Wiarus Polski – Eine polnische Zeitung aus dem Ruhrrevier
Die Organisierung der Arbeiter als nationale Politik
Dem von Brejski 1903 für seinen Wahlkreis formulierten nationalpolnischen Programm entsprach die vom „Wiarus Polski“ im Ruhrrevier organisierte Arbeiterpolitik, die als eine zentrale Aufgabe die Gründung einer eigenständigen nationalpolnischen Arbeiterorganisation vorsah. Die durchaus nennenswerte gewerkschaftliche Organisierung polnischsprachiger Arbeiter in deutschen Gewerkschaften um die Jahrhundertwende[6] stellte aber für dieses Ziel eine Gefahr dar. Sie zeigte, dass sprachliche und kulturelle Unterschiede nicht zwangsläufig eine unüberwindbare Hürde bedeuteten, denn das gemeinsame Vorgehen in den Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz gegenüber den Unternehmern führte die Arbeiter unabhängig von ihrer Herkunft zusammen. Wollte man also erfolgreich eine nationalpolnische Arbeiterorganisation aufbauen, musste neben der kulturellen Diskriminierung das durch die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den Betrieben entwickelte Klassenbewusstsein berücksichtigt werden. Dass diese nationalpolnische Organisation die Form einer Gewerkschaft annahm, lag deshalb nahe.
Durch die fortwährende Berichterstattung des „Wiarus Polski“ und der „Stimme der Hütten- und Bergarbeiter“ sowie durch Diskussionen auf öffentlichen Versammlungen wurde der Boden für die Gründung einer eigenständigen Arbeiterorganisation vorbereitet. Auf dieser Grundlage initiierte im Jahre 1902 der „Wiarus Polski“ zusammen mit aktiven Arbeitern aus den Betrieben die Gründung der „Polnischen Berufsvereinigung“ (Zjednoczenie Zawodowe Polskie – ZZP), einer Gewerkschaft mit nationalpolnischer Ausrichtung, jedoch mit ähnlichen sozialpolitischen Betriebs- und Gesellschaftsvorstellungen wie sie der Alte Verband vertrat. Die ZZP lehnte – wie der „Wiarus Polski“ in Abgrenzung zur Sozialdemokratie – jede Klassenherrschaft ab und sprach sich ebenfalls mit ausdrücklichem Bezug zur katholischen Soziallehre für den gesellschaftlichen Solidarismus aus. Sie unterstrich allerdings, ganz im Sinne der Ruch Ludowy, die Notwendigkeit einer eigenständigen Organisierung der Arbeiter, wenn sie innerhalb einer Gesellschaft ihre berechtigten Interessen durchsetzen wollten. Mit dieser Ausrichtung, aber auch der systematischen Qualifizierung polnischer Arbeiter für die betrieblichen und überbetrieblichen Vertretungsorgane sowie mit der aktiven Teilnahme am Bergarbeiterstreik 1905 gewann die ZZP nicht nur eine große Anzahl bisher gewerkschaftlich unorganisierter Arbeiter, sondern ebenso das Vertrauen eines bedeutenden Teils der in den beiden großen deutschen Gewerkschaften organisierten polnischsprachigen katholischen Arbeiter und erleichterte ihnen den Wechsel zur ZZP.
Die Gründung der ZZP stieß nicht nur innerhalb der deutschen Gesellschaft auf Widerspruch, sondern wurde aufgrund der ideologischen Ausrichtung der ZZP auch auf nationalpolnischer Seite mit Skepsis vernommen. Eine schichtenspezifische Organisation, die sich nicht nur als Teil der polnischen Nation empfand, sondern innerhalb dieser auch als Kampforganisation zur Durchsetzung ihrer Interessen verstand, ging v. a. der „in der Heimat“ einflussreichen Nationaldemokratie zu weit. Die Unteilbarkeit des polnischen Volkes wurde betont. Man warf der ZZP vor, von sozialistischen Grundsätzen durchdrungen zu sein, wofür nicht zuletzt der „Wiarus Polski“ als deren Initiator und publizistisches Organ verantwortlich gemacht wurde. Ähnliche Kritik kam von christdemokratischen Organisationen. Auch wenn diese nicht gegen jede Interessenorganisation im Stile einer Gewerkschaft waren, sollte diese sich als Vertretungs- und nicht als Kampforganisation innerhalb der eigenen Nation verstehen. Gegen die der ZZP von Seiten der nationaldemokratischen und christdemokratischen Organisationen gemachten Vorwürfe, sie würde zum Klassenkampf aufrufen, verteidigte der „Wiarus Polski“ diese und warf wiederum den Angreifern vor, sie würden die Erneuerung des alten adelig-klerikalen Polen anstreben bzw. sich mit den neuen großkapitalistischen Ausbeutern verbünden.
Mit der Gründung und erfolgreichen Entwicklung der ZZP innerhalb weniger Jahre zur mitgliedermäßig stärksten und gesellschaftspolitisch schlagkräftigsten nationalpolnischen Organisation im Ruhrgebiet war ein zentrales Ziel der Arbeit des „Wiarus Polski“ verwirklicht. Aus der zahlenmäßig größten Gesellschaftsgruppe, der Arbeiter, heraus war eine eigenständige Organisation auf nationalpolnischer Grundlage entstanden, die für ihre Interessen als unterprivilegierte Schicht eintrat und „auf eine gesunde Bildung und auf allseitige Aufklärung und Selbständigkeit aller Landsleute“ Wert legte. Wie sich in den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg, noch ausgeprägter dann während der Revolutionsjahre in Deutschland 1918/19 zeigte, war diese Organisation nicht bereit, sich den von der Nationaldemokratie und Christdemokratie beeinflussten politischen Weisungen „aus der Heimat“ unterzuordnen.
Eine ähnliche Dominanz seiner politischen Vorstellungen konnte der „Wiarus Polski“ in den anderen nationalpolnischen Zusammenschlüssen „in der Fremde“ nicht dauerhaft durchsetzen. Zwar hatte er seinen Anteil daran, dass durch die nationale Arbeit der hier zusammengefassten Vereine, Institutionen und Einzelpersonen zehntausende polnischsprachiger Katholiken zu Personen wurden, die ein Nationalbewusstsein entwickelt hatten und sich nun als Polen und Polinnen verstanden. Nicht erreicht aber hatte er, dass Eigenständigkeit und Selbstbehauptung im politischen Handeln gegenüber „der Heimat“ wesentlich für die im Ruhrrevier entstandenen Zusammenschlüsse wurden. Hauptfelder der Auseinandersetzungen zwischen dem „Wiarus Polski“ und den nationaldemokratischen wie christdemokratischen Organisationen waren die 1897 erstmals entstandenen Wahlkomitees, zusammengefasst im „Hauptwahlkomitee in der Fremde“, das formal dem Zentralen Wahlkomitee mit Sitz in Posen unterstand sowie die überörtlichen Verbünde polnisch-katholischer Arbeitervereine und polnischer Kulturorganisationen, z. B. der Chöre, der Jugend- und Frauenvereine, der Sportvereine des „Sokół“ oder Volksbibliotheken. Von Bedeutung war hier auch das 1913 als politische Vertretung aller Polinnen und Polen sowie ihrer Organisationen „in der Fremde“ gegründete „Ausführende Komitee“ (Komitet Wykonawczy).
[6] Franciszek Mańkowski, Dzieje Związków Polskich (Geschichte der polnischen Gewrkschaften), in: Kalendarz Górniczy na Rok Pański 1913, Bochum 1913, S. 113-132, hier S. 121 f.