Błażej Stolarski (1880–1939)
An der Grenze zweier Traditionen
Błażej Stolarski, in seinen letzten Jahren stellvertretender Senatsmarschall der Zweiten Polnischen Republik, kam am 2. Februar 1880 in einer armen Bauersfamilie in Ciebłowice (heute Landkreis Tomaszów) zur Welt. Als Autodidakt, dessen Leben eher gleichförmig verlief, aber auch als sozialer Bauernaktivist und als späterer Politiker, der weder Führungsqualitäten besaß noch ein charismatischer Volkstribun war, ist er als Gestalt nicht leicht zu erfassen. Abgesehen von seiner verwickelten politischen Laufbahn, die heute kaum noch nachzuvollziehen ist, ist festzuhalten, dass er enormen Beitrag zur positivistischen Basisarbeit leistete und dass er sein Ziel, seinen Horizont so weit wie möglich zu erweitern, mit eiserner Konsequenz verfolgte. Stolarski teilte sein selbst erworbenes Wissen und seine Erfahrungen altruistisch mit allen, die seiner teilhaftig werden wollten. Er war davon überzeugt, dass der Fortschritt auf dem Lande allen Bauern zu Gute kommen kann, wenn man sie aufklärt und befähigt, auch durch Bildung und Weiterbildung. In diesem Sinne setzte er sich unermüdlich für Hilfe zur Selbsthilfe ein (Landwirtschaftszirkel), für Bildung (Gemeindeschulen und Selbstlernkurse, die sehr erfolgreich waren)[1] sowie für den Aufbau des Genossenschaftswesens (Landwirtschaftskammern, Gemeinderäte). Und obwohl Stolarski die Bauernpartei (Stronnictwo Ludowe) 1935 verlässt, weil er deren Aufruf zum Boykott der bevorstehenden Wahlen missbilligt, bleibt er der politischen Idee der Bauernbewegung bis zu seinem Lebensende treu. Dabei gründet sein konspiratives Engagement für die polnische Unabhängigkeit in Polens romantischer Tradition.
Stolarskis politische Laufbahn wurde 1938 nach den Wahlen in Polen mit dem Amt des stellvertretenden Senatsmarschalls der 5. Wahlperiode gekrönt. Sein politischer Weg war jedoch nicht geradlinig und hat ihn anders als seine unternehmerischen und pädagogischen Bestrebungen, mit Ausnahme des drohenden Konkurses seiner durch die Weltwirtschaftskrise überschuldeten Landwirtschaft, nicht von Erfolg zu Erfolg geführt. Ein Weg also, der vielmehr von Entscheidungen gesäumt gewesen ist, die heute verblüffen und nicht ohne Weiteres zu erklären sind. Trotz alledem fällt auch hier Stolarskis Beharrlichkeit auf, die ihren Ursprung in den Unabhängigkeitsbewegungen im Königreich Polen hat, denen er von Anfang an verbunden war. Die Mitgliedschaft in der 1914 gegründeten Polnischen Militärorganisation (Polska Organizacja Wojskowa) im Bezirk Łódź-Retkinia und die Zugehörigkeit zum Vorläufigen Staatsrat (Tymczasowa Rada Stanu), der die Voraussetzungen für einen unabhängigen polnischen Staat schaffen wollte, haben Stolarski in die unmittelbare Nähe der Piłsudski-Anhänger gebracht, wobei dies eine schwere und von zahlreichen Enttäuschungen geprägte „Freundschaft“ gewesen ist.[2] Jedenfalls hat Stolarski, ähnlich wie der Flügel der Bauernpartei PSL „Wyzwolenie“ (Polnische Bauernpartei „Befreiung“), dem er angehörte, Piłsudski und seinen „Maiputsch“ unterstützt.
Die Abkehr des politischen Arms der Bauern von diesem Kurs, die 1927 erfolgte, nachdem Piłsudski die Erwartungen der ihn unterstützenden Organisationen nicht erfüllt haben soll, spielte für Stolarski zunächst keine Rolle. Kritik an den Reformen der Sanacja [konservatives Lager, das von Józef Piłsudski nach dem Staatsstreich im Mai 1926 gegründet und angeführt wurde – Anm. d. Übers.] stellte sich bei ihm nicht gleich ein, auch nicht in der Form wie die Bauernpartei reagiert hatte. Das sollte erst zwei Jahre später geschehen. Möglicherweise hat sich Stolarski nach dem Übergang der PSL „Wyzwolenie“ zum „Centrolew” [politischer Block aus Mitte- und Linksparteien – Anm. d. Übers.] von ihr entfremdet, doch er trat nicht aus. Wahrscheinlich zeigt auch dieses Verhalten den Charakterzug, der sein gesamtes politisches Handeln prägte, nämlich dem Grundsatz zu folgen, „nicht alle Brücken hinter sich abzubrechen“, wenn er eine Partei verließ, der er nahegestanden oder für die er sich engagiert hatte. So geschah es also auch im Hinblick auf das Piłsudski-Lager. Umso erstaunlicher ist Stolarskis Austritt aus der Bauernpartei,[3] der 1935 aus Protest gegen deren Entscheidung, die Septemberwahlen zum Sejm und zum Senat zu boykottieren, erfolgte. Danach nähert er sich erneut den Anhängern Piłsudskis an. 1937 tritt er dem Lager der Nationalen Einheit (Obóz Zjednoczenia Narodowego) bei und kandidiert 1938 bei den (vorgezogenen) Parlamentswahlen für das Amt des Senators der Woiwodschaft Łódź.
Błażej Stolarski hat seine Vorhaben stets konsequent betrieben, doch spektakuläre Auftritte blieben aus. Er hatte weder die Aura, die andere Bauernvertreter besaßen, noch war er ein „geborene Politiker“, sondern war eher ein Funktionär im Hintergrund, ein Typus, den wir heute wohl eher als „Realpolitiker“ umschreiben.
[1] In seinem Beitrag „Błażej Stolarski. Nieheroiczny życiorys państwowca” schreibt Paweł Perzyna: Die Rinderzucht brachte Stolarski den größten Ruhm als Landwirt. Seinen Rinderstall brachte er vor dem ersten Weltkrieg in einen solchen Zustand, dass er als Zuchtstation für polnische Rotrinder gelten konnte.
[2] 1929 wurde Stolarski erster Präsident der Gewerkschaft der Landwirte (Związek Zawodowy Rolników); in den 1930er Jahren wurde er wegen Mitorganisation von Agrarstreiks (Wochenmarktboykott) verhaftet und mit drei Wochen Haft bestraft.
[3] Die Partei wurde aus dem Zusammenschluss der Parteiflügel PSL „Piast” und PSL „Wyzwolenie” sowie der Bauernpartei Stronnictwo Chłopskie am 15.03.1931 gegründet und erhielt auf Initiative von Błażej Stolarski den Namen Stronnictwo Ludowe.