Der „Narodowiec“ – eine nationalpolnische Ruhrgebietszeitung

Titelseite der ersten Ausgabe von „Narodowiec“, Herne, 2. Oktober, 1909
Titelseite der ersten Ausgabe von „Narodowiec“, Herne, 2. Oktober, 1909

Wie die meisten oppositionellen Zeitungen zu Beginn des Ersten Weltkrieges kurzzeitig verboten, hielt sich auch der „Narodowiec“ gleich allen politischen Kräften des Deutschen Reiches, außer den später spartakistisch-kommunistischen, unabhängig-sozialistischen und anarchistisch-syndikalistischen Gruppen, während des Krieges an den vom Kaiser geforderten Burgfrieden. Das bedeutete, die Zustimmung der Polnischen Fraktion im Reichstag, die zu dieser Zeit nahezu alle nationalpolnischen Organisationen als ihre Vertretung im Reich anerkannten, zu den Kriegskrediten zu billigen, wie auch dass man während des Krieges keine politischen oder andere Initiativen zur Änderung bestehender Gesetze oder gegen politische Entscheidungen der Regierung bzw. des Kaisers ergriff. Dieser Burgfrieden wurde aber wenige Monate vor Ende des Krieges, als sich die Neubildung des polnischen Staates als Ergebnis des Krieges abzeichnete, nicht mehr in vollem Umfang befolgt. In einer öffentlichen Erklärung im April 1918 protestierte der „Narodowiec“ zusammen mit den meisten polnischen Organisationen „in der Fremde“ gegen den Friedensschluss des Deutschen Reiches mit der Ukrainischen Volksrepublik, da dieser mit deutscher Zustimmung angeblich polnisches Stammgebiet als Teil ihres Staatsgebietes zugestanden worden sei. In einer zweiten, deutlich brisanteren öffentlichen Erklärung im Oktober 1918 forderte nahezu derselbe Kreis, dass dem sich abzeichnenden zukünftigen neuen Polen die ehemals polnischen, derzeit zu Preußen gehörenden Gebiete – das Posener Gebiet, Teile Pommerns, West- und Ostpreußens sowie Schlesiens – zugesprochen werden müssten.

Mit Beginn der Existenz des neuen polnischen Staates, der Republik Polen ab November 1918, rief der „Narodowiec“ wie die anderen nationalpolnischen Organisationen und Zeitungen zur Rückkehr nach Polen auf. Wie die Deutschen ihren Staat organisierten, sei deren Sache. Dabei betonte er immer wieder die Einheit der polnischen Nation. Der bereits 1919 nach Polen übergesiedelte Chefredakteur des „Narodowiec“ Michał Kwiatkowski, der aber weiterhin seinen Einfluss auf den „Narodowiec“ behielt, unterstützte dort die Christdemokratie und wurde einer ihrer Abgeordneten im polnischen Sejm von 1922 bis 1927. Während aber der „Wiarus Polski“ ganz konkrete Forderungen für die Struktur des neuen polnischen Staates stellte, so z. B. nach Übernahme der in Deutschland durch die Arbeiterschaft erkämpften umfassenden Arbeiterrechte, der Trennung von Kirche und Staat, im Konfliktfalle die durch die institutionelle katholische Kirche verkörperten religiösen Machtinteressen den Arbeiterinteressen nachzuordnen sowie in gesellschaftlichen Konflikten weiterhin klassenkämpferische Methoden akzeptierte, widersprach dem der „Narodowiec“. Er wies alle Forderungen an den neuen Staat zurück, zuerst müssten die zuständigen Verfassungsorgane gewählt werden. Nur diese seien befugt, den gesellschaftlichen Rahmen festzulegen. Gleichzeitig berief er sich aber konsequent auf die Sozialenzyklika der katholischen Kirche, „Rerum Nowarum“, und akzeptierte damit den dort festgeschriebenen gesellschaftlichen Solidarismus als einzig legitime Form politischen Handelns. Darüber hinaus sprach er der katholischen Kirche eine führende moralische Rolle im Staate zu. Ihren Ausdruck fanden die politischen Unterschiede z. B. in der Haltung zur umkämpften Bodenreform in Polen, die auch der „Narodowiec“ für notwendig hielt, und damit verbunden zur Haltung gegenüber dem Adel und den alten Eliten. Während der „Wiarus Polski“ einer konsequenten Agrarreform mit eher symbolischer Entschädigung das Wort redete, trat der „Narodowiec“ für eine gemäßigte Reform mit einer von den Bäuerinnen und Bauern zu tragenden materiellen Entschädigung der Großgrundbesitzer und des Adels ein, die dem Wert des enteigneten Bodens entsprechen sollte. Letzteres unterschied ihn von der Nationaldemokratie, die eine Landreform möglichst klein halten und wenn irgend möglich auf staatliche Ländereien beschränkt wissen wollte. Auch bezüglich der Rechte der verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen im neuen Polen verhielt sich der „Narodowiec“ zurückhaltend. Damit stand er im Gegensatz zum „Wiarus Polski“, der für gleiche Rechte der ethnischen Gruppen eintrat.

Mediathek
  • Titelseite der ersten Ausgabe von „Narodowiec“

    Titelseite der ersten Ausgabe von „Narodowiec“, Herne, 2. Oktober 1909, aus: „Polak w Niemczech”, Bochum 1972, S. 44
  • Gebrüder Marian und Michał Kwiatkowski

    Gebrüder Marian und Michał Kwiatkowski, aus „Polak w Niemczech”, Bochum 1972, S. 44
  • Verlag und Druckerei von „Narodowiec“

    Verlag und Druckerei von „Narodowiec“ auf der Bahnhofstraße in Herne, aus „Narodowiec“, Jubiläumsausgabe 1959, siehe PDF Narodowiec 1972-1959, S. 91
  • Redakteure und Setzer in der Druckerei

    Redakteure und Setzer in der Druckerei von „Narodowiec“ auf der Bahnhofstraße in Herne, aus „Narodowiec“, Jubiläumsausgabe 1959, siehe PDF Narodowiec 1972-1959, S. 91
  • Setzer in der Druckerei von „Narodowiec“

    Setzer in der Druckerei von „Narodowiec“ auf der Bahnhofstraße in Herne, aus „Narodowiec“, Jubiläumsausgabe 1959, siehe PDF Narodowiec 1972-1959, S. 91
  • An der Druckmaschine

    An der Druckmaschine in der Druckerei von „Narodowiec“ auf der Bahnhofstraße in Herne, aus „Narodowiec“, Jubiläumsausgabe 1959, siehe PDF Narodowiec 1972-1959, S. 91
  • Redaktionsteam von „Naród“

    Redaktionsteam von „Naród“ auf der Bahnhofstraße in Herne, aus „Narodowiec“, Jubiläumsausgabe 1959, siehe PDF Narodowiec 1972-1959, S. 91
  • Titelseite der letzten Ausgabe von „Naród“

    Titelseite der letzten Ausgabe von „Naród“, Herne, 1. September 1939, aus: „Polak w Niemczech”, Bochum 1972, S. 44
  • Narodowiec 1954-1959

    Narodowiec 1954-1959
  • Narodowiec 1972-1959

    Narodowiec 1972-1959, darunter die Jubiläumsausgabe "Narodowiec-50 Jahre" (Seite 89)
  • Bestandstabelle "Narodowiec"

    Übersicht über vorhandene Ausgaben und Jahrgänge in Bibliotheken, Institutionen und Archiven