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Maciej Rusinek: Auch das Unbewegliche tanzt

Maciej Rusinek
Maciej Rusinek

BK: Was macht die Kunst der Fotografie so attraktiv?

MR: Schon in der Zusammenarbeit mit Leszek Raczak am Teatr Ósmego Dnia habe ich nach einem eigenen Medium gesucht, um es dann in der Fotografie zu finden, und zwar als Möglichkeit, meine Leidenschaft quasi als Beruf auszudrücken. Ich glaube, dass ich in meinen Projekten meine Erfüllung finde. Deshalb veranstalte ich neben meiner Arbeit als freier Journalist und Eigentümer eines Fotostudios in Frankfurt am Main, in dem ich klassische Studio-Leistungen biete, auch Ausstellungen meiner Arbeiten zu von mir bestimmten Themen.

Die Bandbreite meiner Interessen ist sehr groß, was sicherlich damit zu tun hat, wofür mir die Kamera dient. Die einen greifen zur Feder, die anderen zum Pinsel oder Bleistift. Ich nutze die Fotografie, um mein Erleben der Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen. Ich erfinde keine Bilder, die ich später in einer Fotosession umsetze, sondern ich halte Phänomene, Menschen und Kunstwerke mit der Kamera fest, die starken Eindruck auf mich machen und die mein Bedürfnis wecken, sie zu erfassen, um diese Erfahrungen in Ausstellungen und Büchern mit anderen zu teilen. Ich habe keinen Wunsch, nach Formalien zu suchen. Das Wichtigste war und ist das Thema.

BK: Seit fast dreißig Jahren fotografieren sie das Butoh-Tanztheater. Wie entstand diese Leidenschaft?

MR: Es ist in der Tat so, dass sich diese spezifische Theaterkunst wie das visionäre Theater und das moderne Tanztheater in all den Jahren, in denen ich meine fotografischen Erlebnisse mit der Öffentlichkeit teile, am stärksten manifestiert. Ich habe Philologie mit Schwerpunkt Theaterwissenschaften studiert und dennoch hat mich das aus der Literatur hervorgegangene Theater nie in diesem Maße fasziniert, wie ich von der visionären Kraft in der Kunstwelt solcher Künstler wie Jerzy Grotowski, Tadeusz Kantor, Pina Bausch, Lech Raczak, Leszek Mądzik, Peter Brook, Ushio Amagatsu, Ewa Wycichowska und anderer mitgerissen wurde. Dazu gehört auch das avantgardistische Butoh-Tanztheater aus Japan, dem ich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in Paris zum ersten Mal begegnet bin, als ich eine Aufführung mit der Butoh-Tänzerin Carlotta Ikeda sah.

BK: Was ist Butoh?

MR: Butoh-MA ist laut Tadashi Endo ein „Raum“ und das „Dazwischen“. Es ist die Ruhe eines Körpers, obwohl er tanzt…, aber eigentlich tanzt er nicht – er wird getanzt!

Das avantgardistische japanische Tanztheater Butoh geht auf das Jahr 1959 zurück, auf die ersten Auftritte seiner Schöpfer Tatsumi Hijikata und Kazuo Ohno. Hijikata trat nur in Japan auf, während Kazuo Ohno, der ein hohes Alter von 104 Jahren erreichte und bis zu seinem Tod künstlerisch aktiv war, häufig im Ausland war, jedoch immer wieder in seine Heimat zurückkehrte, um  seine Arbeit dort fortzusetzen. Viele andere Mitbegründer dieser künstlerischen Bewegung verließen das Land der Kirschblüte seit dem Ende der 1960er Jahre und fanden im Ausland mehr Anerkennung, was auch an der völligen Ignoranz der extrem konformistischen japanischen Gesellschaft lag, für die der supermoderne, geradezu skandalöse Charakter der Butoh-Darbietungen inakzeptabel war.

Ich erinnere mich an meine Überraschung, als mir nach der Jahrtausendwende in einem Gespräch mit einem von der Vorstellung sichtlich bewegten japanischen Zuschauer anlässlich einer Aufführung von Tadashi Endo im Frankfurter Gallus Theater bewusst wurde, dass mein Gegenüber von diesem ursprünglich rein japanischen künstlerischen Phänomen erst hier in Europa erfuhr. Das avantgardistische Butoh-Tanztheater wandte sich nicht nur gegen die Amerikanisierung des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in Japan der 1950er Jahre, sondern es wandte sich auch gegen die äußerst verknöcherte Welt des dortigen Theaterlebens.

Meine Leidenschaft ist also eine logische Konsequenz der Suche nach Kunsterlebnissen im Kontext jener Phänomene und Personen, die meine Sensibilität und kulturelle Mentalität so sehr geprägt haben.

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  • Maciej Rusinek, "Butoh I"

    Maciej Rusinek, "Butoh I", Frankfurt am Main, 2011
  • Maciej Rusinek, "Butoh I"

    Maciej Rusinek, "Butoh I", Göttingen, 2017
  • Maciej Rusinek, "Butoh I"

    Maciej Rusinek, "Butoh I", Göttingen, 2017
  • Maciej Rusinek, "Butoh II"

    Maciej Rusinek, "Butoh II", Frankfurt am Main, 1999
  • Maciej Rusinek, "Butoh II"

    Maciej Rusinek, "Butoh II", Frankfurt am Main, 1999
  • Maciej Rusinek, "Butoh II"

    Maciej Rusinek, "Butoh II", Frankfurt am Main, 2017
  • Maciej Rusinek, "Butoh II"

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