Stanisław Mikołajczyk

Stanisław Mikołajczyk um 1930
Stanisław Mikołajczyk um 1930

Die Angaben von Stanisław Mikołajczyk, dem Ministerpräsidenten der polnischen Exilregierung (Juli 1943 bis November 1944) über seine Kindheit im Ruhrgebiet sind sehr spärlich. Am Beginn seiner 1948 in Washington erschienenen Memoiren vermerkt er: „Mein Vater, der fünfzehn Geschwister hatte, war auf einem kleinen Bauerngut in Westpolen geboren worden. Er verließ die eigene Scholle und suchte Arbeit in den Kohlenbergwerken Westdeutschlands.“ Diese Zurückhaltung ist verständlich, weil Mikołajczyk damit sicherlich Freunde und Verwandte in Polen schützen wollte. Das Land war gerade eine „Volksrepublik“ sowjetischer Prägung geworden.

Als Geburtsort von Mikołajczyk wird in Biographien und den Internetportalen „Holsterhausen in Westfalen“ angegeben. Das trifft zwar zu, sorgt aber für weitere Irritationen, weil es diesen Ortsnamen sowohl in Essen und Dorsten als auch im ehemaligen Amt Eickel gibt. Favorisiert wurde bisher Dorsten-Holsterhausen. Das konnte offenbar nur geschehen, weil die Einträge in Geburts- und Taufregistern bisher nicht sorgfältig genug untersucht worden sind. Das unscheinbare Holsterhausen, 1809 noch eine Bauernschaft mit 147 Einwohnern, im Jahr 1902 immerhin schon eine Gemeinde im Amt Eickel von 7289 Einwohnern, hatten die Historiker nicht auf der Rechnung. Das Ergebnis darf man verheerend nennen: Der berühmteste Ruhrpole, den es im 20. Jahrhundert gab, war in seinem Geburtsort und im Ruhrgebiet völlig unbekannt. Eine besondere Bedeutung in der Geschichte der Polen in Deutschland blieb ihm bisher verwehrt.

Die Dokumente des Standesamts Eickel, heute aufbewahrt im Stadtarchiv Herne, und die Aufzeichnungen des Sekretariats der Marienkirche in Eickel für das Jahr 1901 ergeben folgendes Bild der Familie Mikołajczyk in Eickel / Holsterhausen:

Um 1895 verließen Stanisław Kostka Mikołajczyk, ein Bauernsohn aus dem Dorf Benice im Kreis Krotoschin in der preußischen Provinz Posen und seine Ehefrau Sophia, geborene Parysek, die Heimat, um in Eickel / Holsterhausen Arbeit zu finden. Stanisław Kostka wurde auf der Zeche Shamrock I/II angestellt. Im Bergrevier Herne gab es um 1900 ca. 8500 Bergleute mit eigenem Haushalt, von denen die Mehrzahl in Zechenhäusern wohnte. Diese waren bereits standardisiert. Jede Wohnung hatte fünf Zimmer mit insgesamt 81,5 m² auf zwei Etagen und kostete durchschnittlich 15 bis 20 Mark pro Monat, etwa die Hälfte der üblichen Miete auf dem freien Markt. Als Hauer auf Shamrock I/II, nach der Jahrhundertwende auf Shamrock III/IV, verdiente Stanisław Kostka monatlich 130 Mark.

Die Geburt des Sohnes am Donnerstag, den 18. Juli 1901, erfolgte im Elternhaus an der Industriestraße 9a (heute Beckumer Straße 9a) in Holsterhausen. Am Freitag, dem 19. Juli 1901, meldete der Vater die Geburt des Sohnes beim Standesamt in Eickel an. Der beurkundende Standesbeamte Stork stellte fest (Blatt A 769), dass es sich um einen Knaben handele, der ehelich geboren und römisch-katholisch sei. Er solle den Namen „Stanislaus“ tragen. Die Standesbeamten waren in dieser Zeit verpflichtet, bei Vornamen statt der polnischen Endsilbe „-ław“ die deutsche Endsilbe „-laus“ einzutragen. Die Anordnung ging auf die neue Minderheitenpolitik zurück, welche Kaiser Wilhelm II. seit 1890 verfolgte. Im Unterschied zu seinen Vorgängern wollte er die kulturellen Eigenheiten der Minderheiten im Reich nicht mehr dulden. Er beabsichtigte, die Minderheiten unterschiedslos zu deutschen Staatsbürgern zu machen, was Nationalitätenkonflikte geradezu provozierte.

Mediathek
  • Telegramm

    Telegramm der polnischen Exilregierung an das Oberkommando des Warschauer Aufstandes, 28. Juli 1944.
  • Alfred Hartwig

    Alfred Hartwig, Zeche Shamrock III / IV, Aquarell
  • Geburtsurkunde

    Geburtsurkunde von Stanisław Mikołajczyk
  • Taufschein

    Abschrift des Taufscheins von Stanisław Mikołajczyk
  • Magdalena Skowronski

    Magdalena Skowronski, Stanisław Mikołajczyk, Öl auf Leinwand, 2013
  • Gedenktafel

    Gedenktafel im Gemeindehaus der Marienkirche in Eickel, am 18.10.2015 enthüllt, Künstler: Jerzy Bokrzycki
  • Stanisław Mikołajczyk - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku"

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.