.zwangsarbeit-bosch.de/zeitzeugen/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2025).
[21] Vgl. Overesch, Bosch in Hildesheim, S. 250.
[22] Vgl. Paul Erker: Anpassungs- und Transformationsprozesse zwischen Wirtschaftsboom und Wirtschaftskrisen (1945–1983), in: Johannes Bähr/Paul Erker, Bosch, S. 253–395, hier S. 264 ff.
[23] Vgl. Overesch, Bosch, S. 78.
[24] Ebd.
[25] Zit. nach Bähr, Bosch im Dritten Reich, S. 235.
[26] Irena Matuszak im Gespräch mit Angela Martin und Ewa Czerwiakowski am 20. Oktober 2008 in Gdańsk. www.zwangsarbeit-bosch.de/zeitzeugen/irena-matuszak/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2025).