Jakob Hirschkorn und Halina Zylberberg: Die Lebenswege einer jüdischen Familie aus Łódź

Die Hirschkorns in Wawern um 1928. Paula, Sara, Norbert, Aron, Erna, Jakob, Sophie (v.l.)
Die Hirschkorns in Wawern um 1928. Paula, Sara, Norbert, Aron, Erna, Jakob, Sophie (v.l.)

Im Ghetto Litzmannstadt
 

Im Ghetto Litzmannstadt  traf Jakob seine Eltern (Sara und Aron) sowie seinen Bruder Norbert wieder. Aron und Norbert waren Ende Oktober 1938 mit weiteren 17.000 polnischen Jüdinnen und Juden aus Deutschland ausgewiesen worden. Von Köln-Deutz waren sie in einem verschlossenen Zug zum deutschen Grenzbahnhof Neu-Bentschen (heute Zbąszynek) westlich von Posen verschleppt und von der SS die letzten Kilometer zu Fuß bis zur Grenze getrieben worden. Vater Aron gehörte zu einer größeren Gruppe, die die polnischen Grenzposten nicht ins Land ließen. Diese Menschen mussten in deutschen Auffanglagern hausen. Mutter Sara, die miterleben musste, wie Nazischergen während der Novemberpogrome 1938 ihr Haus verwüsteten, verließ Wawern im Juni 1939 zusammen mit ihrer jüngsten Tochter Erna und ging zu ihrem Mann nach Neu-Bentschen. Die Deutschen deportierten das Ehepaar später ins Ghetto Litzmannstadt. Die SS ermordete beide 1944 in Auschwitz.

 

Die Lebenswege der Geschwister
 

Jakobs Bruder Norbert war in Schwedt/Oder aus dem Kölner Zug geholt und zur Zwangsarbeit in einen Steinbruch verschleppt worden. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen musste er mit 200 anderen jüdischen Gefangenen eines „Sonderkommandos“ Fabriken, Bauernhöfe, Geschäfte und Wohnungen leerräumen, um alles „ins Reich" zu schaffen. Als das Kommando Łódź erreichte, kam Norbert Hirschkorn bei seinen Eltern im Ghetto unter. Ab 1941 war er als Zwangsarbeiter u. a. an den Reichsautobahnen Frankfurt (Oder) - Posen und Breslau - Krakau. Nach 30 Monate dauernder Sklavenarbeit brachten ihn die Deutschen ins KZ Auschwitz. Hier ging die Zwangsarbeit weiter. Am 17. Januar 1945 trieb die SS 3.000 Häftlinge nach Westen ins KZ Blechhammer, wo Norbert Hirschkorn mit anderen Gefangenen fliehen konnte. In einem Transport ehemaliger belgischer Deportierter gelang es ihm, über Luxemburg nach Wawern bei Trier zurückzukehren. Seine Pläne, nach Argentinien bzw. Kanada auszuwandern, gab er 1951 auf, als er in Trier ein Geschäft für Damen- und Herrenstrickwaren eröffnete. In Brüssel hatte er Rita Weinmann kennengelernt, die mit ihren Eltern vor den Nazis aus Berlin dorthin geflüchtet war. Sie heirateten 1953 und bekamen zwei Kinder, Sonia und Ronnie. Norbert Hirschkorn wurde 1963 in den Vorstand der jüdischen Gemeinde gewählt. Er starb am 14. Juni 2002.

Jakobs älteste Schwester Sophie, die 1937 mit ihrem Mann Jakob Schimmel von Wawern nach Köln ging, schoben die Deutschen ebenfalls während der sogenannten „Polenaktion“ Ende Oktober 1938 gewaltsam nach Polen ab. Ihr weiteres Schicksal ist bisher nicht geklärt, möglicherweise wurde das Ehepaar in Majdanek ermordet. Die jüngeren Schwestern Paula und Erna Hirschkorn konnten nach England gerettet werden. Paula Hirschkorn kam am 20. Februar 1939 in Dover an, nachdem sie zwei Tage zuvor ein Visum erhalten hatte. Sie wohnte zunächst bei einer Tante im Londoner East End. Dort kam zunächst auch Erna unter. Da die Wohnung für die Familie zu klein wurde, zogen die beiden Schwestern in eine eigene Bleibe. Kurz nach Kriegsende lernte Paula Chaim Berlin kennen, der aus Vilnius stammte. Er war der einzige Überlebende seiner Familie. Chaim war als polnischer Kriegsgefangener im Stalag VIII A bei Görlitz. Nach der Befreiung ging er wie viele andere nach Schottland. Dort gab es seit September 1939 polnische Militäreinheiten, die Großbritannien im Kampf gegen Nazi-Deutschland unterstützten. Als Chaim Berlin 1946 Paula Hirschkorn heiratete, war er noch Soldat. Zur Feier kamen viele seiner in Schottland stationierten polnischen Kollegen. Paula und Chaim bekamen drei Kinder, Alan, Hilary und Sophie. Chaim Berlin wurde Ingenieur und starb 2006 im Alter von 92 Jahren. Paula Hirschkorn-Berlin starb 2016 im Alter von 96 Jahren.

Erna Hirschkorn erfuhr in Neu-Bentschen, dass sie einen Platz in einem Kindertransport nach England erhalten hatte, sodass auch sie am 13. August 1939 noch aus Nazi-Deutschland fliehen konnte. In London traf sie ihre Schwester Paula wieder. Sie heiratete später den Engländer Edward (Eddy) Binki. Das Ehepaar hatte ebenfalls drei Kinder – Adrian, Leslie und Raymond. Edward Binki arbeitete als Kraftfahrzeugmechaniker und starb 1995. Erna Hirschkorn-Binki starb 2014.

 

Mediathek
  • Die Hirschkorns in Wawern um 1928

    Paula, Sara, Norbert, Aron, Erna, Jakob, Sophie (v.l.).
  • Grenz-Ausweis Jakob Hirschkorn 1940

    Der Aufdruck „Evakuiert am 17.10.1941” war im Entschädigungsverfahren der Nachweis der Deportation.
  • Die Hochzeit von Paula Hirschkorn und Chaim Berlin (1946).

    Die Hochzeit von Paula Hirschkorn und Chaim Berlin (1946).
  • Erna, Halina, Paula (v.l.), frühe 1950er Jahre.

    Erna, Halina, Paula (v.l.), frühe 1950er Jahre.
  • Die Familien von Erna und Paula Ende der 1950er Jahre

    Oben (v.l.) Adrian, Eddy, Leslie und Raymond Binki, Rita Hirschkorn (die Frau von Norbert) und Erna Binki. Unten Hilary, Chaim, Paula und Alan Berlin.
  • London 1962

    Remon, Halina, Jakob und Ruth Hirschkorn. (v.l.).