Kunst polnischer Künstler im Kunstmuseum Bochum

Władysław Strzemiński, Grün-Rot-Architektur, 1928, Öl auf Pappe, 47,5 x 30 cm
Władysław Strzemiński, Grün-Rot-Architektur, 1928, Öl auf Pappe, 47,5 x 30 cm

Um neben den darstellenden und musikalischen endlich auch der bildenden Kunst in Bochum eine „kommunale Pflegestädte“[1] der bildenden Kunst zu bieten, eröffnete die Stadt Bochum im Jahre 1960 die „Städtische Kunstgalerie“ – das heutige Kunstmuseum Bochum. Der Stadtrat hatte beschlossen, Kunst nach 1945 zu sammeln und auszustellen mit dem Ziel, wie es der Gründungsdirektor Peter Leo formuliert: „(die) freiheitlich unbegrenzten Vielfalt bildnerischer Absichten, wie sie besonders die Entwicklung der Kunst nach 1945 auszeichnet (zu demonstrieren), die Ausweitung des Erfahrungsbereiches über den heimischen und nationalen Raum hinaus für ein in dieser Hinsicht stiefmütterlich behandeltes Publikum; zumal trotz bisher ungenügender Gegenliebe der Ideal-Adressat dieser Bemühungen die ansässige werktätige Bevölkerung bleibt.“[2]

Leo verstand sich als europäischer Kunstvermittler, der in dieser Zeit des „Kalten Krieges“ von Beginn an Europa nicht am „Eisernen Vorhang“ enden ließ. Er konzipierte zwar engagierte Einzel- und Themenausstellungen mit zeitgenössischer Kunst aus den Niederlanden, Frankreich, Italien, Spanien oder England, aber „als augenfälligste Lücke in den Beständen selbst der großen westdeutschen Museen erschien (ihm) die Kunst der sozialistischen Volksrepubliken. [...] Seit 1963 hat das Museum Bochum in Polen, Jugoslawien, Rumänien und in der Tschechoslowakei eine dichte Folge von Ausstellungen zusammengestellt und deutsche Kunst auch dort erstmalig präsentiert.“[3] Innerhalb der Ausstellungsreihe „Profile“, in der „jeweils zwei nach Generation und Herkunft verschiedene Kunstkritiker gleicher Nationalität in Unabhängigkeit voneinander oder von sachfremden Rücksichten [...] eine(r) Auswahl zeitgenössischer Kunst ihres Landes...vorführen“[4], kam es 1964/65 zu ersten Präsentation zeitgenössischer Kunst aus Polen. Es wurde unter anderen Werke von Jerzy Beres, Halina Chrostowska, Tadeusz Kantor, Aleksander Kobzdej, Janina Kraupe-Świderska, Marian Kruczek, Zbigniew Makowski, Jerzy Stajuda und Jan Tarasin gezeigt und aus dieser Ausstellung erworben. Alle diese Erwerbungen stellen Mosaiksteine in einem europäischen Sammlungspanorama dar, das Leo aus weiteren herausragenden Kunstwerke von nationalen und internationalen Künstlern zusammensetzt, wie Josef Albers, Carel Appel, Hans Arp, Francis Bacon, Willi Baumeister, Christo, Constant, Crippa, Ansgar Jorn, Lucebert, Cy Twombly oder Ossip Zadkine.

Nachdem Peter Leo 1972 unerwartet verstarb, übernahm sein aus der damaligen Tschechoslowakei gebürtige Assistent Peter Spielmann die Leitung des mittlerweile „Museum Bochum“ genannten Institutes. Von der Nationalgalerie in Prag kommend, erwies er sich als profunder Kenner der mittel- und osteuropäischen Kunstszene und ermöglichte durch seine mitgebrachten Kontakte zu der damaligen Zeit ansonsten nur schwer zugängliche Einblicke. Hatte Peter Leo „Fenster“ und „enge Durchlässe“ in den „Eisernen Vorhang“ mit diplomatischem Geschick geschaffen, so öffnete sein Nachfolger dank seines Netzwerkes so mache „Türe“. Wenn auch mit einem Schwerpunkt „Tschechischer Kunst“, setzte er diese europäische Ausstellungs- und Sammlungstradition fort und erwarb speziell auch verschiedene bedeutende Werke sowohl von bereits in der Sammlung vertretener als auch weiterer Künstler wie Władysław Hasior, Henyk Stażewski oder Władysław Strzeminski. Er nahm zudem eine „wesentliche Änderung“ vor: „Die ursprüngliche Festlegung auf die Kunst nach 1945 erwies sich als willkürliche und kunsthistorisch irrelevante Abgrenzung. Um historisch logisch die Kunstentwicklung darstellen zu können, entschloss man sich, Kunst des 20. Jahrhunderts zu sammeln“ und auszustellen. Historische und zeitgenössische Kunst aus Polen waren unter anderen in Einzel- und in verschiedensten Themenausstellungen zu sehen, wie : „Stanisław Fijałkowski“ (1978), „Das Prinzip Hoffnung“ (1983), „Jósef Szajna“ (1985), „Osteuropäische Avantgarde“ (1989) oder „Tadeusz Makowski 1882 -1932“ (1990), um nur einige zu nennen.

Das Museum Bochum galt sowohl in West- als auch in Osteuropa als ein herausragendes Forum, das zwischen diesen verschiedenen Kunstszenen vermittelte. Wenn man in Bochum immer um einen ausgewogen Überblick über die nationale und internationale Kunst bemüht war, so prägte doch die teilweise persönliche Erfahrung des Nationalsozialismus diese Generation und deren Verhältnis zur speziell tschechischen und polnischen Kunst. Bisweilen kam es zur politischen Überfrachtung von Kunst. Hatte das Bochumer Institut sich als einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt die Vermittlung zwischen Ost und West gesetzt, so relativierte sich diese Ausrichtung durch den Mauerfall. Zeitweise konnte man nahezu einen Boom von Ausstellungen mit ost- und mitteleuropäischer Kunst in Westdeutschland beobachten, der dann aber verebbte.

 

[1] Peter Leo, Vorwort in: Katalog Museum Bochum Kunstsammlung 1960-1970, Bochum 1970 S.3

[2] ebenda

[3] Katalog S.4

[4] Katalog S.3

Speziell zur polnischen Kunstszene haben sich die Beziehungen dahingehend „normalisiert“, dass sich die Kommunikation zwischen Künstlern und Kuratoren prinzipiell nicht von der zu westlichen wie der niederländischen oder französischen unterscheidet. Mein erster Kontakt zur aktuellen Kunst in Polen entstand 1990 als ich mich anlässlich einer Kooperation zwischen dem Kunstmuseum Bochum und dem Nationalmuseum Warschau in Warschau aufhielt. Ich hatte das Glück, durch meine Kollegin Dorota Monkiewicz gleich in eine vom Aufbruch geprägte, vitale Kunstszene eintauchen zu können. Während des Kriegsrechtes in Polen gingen die Künstler mit ihrer Kunst auf die Straße und trugen entscheidend zum Systemsturz bei. Vor allem meine Begegnungen mit Vertretern des Künstlerzusammenschlusses der Warschauer „Gruppa“ führten zum Entschluss, eine Ausstellung  aktueller polnischer Kunst aus den verschiedenen damaligen Kunstszenen Polens in Bochum zu konzipieren. So stellten wir 1993 unter dem ironisch metaphorischen Titel „UN-VOLLKOMMEN“ Werke von Künstlerinnen und Künstlern[5] aus Krakau, Lublin, Posen und Warschau aus. Während der Recherche zu diesem Projekt kam es zu einer Begegnung mit dem späteren Documentateilnehmer Mariusz Kruk, den ich gerne für die Bochumer Präsentation gewonnen hätte. Über meine Begeisterung an seiner Kunst erfreut, sagte er mir dennoch ab mit der Begründung, dass er nicht als polnischer Künstler, sondern „nur“ als Künstler gesehen werde wolle. Eine generell verständliche Position, die er als Pole und Angehöriger eines ehemaligen Ostblockstaates zusätzlich problematisierte. Mir hat diese Argumentation damals sehr eingeleuchtet, da auch in der Vergangenheit als Folge des „Kalten Krieges“ die Gefahr bestand, das Bochumer Museum mit seiner Ausrichtung nach Osteuropa zu stigmatisieren. So zeigte ich denn auch Zofia Kulik erstmals 1994 in Bochum in der international besetzten Themenausstellung „Natur im Stileben – Natura Morta“, die eigens für diese Ausstellung gefertigte, großformatige Fotoarbeit „Wer erobert die Welt“ (1994) konnte glücklicherweise für unsere Sammlung erworben werden. Als ich 1997 die Leitung des Kunstmuseums Bochum antrat, behielt ich trotz so genannter „gut gemeinter Ratschläge“, Osteuropa aus dem Fokus zu streichen, diese Traditionslinie bei, aber eben im betont internationalen Kontext. Das groß angelegte Kooperationsprojekt „Transfer Polen“[6] im Jahre 1998, das in Rahmen der internationalen Ausstellungsreihe des Kultursekretariats Wuppertal Transfer zustande kam, kam mir dabei sehr gelegen, um diese „neue Kontinuität“ zu demonstrieren. Künstlern aus NRW wurde ein mehrmonatiger Aufenthalt in Polen und umgekehrt Künstlern aus Polen in NRW bzw. in den Städten der teilnehmenden Museen finanziert und deren Werke hier wie dort ausgestellt. Aus dieser Ausstellung erwarben wir die Fotoinstallation „Memory/Losungen“ (1997) von Marta Deskur.

Mit den sehr reduzierten Ankaufsbudgets der kommunalen Museen im Ruhrgebiet verringern sich entsprechend die Ankäufe und die Sammlungen wachsen langsamer. Im Ausstellungsgeschehen spielt polnische Kunst in Bochum eine „normale“ Rolle; das heißt, projektbezogen bzw. in Solo- oder Themenausstellungen zeigen wir immer wieder Werke einzelner Künstlerinnen und Künstler. Noch vor ihrer Einladung zur documenta 12 im Jahre 2007 richteten wir in Bochum Zofia Kulik eine erste große Einzelausstellung in Deutschland aus. Auch Werke Mirosław Bałkas waren in Bochum in dichter Folge zu sehen; so etwa in der, mit Blick auf die Geschichte unseres Institutes, mit seiner Ausrichtung auf Ost- und Mitteleuropa, konzipierten Ausstellung „EIN PAAR LINKER SCHUHE – Reality Check in East Europe“ (2009), eine Kooperation mit dem Museum für zeitgenössische Kunst in Zagreb, die die „post-sozialistische“ Kunstszene zum Thema hatte. In ihrer Einzelausstellung „Niemandslicht: Ursula Schulz-Dornburg. Photographien 1973-2011“ im Jahre 2011 integrierte die Künstlerin eine raumgreifende Eisenskulptur von Mirosław Bałka als zentralen Bestandteil ihrer Werkübersicht und provozierte einen eindrucksvollen Dialog.

Nahezu selbstverständlich stellen wir immer  Künstler aus Polen, die in Deutschland leben, wie Danuta Karstens, Wika Mikrut oder Andrzej Kuczmiński in Einzel- oder Gruppenausstellung, wobei deren Herkunft meist unbemerkt bleibt.

Mit Blick auf die nähere Zukunft diskutieren wir für das Jahr 2015 eine Kooperation mit dem Zeitgenössischem Museum in Breslau (Muzeum Współczesne Wrocław) hinsichtlich einer Ausstellung über die Kunstszene in Breslau nach 1945.

Zusammenfassend lässt sich für das Kunstmuseum Bochum konstatieren, dass in der international orientierten Sammel- und  Ausstellungstätigkeit Künstler und deren Kunstwerke den historisch bedingten Sonderstatus zugunsten „normaler“, das heißt rein künstlerisch bedingter Auswahlkriterien, aufgegeben ist.

 

Hans Günter Golinski, Juni 2014

 

[5] Paweł Althammer, Ryszard Grzyb, Zbigniew Libera, Robert Maciejuk, Włodzimierz Pawlak, Joanna Przybyła, Tomasz, Psuja, Mikołaj Smoczyński

[6] Tomasz Bajer, Marta Deskur, Adam Garnek, Leszek Golec, Marek Kijewski & Kocur, Katarzyna Kozyra, Konrad Kuzyszyn, Leszek Lewandowski, Agata Michowska, Andrzej Syska, Marek Targoński

Mediathek
  • Władysław Strzemiński, Meerlandschaft

    1934, Gouache, 21 x 27 cm
  • Tadeusz Kantor, Relikt Nr. 1

    1963, Mischtechnik, 195 x 130 cm
  • Tadeusz Kantor, Objekt Pictural

    1964, Öl auf Leinwand, 195 x 130 cm
  • Jan Tarasin, Großer Strand

    1964, Öl auf Leinwand, 95 x 125 cm