Wiarus Polski – Eine polnische Zeitung aus dem Ruhrrevier
… zum national-polnischen Blatt mit demokratischer Gesellschaftsprogrammatik unter Brejski
Nachdem Jan Brejski die Zeitung 1893 als Verleger und Chefredakteur übernommen hatte, rückte die Entwicklung und Stärkung eines polnisch-nationalen Bewusstseins nach und nach in den Mittelpunkt der journalistischen und organisatorischen Arbeit des „Wiarus Polski“. Die katholische Religion blieb aber weiterhin untrennbarer Bestandteil. Ausdruck der Akzentverschiebung war die veränderte Losung unter dem Zeitungstitel: Stand dort in den ersten gut zehn Jahren das „Bete und arbeite!“ wurde sie Anfang des 20. Jahrhunderts durch „Im Namen Gottes für Glauben und Vaterland!“ („W imię Boże za Wiarę i Ojczyznę!“) ersetzt. Während Pastor Liss also katholischer Seelsorger mit polnisch-nationalem Bewusstsein war, war Brejski ein nationalpolnischer Politiker, zu dem der Katholizismus als notwendiger Bestandteil dazugehörte.
Bei seiner Arbeit verfolgte Brejski eine durchdachte politische Agenda. In einem Aufruf vom 24. Mai 1903 an die Wähler seines Wahlkreises in Westpreußen wurde diese Konzeption ausführlich vorgestellt. Brejski unterstrich, dass er Pole und Katholik sei, und bezeichnete sich als „obywatel ludowiec“, also als Anhänger der Ruch Ludowy: Er verstand sich als ein Politiker für die ‚kleinen Leute‘. Ausdrücklich nannte er dabei die Arbeiter, die Handwerker und kleinen Kaufleute sowie die bäuerliche Landbevölkerung. Die im Aufruf genannten gesellschaftspolitischen Forderungen für einen gerechten Staat entsprachen weitgehend denen für eine parlamentarische, bürgerlich-demokratisch strukturierte Gesellschaft, wie sie ähnlich von bürgerlich-liberalen Organisationen und der Sozialdemokratie vertreten wurden: Gleichberechtigung aller Stände, Religionsbekenntnisse und Nationalitäten, umfassende Pressefreiheit, Gewaltenteilung, darunter unabhängige Gerichtsbarkeit, allgemeine und gleiche Wahlen für alle Parlamente im Staat. Allerdings fehlte hier die Forderung des Frauenwahlrechts. Weiter wurde die volle Organisationsfreiheit für alle Teile der Bevölkerung, also auch für die unteren Gesellschaftsschichten, wie auch ein kostenloses Bildungssystem bis hin zur Universität gefordert. Ausdrücklich lehnte Brejski jede Form von Klassenherrschaft ab und vertrat ganz im Sinn der katholischen Soziallehre den gesellschaftlichen Solidarismus, d.h. dass alle unterschiedlichen Schichten, auch die wohlhabenden, ihren Platz in der Gesellschaft hätten und diese gleichberechtigt gemeinsam organisieren müssten.
Dieser Aufruf wurde in der Ausgabe des „Wiarus Polski“ vom 23. Februar 1918 unter der Überschrift „Unser Programm“ (Nasz Program) mit der ausdrücklichen Feststellung nachgedruckt, dass es auch redaktionelle Grundlage des „Wiarus Polski“ gewesen war und weiterhin sei. Das Ziel der nationalpolnischen Arbeit der Ludowcy um den „Wiarus Polski“ war demnach, „den polnischen Arbeitern in der Fremde Mittel zur effektiven Verteidigung ihrer materiellen Bedürfnisse an die Hand zu geben, ohne den nationalen wie den religiös-moralischen Interessen zu schaden. Als eines der effektivsten Mittel, die zu diesem Ziel führen, erachten wir (der „Wiarus Polski“– WS.) Organisationen, die sich auf eine gesunde Bildung und auf allseitige Aufklärung und Selbstständigkeit aller Landsleute stützen. (…) Bis heute (1918-WS.) ist das unser Bestreben“ (Übersetzung-WS.).
Unfreiwillige Unterstützung
Hilfe beim Aufbau solcher Organisationen und der Entwicklung eines nationalpolnischen Bewusstseins erhielt der „Wiarus Polski“ unfreiwilligerweise durch die rücksichtslose Germanisierungspolitik des Kaiserreiches, die die aktive Zustimmung der deutschen konservativen Organisationen und Parteien wie auch weitgehend der beiden deutschen christlichen Kirchen fand. Besonders deutlich drückte sie sich in der fortschreitenden Unterdrückung der polnischen Sprache im öffentlichen Raum aus, was zu einem Bekenntnis zum Polentum auch bei polnischsprachigen Menschen führte, die sich damit bisher nicht umfassend identifiziert hatten. Wollte man denn einen zentralen Teil seiner kulturellen Identität bewahren, stand man in direktem Gegensatz zum Staat und den ihn dabei unterstützenden Institutionen. Man wurde quasi zum Polnischsein gezwungen.[5]
Aber auch die nur sporadische Akzeptanz der polnischsprachigen Arbeiter als solche durch die großen deutschen Gewerkschaften, den mit dem katholischen Zentrum verbundenen Christlichen Gewerkverein und den sozialdemokratisch orientierten Alten Verband, stieß einen Großteil von ihnen vor den Kopf. Man konnte sich beispielsweise nicht dazu durchringen, regelmäßig erscheinende polnischsprachige Gewerkschaftszeitungen herauszugeben, die über die betrieblichen, aber auch sonstigen Belange der Arbeitswelt informierten. Auch polnischsprachige Vertreter in Knappschaftsvertretungen und Betriebsausschüssen, wie sie seit Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder gefordert wurden, wurden nicht oder nur halbherzig unterstützt. Diese Missachtung der kulturellen Identität durch Unentschlossenheit, oftmals vermischt mit nationalen Ressentiments, begünstigte ebenfalls die nationale Arbeit des „Wiarus Polski“. Mit seinen eigenen Seiten, aber auch durch die Herausgabe der regelmäßig erscheinenden Beilage „Stimme der Hütten-und Bergarbeiter“ (Głos Górników i Hutników) wurde das Informationsbedürfnis polnischsprachiger Arbeiter über die Ruhrregion und deren betrieblichen Probleme, ihre Herkunftsregionen, aber auch über bedeutende überregionale Ereignisse und neue Gesetzesvorhaben berücksichtigt. Dabei bediente sich der „Wiarus Polski“ verschiedener sprachlicher Mittel, um die Orientierung hin zum Polentum zu fördern. Wenn die Redaktion von den Herkunftsregionen seiner Leserinnen und Leser berichtete, fasste sie diese unter der Rubrik „Aus der Heimat“ („Z stron ojczystych“) zusammen, wenn sie Nachrichten aus dem Ruhrrevier brachte, nannte er diese „aus der Fremde“ („na obczyźnie”). So wahrte er auch sichtbar die Distanz zum aktuellen Wohnort und machte deutlich, dass nicht das Deutsche Kaiserreich Heimatland war, sondern die durch Preußen einverleibten, eigentlich polnischen Gebiete.
[5] siehe dazu ausführlich: Wulf Schade, Statt Integration organisierte Ausgrenzung und Verfolgung, Zur Diskussion über die „Integration“ der „Ruhrpolen“, in: Märkisches Jahrbuch für Geschichte, Band 117, 2018, S. 155-202