Wiarus Polski – Eine polnische Zeitung aus dem Ruhrrevier

Gemeinsame Erklärung nationalpolnischer Organisationen zum Staatsgebiet Polens, Wiarus Polski vom 12. Oktober 1918
Gemeinsame Erklärung nationalpolnischer Organisationen zum Staatsgebiet Polens, Wiarus Polski vom 12. Oktober 1918

Zwischen nationaler Aufgabe und revolutionärem Umbruch

Der „Wiarus Polski“ versuchte durch seine Berichterstattung, die Unterstützung von ZZP, NSR und der nationalpolnischen Bildungseinrichtungen sowie die publizistische Zurückweisung nationaldemokratischer wie christdemokratischer Angriffe gegen die „bolschewisierten Westfalen“ seiner sich selbst gestellten Aufgabe, zusammen mit möglichst vielen polnischsprachigen Katholikinnen und Katholiken geordnet nach Polen überzusiedeln, nachzukommen. Jedoch waren die Umstände sehr schwierig.

Die zunehmende gesellschaftliche Radikalisierung von Polinnen und Polen, auch aus dem Umkreis des „Wiarus Polski“, der NSR und der ZZP, zeichnete sich bereits vor Ausbruch der Revolution im November 1918 ab. Um diese Personen weiterhin für die nationale Sache zu erreichen, musste der „Wiarus Polski“ seine Rhetorik entsprechend anpassen. So sprach er beispielsweise bereits im Februar 1918 in dem o.g. Artikel „Unser Programm“ von „Klasseninteresse“ (interesy klasowe) und „Klassenbewusstsein“ (klasowość). Gleichzeitig unterstrich er deutlich die nationalen Ziele bei der in den folgenden Monaten diskutierten Programmatik der NSR, um die Übernahme allzu radikaler Positionen zu verhindern. Ganz offensichtlich aber schritt die Radikalisierung unter polnischen Arbeitern in der Folgezeit weiter voran. Der „Wiarus Polski“ sah sich gezwungen, wollte er den Kontakt zu diesen Arbeitern nicht verlieren, die Diskussion noch weiter, bis hin zu sozialistischen Positionen zu öffnen. Deutlich zeigten sich diese in dem programmatischen Artikel „Volkspolen“ („Polska ludowa“) vom 9. Oktober 1918, wo festgestellt wurde: „Wir wissen nicht, ob das Wohl des Volkes (…) nicht in fünf, zehn, fünfzehn Jahren zu einer Vergesellschaftung aller Arbeitsstätten, ja auch des Bodens zwingt.“ (Übersetzung-WS.) Der mit solchen Gedanken verbundenen Gefahr, den nationalen gesellschaftlichen Solidarismus programmatisch durch einen klassenkämpferischen Sozialismus zu ersetzen, trat der „Wiarus Polski“ mit verstärkter nationaler Positionierung, zunehmend aber auch mit antisemitischer Diskreditierung des Sozialismus entgegen. So behauptete er wiederholt, dass maßgebliche Führer der russischen, deutschen wie auch polnischen Sozialisten und Bolschewisten Juden waren und wies jede Zusammenarbeit innerhalb der polnischen Bevölkerung mit „nichtpolnischen Organisationen“ zurück.

Im neuen Polen gab es von konservativen Kräften genährte politische Bestrebungen, die in ihren Augen „bolschewisierten Westfalen“ an der Rückkehr nach Polen zu hindern. Darüber hinaus war der neue polnische Staat in den ersten Jahren nicht in der Lage, mehr als wenige Zehntausend Menschen „aus der Fremde“ aufzunehmen. Im republikanischen Deutschland hatte die Revolution starken Einfluss, das nationale Bewusstsein trat oftmals zu Gunsten sozialistischer Vorstellungen in den Hintergrund. Wie durch verschiedene Artikel und Meldungen im „Wiarus Polski“ ab Herbst 1918 deutlich wurde, beteiligte sich ein bedeutender Teil der polnischen Männer und Frauen aktiv an Demonstrationen und Kundgebungen der radikalen Linken. Die Bindungskraft nationalpolnischer Organisationen verlor bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der polnischen Bevölkerung an Stärke. Immer wieder warnte der „Wiarus Polski“ deshalb, sich von den deutschen Revolutionären missbrauchen zu lassen und bezeichnete es als Pflicht aller Polinnen und Polen, sich in nationalen Organisationen zu vereinigen und deutsche zu meiden. Alles andere sei Verrat an der eigenen Nation. In diesem Sinne verurteilte er das Verhalten polnischer Bergarbeiter bei den Arbeiterkammerwahlen im Juni 1919, denn diese hatten trotz polnischer Kandidaten mehrheitlich die sozialdemokratischen gewählt.

Obwohl die ideologische Bindungskraft des „Wiarus Polski“ an Kraft verlor, behielt er als Informationsorgan in polnischer Sprache über die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Polen und damit verbunden über die Übersiedlungsmöglichkeiten dorthin sowie mit der Berichterstattung und Kommentierung polnischen Lebens in Deutschland einen hohen Stellenwert. So waren seine Berichte über die alltäglichen Diskriminierungen durch die deutschen Behörden und die Kirchen, die auch nach der Revolution nur wenig abgeschwächt wurden sowie die gewaltsamen Störungen polnischer Versammlungen durch deutsch-nationale Organisationen dazu geeignet, an einer friedlichen Zukunft in Deutschland zu zweifeln. Die Abstimmungen 1920/21 in Ostpreußen und Schlesien über die dortigen Grenzziehungen verschärften noch einmal die nationalen Spannungen, die diesmal auch durch nationalistische Teile der deutschen Sozialdemokratie gefördert worden waren. Nur einige bürgerlich-demokratische Gruppen und Personen wie auch Syndikalisten und Kommunisten stellten sich dem nationalen Wahn entgegen. Auf Seiten der polnischen Bevölkerung schien sich die ständig wiederholte Feststellung im „Wiarus Polski“, dass der Deutsche niemals dem Polen ein Bruder sein kann, zu bewahrheiten. Man fühlte, dass man trotz immer wieder praktizierter Loyalität zum deutschen Staat nicht erwünscht war. Das führte letztlich neben der Übersiedlung nach Polen zur Auswanderung einer großen Zahl von Polinnen und Polen nach Frankreich und Belgien, darunter auch vieler derjenigen, die sich für die neue demokratische Staatsstruktur in Deutschland aktiv eingesetzt hatten. Die nationalpolnischen Organisationen lösten sich eine nach dem anderen auf, auch der „Wiarus Polski“ verlor seine Basis und siedelte im Jahre 1923 nach Frankreich über, wo er mit Unterbrechungen noch bis 1961 erschien.

 

Wulf Schade, November 2018

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