Johann von Mikulicz-Radecki – das vergessene Genie der Chirurgie

Jan Mikulicz-Radecki, 1890
Jan Mikulicz-Radecki, 1890

Medizinstudenten und Ärzte bringen Johann von Mikulicz-Radecki (poln. Jan Mikulicz-Radecki) sicher mit einer Operationsmethode oder mit seinem in der Chirurgie allgemein üblichen medizinischen Instrument, der sogenannten Mikulicz-Klemme, in Verbindung. Nur wenige aber wüssten mehr über seine Person. Indessen spiegelt sich in seiner Biographie die komplizierte Geschichte Mitteleuropas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wider.

Johann Anton von Mikulicz-Radecki wurde 1850 in Czernowitz geboren, der Hauptstadt der Bukowina, die damals im Kaiserreich Österreich lag. Sein Vater war Pole aus einer altpolnischen Adelsfamilie, seine Mutter, Emilia Freiin von Damnitz, entstammte dem preußischen Adel. Johann war das jüngste der fünf Kinder des Paars (sein Vater hatte noch drei weitere Kinder aus seiner vorherigen Ehe). „Er war von zarter, kleinwüchsiger Statur, schwächlicher Gesundheit, wortkarg, drängelte sich nicht nach vorn[1] - so beschreiben die Biographen den späteren Chirurgen. Der Bukowina, dem multikulturellen Schmelztiegel, in dem unter anderem Polen, Russen, Moldauer, Juden, Deutsche und Rumänen lebten, verdankte Mikulicz-Radecki, dass er schon als Kind mehrere Sprachen lernte, darunter Polnisch, Deutsch, Russisch und Jiddisch.

Als Johann Anton acht wird, schickt ihn der Vater zusammen mit den Geschwistern und der Mutter nach Prag, damit die Kinder an Schulen kommen, deren Niveau deutlich über dem der Bildungseinrichtungen in Czernowitz liegt. Doch drei Jahre später kehrt die Familie in die Bukowina zurück, um sich nach einem Jahr, 1863, erneut aufzumachen - diesmal nach Wien. In der Metropole des Kaiserreichs besucht Mikulicz-Radecki zunächst als Externer das Theresianum, eine 1746 von Kaiserin Marie Therese gegründete exklusive Schule für adelige Jugendliche, die zum Staatsdienst herangezogen werden sollen.[2] Ein Jahr später wechselt er an das Benediktiner-Gymnasium in Klagenfurt, wo seine Schwester Karoline als Sängerin ein Engagement am Theater bekam. In dieser Zeit denkt Johann, der bei den Messen Kirchenorgel spielt, daran, einem Orden beizutreten. Der Vater, Andreas Mikulicz, ist strikt dagegen.

Er leistet abermals Widerstand, als sein Sohn ihm mitteilt, dass er beabsichtigt, Medizin zu studieren. Obwohl der Vater die Zukunft in einem Jurastudium sieht, widersetzt sich Johann diesmal seinem Willen. Der Ungehorsam des Sohnes zieht nach sich, dass der Vater ihm die weitere finanzielle Unterstützung seiner Ausbildung versagt. Trotzdem nimmt Johann 1869 an der Wiener Universität das Medizinstudium auf, während er seinen Lebensunterhalt anfangs mit Nachhilfeunterricht und Klavierstunden verdient. Bald darauf erhält er dank der Unterstützung eines Professors ein Stipendium der Silberstein-Stiftung, das ihm erlaubt, sich ganz auf das Lernen zu konzentrieren.

 

[1] Geleitwort von Wojciech Noszczyk zur polnischen Fassung, Was weiß ein durchschnittlicher Arzt von heute über Johann Mikulicz-Radecki?, [in:] Waldemar Kozuschek, Johann Mikulicz-Radecki 1850-1905. Mitbegründer der modernen Chirurgie, zweisprachige Ausgabe: polnisch-deutsch, Wydawnictwo Uniwersytetu Wrocławskiego, Wrocław 2005, S. 11.

[2] https://www.theresianum.ac.at/ (aufgerufen am 10.03.2020).

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  • Jan Mikulicz-Radecki

    Jan Mikulicz-Radecki, 1890
  • Im Operationssaal der Warschauer Universität

    Johann von Mikulicz-Radecki im Operationssaal der Warschauer Universität, 1899.
  • Beim Kegelabend

    Johann von Mikulicz-Radecki beim Kegelabend des Vereins für wissenschaftliche Heilkunde in Königsberg
  • Johann von Mikulicz-Radecki in Königsberg

    Johann von Mikulicz-Radecki in Königsberg, Reprint aus dem Buch von Waldemar Kozuschek „Johann von Mikulicz-Radecki 1850-1905“.