Maria Anna Potocka: Zofia Posmysz
Zofia Posmysz hat der Ich-Form ihres niedergeschriebenen Berichts zugestimmt, erklärte jedoch, dass dieser Text mein Werk sei und deshalb auch unter meinem Namen publiziert werden sollte.
Die Aufbereitung des Materials, der Aufzeichnungen und der Filmbeiträge dauerte mehrere Jahre. In dieser Zeit hat sich zwischen Zosia und mir eine Freundschaft entwickelt. Sie ist die wunderbarste und verblüffendste Person, die ich in meinen Leben kennenlernen durfte. Wenn ich ihr das sage, schlägt sie die Hände vors Gesicht und amüsiert sich über den kuriosen Gedanken.
Zosia Posmysz vereint königliche Vornehmheit mit der Unschuld und der Offenheit eines Kindes. Sie mag Menschen, den Gesang und die Poesie und kann viele Gedichte und Lieder auswendig. Vor einigen Wochen haben wir in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim/Auschwitz einen ganzen Poesieabend mit Zosia aufgenommen, bei dem sie Słowackis Grób Agamemnona (Das Grab des Agamemnons) und Ojciec zadżumionych (Der Vater der Pestkranken) aus dem Gedächtnis rezitierte. Sie erinnerte uns auch an viele kürzere Gedichte, vor allem ihres Lieblingsdichters Leśmian. Außerdem sang sie Lieder und forderte uns auf, einzustimmen.
Zofia Posmysz ist ein tiefgläubiger Mensch, was ihr sicher geholfen hat, Auschwitz zu überleben. Ihr Glaube ist zutiefst christlich geprägt und erinnert so gar nicht an das seltsame Religionsverständnis der heutigen polnischen Enthusiasten, die mit jedem Wort und jeder ihrer Tat über Kreuz mit dem Christentum sind. Zosia trägt etwas Charismatisches in sich und das spiegelt sich spürbar im Verhalten der Besucher der Treffen mit ihr wider, die danach fast wie verändert wirken.
Zofia Posmysz hat das mörderischste Experiment an der Menschheit überlebt, das Menschen sich jemals einfallen ließen. Sie war so stark, dass sie ihre Güte, ihre Lebensfreude und ihre Zuversicht in den Sinn nicht verloren hat.
Solche Persönlichkeiten, solche Biographien und solche Menschen, die diese Qualitäten besitzen, sind eine große historische Herausforderung, die viele Fragen stellt: Wie ist der Wert dieser Menschen zu bewahren? Mit welchen Mitteln? Wie soll man sie beschreiben? Wie filmen? Wie kann man sie über den Tod hinaus lebendig erhalten, trotz der unabwendbaren Vergänglichkeit? Wie kann man es vermeiden, sie in leblose Denkmäler zu verwandeln? Das Buch, das sich auf die Erinnerungen von Zofia Posmysz stützt und der Film, der zeigt mit welcher Ruhe und Würde sie über das Leben und Sterben in Auschwitz spricht, stellen Versuche in dieser Hinsicht dar.
Maria Anna Potocka, September 2017