Polenbilder in den deutschen Lebenswelten

Karikatur in der Zeitschrift Kladderadatsch,1919
Karikatur in der Zeitschrift Kladderadatsch,1919

Geradezu symptomatisch mutet hier der dreiteilige ZDF-Fernsehfilm „Unsere Mütter, unsere Väter“ von 2013 an, eine fiktionale Erzählung über das Schicksal junger Deutscher im Krieg. Während die deutschen Verbrechen an den Juden im Osten ausführlich thematisiert werden, wird der polnische Widerstand gegen die deutschen Besatzer nur sehr kurz behandelt und zudem als antisemitisch geprägt dargestellt. Abgesehen davon, dass das Drehbuch insgesamt recht absurd anmutet, wird an dem Film mit seiner hohen Einschaltquote deutlich, wie die Erinnerung an deutsche Verbrechen im östlichen Teil Europas in den letzten Jahrzehnten medial gewichtet wurde und welche „Konkurrenz der Opfer“ im „spurensichernden Gedenken“ so entstanden ist: Festgefügte Bilder im Kopf führen Spurensucher oft auf falsche Fährten. 

Wenn man den verschiedenen historischen Schichten polnischer Spuren in deutschen Köpfen nachgeht, so stößt man aber auch auf einige positive Beispiele: Die Polenbegeisterung von 1832 etwa, als der Durchzug der „geschlagenen Helden“ im Kampf gegen den russischen Zaren (Polendurchzug) von der liberalen Öffentlichkeit bejubelt wurde. Sie wird immer dann aus den Geschichtsbüchern hervorgeholt, wenn es etwas zu feiern gibt, sei es kommunistische Geistes- und Waffenbrüderschaft, seien es Versöhnung und gemeinsame Ziele (in Europa, in der Welt). Die gebetsmühlenartige Rückkehr zu derlei – gewiss rühmlichen und herausragenden – Erinnerungsritualen hat der Politikwissenschaftler Klaus Bachmann vor Jahren bereits „Versöhnungskitsch“ genannt. Dieser Kitsch hat natürlich auch damit etwas zu tun, dass das Repertoire positiv besetzter Bilder in der deutsch-polnischen Geschichte begrenzt ist und überlagert wird von Bildern der Konfrontation, der Feindschaft, des Entsetzens. Die Bildhaftigkeit spielt hier übrigens eine große Rolle: Während es vom Hambacher Fest, der großen liberalen Kundgebung Ende Mai 1832, keine authentische bildliche Darstellung gibt, auf der die Beteiligung von Polen sichtbar wird, herrscht an Schlachtengemälden und Kriegsfotografien aus der deutsch-polnischen Konfliktgeschichte kein Mangel. Als deshalb die DDR die Verbundenheit progessiver Traditionen in der deutschen und polnischen Vergangenheit hervorheben wollte, ließ man einen Maler auf der Grundlage zeitgenössischer Stiche kurzerhand ein Hambach-Gemälde anfertigen, auf dem stolz weiß-rot die polnische Fahne neben der Deutschen prangte, eine Darstellung, die es später bis auf eine bundesdeutsche Briefmarke schaffte ...

Diese Ambivalenz des Erinnerns prägt vieles im deutsch-polnischen Bereich. Johannes Paul II. etwa, der „polnische Papst“: Aus deutscher Warte erscheint er als Lordsiegelbewahrer katholischer Tradition, aber auch als Vertreter eines polnischen Traditionalismus, der wesentliche Teile politischer Kultur und kultureller Existenz unserer Nachbarn jenseits von Oder und Neiße zu prägen scheint. Immerhin hat er es vermocht, Sympathie für ein Land zu wecken, über das so viel Halb- und Nichtwissen, ja Nichtwissenwollen im Umlauf war. Die Solidarność, Polens große Freiheitsbewegung, ließ eine Welle der Bewunderung und Solidarität durch deutsche Lande rollen, gleichzeitig aber löste sie Unsicherheit aus: Da höhlte eine von einem schnurrbärtigen Elektriker geführte Gewerkschaftsbewegung den Ostblock von innen aus, würde das gutgehen? 

Immerhin haben sich Papst und Solidarność ein wenig über die allgegenwärtigen Bilder des Kriegs gelegt. Wenn sie aber dazu dienen, deutsch-polnische Geschichte nur noch in höchsten Tönen zu schildern und alles, was trennt, irritiert und ärgert, unter den Teppich zu kehren, dann ist Gefahr im Verzug: Denn längst nicht alles ist gold was glänzt, weder in Polen noch in Deutschland. Schwierigkeiten in der praktischen Zusammenarbeit – womit wir wieder in der Gegenwart angekommen wären – werden gerne ignoriert, anstatt fehlerhafte Strukturen zu hinterfragen. Diese Ignoranz trifft im Übrigen auch auf versteckte oder offene Armut als grenzüberschreitendes Phänomen zu. Deshalb stellt sich durchaus die Frage, ob man – wie Brigitte Jäger-Dabek – für die politische Bildung tatsächlich sonnig verbrämte Reiseführerprosa schreiben muss: „Warschau hat sich zu einer wahren Boomstadt wie aus dem Hochglanzmagazin entwickelt, die Investoren und Firmen aus aller Welt anzieht, nur geringe Arbeitslosigkeit kennt und Immobilienpreise wie in Westeuropa hat. [...] Erstaunt stellt man fest, dass die Menschen in den polnischen Metropolen sich inzwischen mit ähnlichen Problemen herumschlagen, wie in deutschen Großstädten: Suche nach bezahlbarem Wohnraum, gut bezahlte Jobs finden, Infrastrukturprobleme im Verkehrssektor. Dazu sind sie nicht fremdenfeindlich wie vermutet, sondern weltoffene Gastgeber, die selbst mitten in Warschau deutsche Fans mit wehender Deutschlandfahne umarmten.“[2]

 

[2] Brigitte Jäger-Dabek: Die Bilder in unseren Köpfen. Deutsche Polenbilder – Polnische Deutschlandbilder, Stade 2013, S. 6 f. (e-book).