Polnische Malerei vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.

Blick in die Ausstellung im Museum Folkwang, Essen 1962, u. a. mit der Phantastischen Komposition von Stanisław Ignacy Witkiewicz (1885-1939), 1915-1920 (2. v. r.)
Blick in die Ausstellung im Museum Folkwang, Essen 1962, u. a. mit der Phantastischen Komposition von Stanisław Ignacy Witkiewicz (1885-1939), 1915-1920 (2. v. r.)

Stanisław Lorentzʼ ausdrücklicher Bitte entsprechend standen im Mittelpunkt seines Deutschlandbesuchs im Februar 1963 weniger offizielle Empfänge als Begegnungen mit Fachkollegen, um alte Kontakte wiederzubeleben und neue zu knüpfen. Das Interesse, das ihm während seiner Reise durch zehn bundesdeutsche Städte entgegengebracht wurde, war immens. Die im AMNW erhaltene Namensliste umfasst 40 Personen, mit denen Lorentz neben rund 160 weiteren, nicht namentlich genannten zusammentraf, und liest sich wie ein Who-is-Who der bundesdeutschen Museumslandschaft: vom Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Kurt Martin bis zum Leiter der Ruhrfestspiele und Direktor der Recklinghauser Museen Thomas Grochowiak. Lorentz wurde überhäuft mit Kooperationsangeboten für Ausstellungen, Vorträge und Publikationsprojekte; auch bat man ihn um Hilfe bei der Suche nach Kunsthändlern, die polnische Künstler in der Bundesrepublik vertreten könnten. Die entsprechenden Schilderungen in Lorentz’ Bericht werden durch die Briefe im AMNW bestätigt.

Zwar wurden nicht alle der anvisierten Projekte realisiert; bloße Idee blieb u. a. eine für 1964 im Haus der Kunst in München vorgesehene Ausstellung, zu der es ein Pendant mit deutscher Kunst in Warschau geben sollte. Dennoch intensivierten sich die polnisch-westdeutschen Kulturkontakte im Zuge der Ausstellung und der Deutschlandreise Lorentz’ merklich. 1964 und 1965 wurden im gesamten Bundesgebiet praktisch monatlich Ausstellungen zu zeitgenössischer polnischer Kunst eröffnet, von denen einige nachweislich durch die Folkwang-Ausstellung angeregt worden waren. Vorangetrieben wurden sie zumeist von engagierten Galeristen, Museumsleitern, Kommunalpolitikern und Privatleuten, die sich in einer Mischung aus Pioniergeist, moralischem Impetus und politischem Idealismus für eine polnisch-westdeutsche Annäherung einsetzten und die Impulse, die von der Folkwang-Ausstellung ausgingen, zu nutzen wussten. Auch die Beziehungen zwischen Essen und Warschau setzten sich dank Krupp’schen Mäzenatentums fort, in Form von Ausstellungen, Vortragsreisen und Gastaufenthalten polnischer Künstler und Wissenschaftler. Die nächste Überblicksschau, auf der erstmals in größerem Umfang auch zeitgenössische polnische Plastik zu sehen war, bot die Ausstellung „Polnische Kunst heute“ in der Städtischen Kunsthalle Bochum im Winter 1964/65. Die Hoffnung allerdings, dass sich mit der kulturellen Annäherung auch die politischen Beziehungen normalisieren mögen, blieb unerfüllt.

Die Folkwang-Ausstellung, ihre Entstehungsgeschichte und ihre Begleitumstände stehen für eine politisch ebenso spannungsreiche wie kulturell fruchtbare Phase der polnisch-westdeutschen Beziehungen, in der Vieles in Bewegung geriet und offizielle Politik und inoffizielles Agieren zunehmend auseinanderdrifteten. Sie illustrieren zugleich die Unsicherheiten und Ambivalenzen, die mit dieser Dynamik einhergingen. Besonders deutlich zeigt sich dies in dem Eiertanz, den offizielle Stellen mitunter um das Verhältnis von Kultur und Politik vollführten: Einerseits sollte die Kultur der politischen Annäherung auf die Sprünge helfen und dafür herhalten, das Porzellan zu kitten, das auf dem politischen Parkett immer wieder zerschlagen wurde; auch war klar, dass der kulturelle Austausch so politisch aufgeladen war wie alles, was die deutsch-polnischen Beziehungen betraf. Andererseits wurde oft peinlichst darauf geachtet, zumindest nominell das Politische vom Kulturellen zu trennen, was die politische Brisanz der Vorgänge auf kulturellem Gebiet allerdings erst recht unterstrich. Zweifellos aber hat das vermeintlich unverfängliche Terrain von Kunst und Kultur die allgemeine Aufgeschlossenheit und Gesprächsbereitschaft gegenüber den Gästen aus Warschau im Winter 1962/63 erheblich befördert. Politische Fallstricke lauerten freilich auch hier: Ein Buchprojekt Lorentz’ über den Wiederaufbau in Polen drohte am Titel zu scheitern – die Zeit sei leider noch nicht reif, gab ihm der Verlag verlegen zu verstehen, um unter dem Titel „… in Polen“ auch Abhandlungen über Wrocław und Szczecin auf den bundesdeutschen Markt bringen zu können (Bericht Lorentz, AMNW).

Regina Wenninger, März 2016

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