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Henryk Górecki: Sinfonie der Klagelieder

Henryk Mikołai Górecki, 2011. Foto: Malcolm Crowthers. Aus dem Programm der Badischen Staatskapelle Karlsruhe anlässlich des 4. Sonderkonzerts am 23.05.2014 während der 22. Europäischen Kulturtage in Karlsruhe
Henryk Mikołai Górecki, 2011. Aus dem Programm der Badischen Staatskapelle Karlsruhe anlässlich des 4. Sonderkonzerts am 23.05.2014 während der 22. Europäischen Kulturtage in Karlsruhe

Die erste Schallplattenaufnahme wurde 1978 in Polen von dem Warschauer Musiklabel Polskie Nagrania Muza in einer Aufnahme mit dem Großen Sinfonieorchester des Polnischen Radios/Wielka Orkiestra Symfoniczna PR i TV aus Kattowitz unter der Leitung von Jerzy Katlewicz (1927-2015) herausgebracht (Abb. 2).[22] Es war jedoch eine deutsche Schallplatten-Edition, so der amerikanische Musikwissenschaftler Luke B. Howard, die die weltweite Verbreitung der Sinfonie auf den Weg brachte, nämlich eine 1982 beim Pädagogischen Verlag Schwann in Düsseldorf unter dem Label Schwann Musica Mundi produzierte LP mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung des polnisch-australischen Dirigenten Włodzimierz Kamirski (1943-2017), aufgenommen in der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem und fälschlich als „Weltpremiere“ bezeichnet.[23] Auch bei diesen beiden Aufnahmen bestritt Woytowicz den Gesangspart.

Erst 1985 erschien eine vollständige Aufnahme der Uraufführung von 1977 auf einer Schallplatte bei dem Pariser Musiklabel für klassische und zeitgenössische französische Musik, Erato, allerdings ausschließlich in Bezug zu dem französischen Spielfilm „Police“ (1985, dt. „Der Bulle von Paris“) von Maurice Pialat mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle, in dem Teile von Góreckis Sinfonie als Soundtrack fungierten (Abb. 3).[24] Mark Swed, Kritiker der Los Angeles Times, bezeichnete das reißerische Plattencover zwar als „one of the dumbest packaging decisions in modern record-business history“,[25] jedoch begründete dieser Werbegag vermutlich die weltweite Popularisierung von Góreckis 3. Sinfonie, zumal die Musik in der Folge begeisterte Rezensionen in US-amerikanischen Musik- und Schallplatten-Magazinen wie Fanfare, Opus und Tageszeitungen wie der Los Angeles Times erfuhr.[26] Dieselbe Aufnahme erschien 1993 bei dem zur deutschen Polygram gehörenden Plattenlabel Belart[27] (Abb. 4). In den folgenden Jahren erschienen zahlreiche Neuauflagen der bereits existierenden Aufnahmen weltweit unter verschiedenen Labeln und auch auf Compact Disc. Unter anderem brachte das Musiklabel Apex 2003 eine digitale Neuaufnahme der Uraufführung mit dem Sinfonieorchester des Südwestfunks auf CD heraus, die bis heute bei Warner Classics erhältlich ist (Abb. 5).[28] In den späten 1980er-Jahren fanden Aufführungen der 3. Sinfonie unter anderem in Braunschweig, Bonn, Rom, Sydney, Adelaide sowie in verschiedenen Colleges in Minnesota und Virginia statt. Teile der Sinfonie dienten als Soundtrack für Rockgruppen wie die britische Industrial Band Test Dept., für einen britischen Fernsehfilm über Vincent van Gogh und für Tanztheater in den USA, Frankreich und den Niederlanden.

Es war jedoch eine komplette Neueinspielung, die der 3. Sinfonie zu einem nie vorauszuahnenden, weltweiten Siegeszug verhalf. Im Mai 1991 nahm der US-amerikanische Dirigent David Zinman (*1936), zu dieser Zeit Musikdirektor des Baltimore Symphony Orchestra, in den Cine-Tele Sound (CTS) Studios in London mit dem Kammermusik-Ensemble London Sinfonietta, welches das Werk zwei Jahre zuvor in der britischen Hauptstadt aufgeführt hatte, und mit der aus Nashville stammenden Opernsängerin Dawn Upshaw (*1960) die Sinfonie neu auf. Die im deutschen Presswerk der Warner Music Manufacturing Europe in Alsdorf produzierte Compact Disc erschien 1992 bei dem Label Elektra Nonesuch (Abb. 6).[29] Nachdem der britische Klassik-Radiosender Classic FM diese Einspielung 1993 in sein Programm aufgenommen hatte („einer der DJs spielte jeden Samstagmorgen denselben Auszug“[30]), eroberte sie die anglo-amerikanischen Pop-Charts, wo sie im Juli 1993 auf Platz 6 stand. Für 37 Wochen war sie die Nummer 1 des Billboard Classical Albums Chart. Schon im März 1993 berichtete das deutsche Magazin Der Spiegel: „Zehn Jahre lang fand Góreckis ‚Sinfonie der Klagelieder‘ kaum Anklang - nun avanciert sie plötzlich zur ‚bemerkenswertesten Kultplatte aller Zeiten‘ (The Times): Warner Classics liefert von der jüngsten Einspielung des Stücks auf dem Edellabel Nonesuch täglich 8000 Tonträger aus. Der Umsatz liegt schon weit über 200 000 CDs.“ Górecki habe „mittlerweile sogar Mick Jagger und Paul McCartney überrundet“, berichtete Der Spiegel.[31] Er habe sich besser verkauft als Madonna, schrieb der Musikautor Tony Palmer (*1941) im britischen YOU Magazine.[32]

 

[22] Polskie Nagrania Muza SX 1648 (1978 ff.), 1988 als CD bei Olympia ODC 313, vergleiche auch: Henryk Mikołaj Górecki, "III Symfonia" (Polskie Nagrania) auf: culture.pl, https://culture.pl/pl/dzielo/henryk-mikolaj-gorecki-iii-symfonia-polskie-nagrania; in englischer Sprache: https://culture.pl/en/work/symphony-no-3-of-sorrowful-songs-henryk-mikolaj-gorecki – Discografie zu Henryk Górecki auf: discogs.com, https://www.discogs.com/de/artist/216138-Henryk-G%C3%B3recki

[23] Schwann Musica Mundi LC 1083, VMS 1615 (1983), vergleiche auf: discogs.com, https://www.discogs.com/de/Henryk-Mikolaj-G%C3%B3recki-Stefania-Woytowicz-Radio-Symphonie-Orchester-Berlin-Wlodzimierz-Kamirski-Sin/master/339712. Die LP wurde begleitet durch eine ausgesprochen positive Besprechung von Stephen Whealton: Górecki: Symphony No. 3, in: American Record Guide 46/6 (September), Cincinnati, OH, 1983, Seite 23. Whealton beschrieb die Sinfonie als originelles, direktes und bewegendes Werk, das die Zuhörer vielfach belohnt. Vergleiche Howard [1997] 2003 (siehe Literatur und Online), Anmerkung 16

[25] Mark Swed: Poland Spring, in: 7 Days, 01.03.1989

[26] Vergleiche Howard [1997] 2003 (siehe Literatur und Online), Anmerkung 19

[30] Ruderer/Welscher 2016 (siehe Online)

[31] Der Spiegel 10/1993 vom 08.03.1993 (siehe Online), Seite 234

[32] Tony Palmer: The Unknown Hero Who Outsells Madonna, in: YOU Magazine vom 04.04.1993

Mediateka
  • Abb. 1: Henryk Górecki, 1977

    Henryk Górecki, 1977. Aus dem Programm des 14. Internationalen Festivals zeitgenössischer Kunst in Royan, 02.-08.04.1977
  • Abb. 2: LP-Cover, 1978

    Erste Schallplattenaufnahme der 3. Sinfonie mit dem Großen Sinfonieorchester des Polnischen Radios unter der Leitung von Jerzy Katlewicz, bei Polskie Nagrania Muza, 1978
  • Abb. 3: LP-Cover, 1985

    Schallplattenaufnahme von der Uraufführung der 3. Sinfonie (1977) in Verbindung mit dem Kinofilm „Police“, bei Erato,1985
  • Abb. 4: LP-Cover, 1993

    Schallplattenaufnahme von der Uraufführung der 3. Sinfonie mit dem Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden (1977), bei Belart (Polygram), 1993
  • Abb. 5: LP-Cover, 2007

    Schallplattenaufnahme von der Uraufführung der 3. Sinfonie mit dem Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden (1977), bei Apex (Warner Classics, 2003), Neuauflage 2007
  • Abb. 6: LP-Cover, 1992

    Schallplattenaufnahme der 3. Sinfonie mit der London Sinfonietta unter der Leitung von David Zinman, bei Elektra Nonesuch, 1992
  • PDF 1: Programmheft, 2014

    Programmheft des Konzerts am 23.05.2014 während der 22. Europäischen Kulturtage in Karlsruhe mit der Badischen Staatskapelle Karlsruhe
  • PDF 2: Festival Royan 1977

    Programm des 14. Internationalen Festivals für zeitgenössische Kunst in Royan, 1977 (Auszug, Seiten 1, 3, 49, 51, 54-55)
  • PDF 3: Programmheft, 2018

    Programmheft des Konzerts „Urbański & Anderszewski“ in der Elbphilharmonie Hamburg am 17.11.2018