Myćka, Katarzyna

Katarzyna Myćka
Katarzyna Myćka

Die Marimba existiert als Solo- und Konzertinstrument, wie sie von Katarzyna Myćka gespielt wird, erst seit Mitte der 1980er-Jahre. Zugleich ist das Marimbaphon eines der ältesten Instrumente der Menschheit. Vorläufer waren schon vor fünftausend Jahren in Vietnam und Indonesien bekannt. Vermutlich von dort gelangte das Instrument nach Afrika, wo es im 14. Jahrhundert im Königreich Mali schriftlich dokumentiert ist. Von den Xylophonen unterscheidet es sich durch gefäß- oder röhrenförmige Resonatoren, die unter den hölzernen Klangstäben montiert sind. Mit dem Sklavenhandel kam die Marimba nach Südamerika, wo sie bis heute in zahlreichen Ländern traditionell gespielt wird. Die moderne Form wurde um 1880 in Guatemala und Mexiko als chromatisches zweireihiges Instrument entwickelt, bei dem die Klangplatten wie auf dem Klavier angeordnet sind. In den 1930er-Jahren wurden die ersten Konzerte veranstaltet. 1947 schrieb Darius Milhaud ein Konzert für Marimbaphon, Vibraphon und Orchester. Seit Beginn der Achtzigerjahre entwickelte Ron Samuels in Arcata in Kalifornien das Marimba One mit fünf Oktaven, das weiterhin dort handgefertigt wird und auf dem Marimba-Solisten wie Katarzyna Myćka weltweit spielen.

1972 in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg geboren, wuchs die Musikerin in Danzig/Gdańsk auf. Auf der dortigen Musikschule wechselte sie mit sechzehn Jahren vom Klavier zum Schlagzeug. Zwei Jahre später begann sie ihr Studium an der Danziger Musikhochschule, an der sie zum ersten Mal mit der Marimba in Berührung kam. 1992 gewann sie als jüngste Teilnehmerin beim Concours des Genève (CIEM) ein Auslandsstipendium, woraufhin sie ab 1993 in Stuttgart und anschließend am Mozarteum in Salzburg bei dem Schlagzeuger Peter Sadlo studierte. Zu dieser Zeit entdeckte sie die Marimba One, wobei sie nicht nur der Klang des Instruments, sondern auch dessen handwerkliche Fertigung mit der Liebe zum Holz und zum Design faszinierten. Sie erkannte die virtuose Qualität des Instruments und wählte es als ihr „ideales Medium für die musikalische Aussage“. 1995 erreichte sie den Sieg und den Publikumspreis für Marimba Solo bei der International Percussion Competition in Luxemburg, im Jahr darauf den ersten Preis bei der First World Marimba Competition in Stuttgart. Ihr Studium beendete Myćka in Danzig, die Solistenklasse in Stuttgart. Es folgten Stipendien und Einladungen zu Meisterkursen in den USA, Asien und verschiedenen europäischen Ländern, die die junge Musikerin bald in der Szene vernetzten. Heute attestieren ihr Fachwelt und Kritik einen außergewöhnlichen Reichtum an Klangfarben, eine „faszinierend breite Palette musikalischer Wirkungen“ und angesichts der tanzenden und wirbelnden Schlägel, mit denen sie die Marimba spielt, „höchste Geläufigkeit“, „perfekte Anschlagtechnik“ und „traumhaft rhythmische Präzision“.

Aufgrund der nur dreißigjährigen Tradition der modernen Marimba ist die spielbare Musikliteratur begrenzt. Bearbeitungen klassischer Kompositionen wie Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, Stücke von Bach, Vivaldi oder Ravel sind bei Konzertveranstaltern und beim Publikum beliebt. Myćka schätzt unter anderem die Cello-Suiten von Bach. Sie arbeitet aber auch verstärkt mit jungen Komponisten zusammen, sodass seit einigen Jahren rund zehn zeitgenössische Konzerte für Marimba zur gut spielbaren Literatur gehören. Das Instrument ist wegen seiner Klangerzeugung durch Schlägel Teil der Schlagzeugfamilie, steht aber für Myćka wegen seiner melodischen Qualität eher dem Klavier nahe. Da jedoch aufgrund der Obertöne nicht in jeder Tonlage alle Intervalle gut klingen, stellt das Instrument an Bearbeiter und Komponisten hohe Ansprüche.

Konkret gehören neben Bachs Cello-Suiten Nr. 2 und 3 unter anderem die Toccata und Fuge d-Moll, Chopins „Revolutionsetüde“ und Prokofjews „Romeo und Julia“ zu ihrem Solorepertoire ebenso wie zeitgenössische Kompositionen der japanischen Marimba-Virtuosin und Komponistin Abe Keiko, Stücke von Jacob Druckman, David Friedman, Arkadiusz Kątny, Igmar Alderete Acosta und Emmanuel Séjourné. Hinzu kommen als Orchesterwerke Cembalo- und Violinkonzerte von Bach, Stücke für Marimba Duo, darunter Tangos von Astor Piazzolla, sowie Werke für Marimba mit Schlagzeug-Ensemble, Orgel oder Chor von zeitgenössischen Komponisten. Ein besonderes Erlebnis ist das Konzert für Marimba, Trompete und Streichorchester in zwei Sätzen der 1968 in Warschau geborenen Komponistin Anna Ignatowicz-Glińska, das 2011 von Katarzyna Myćka und der Prager Kammerphilharmonie unter der Leitung von Matthias Kuhn in der Stuttgarter Liederhalle erstmals in Deutschland aufgeführt wurde.

Soloauftritte bei den führenden Marimba-Festivals 1998 in Osaka, 2004 in Linz und 2010 in Minneapolis machten Myćka international zu einer Pionierin ihres Instruments. Ihr Amerikadebüt gab sie 1997 in Anaheim bei Los Angeles beim Internationalen Schlagzeugfestival der Percussive Arts Society (PASIC), deren German Chapter sie seit 2005 vorsteht. Solistisch gastierte sie u.a. bei den Stuttgarter Philharmonikern, den Bochumer Symphonikern, dem Sinfonieorchester in Bogota, dem Orchester des Staatstheaters Kassel, dem Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchester in Flensburg, dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn, dem Beijing Symphony Orchestra, dem Wiener Kammerorchester, der Neubrandenburger Philharmonie, der Slowakischen Philharmonie in Bratislava und den Philharmonischen Orchestern Polens in Danzig, Łódź, Stettin/Szczecin, Oppeln und Wałbrzych.

Besonderen Wert legt sie auf die Ausbildung des Nachwuchses. 2003 gründete sie die Internationale Katarzyna Myćka Marimba Akademie (IKMMA), die seitdem alle zwei Jahre unter Beteiligung weiterer internationaler Dozenten an acht Tagen während der studentischen Sommerferien stattfindet und bei der jeder Teilnehmer täglich vierzig Minuten Einzelunterricht erhält. Tägliche Konzerte geben die Möglichkeit zu Ensemblespiel und Soloauftritten. Von 2003 bis 2007 fand die Akademie an der Karol-Lipinski-Universität für Musik in Breslau/Wrocław (Akademia Muzyczna im. Karola Lipińskiego we Wrocławiu) statt, 2009 an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main, 2011 an der Hochschule für Musik in Nürnberg und 2013 am Konservatorium der Stadt Luxemburg. Anlässlich der Akademie in Hannover 2015 gab es ein Eröffnungskonzert der Dozenten im Richard-Jacoby-Saal der Musikhochschule, ein Konzert mit Werken des griechischen Komponisten Christos Hatzis sowie ein Abschlusskonzert der Teilnehmer mit kammermusikalischen Werken von Mussorgsky, Jarrod Cagwin und Eric Sammut. Von 2006 bis 2009 unterrichtete Myćka an der Ignacy-Jan-Paderewski-Musikakademie in Posen/Poznań (Akademia Muzyczna im. Ignacego Jana Paderewskiego w Poznaniu), der ersten Hochschule in Polen, an der man ein Meisterstudium im Fach Marimba abschließen konnte. Für das Studium an deutschen Hochschulen wünscht sich die Musikerin eine Herauslösung aus dem Schlagzeug-Bereich und die Etablierung eines eigenen Studiengangs.

Zwischen 1997 und 2008 hat sie sechs CDs eingespielt. Die Mehrzahl enthält zeitgenössische Kompositionen, aufgenommen beim Südwestrundfunk in Stuttgart. Es sind aber auch Konzerteinspielungen mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (2001) und Cembalo/Marimba-Konzerte von Johann Sebastian Bach mit dem Nationalen Radioorchester Bukarest (2005) darunter. Für den November 2015 plant die Musikerin eine weitere CD-Einspielung, diesmal mit dem Stuttgarter Kammerorchester, dem Trompeten-Virtuosen Gábor Boldoczki und dem Dirigenten Matthias Kuhn. Sie freut sich darauf, Konzerte von Ignatowicz, Séjourné, Sammut und Ney Rosauro aufzunehmen.

Axel Feuß, März 2016

 

Quellen:

Interview, geführt 2006 von Evgeniya Kavaldzhieva auf marimba-portal.de

Interview, geführt 2009 von Tobias W. Pfleger auf klassik.com

Webseite der Künstlerin: marimbasolo.com

Instrument Marimba One: marimbaone.com

stuttgarter-philharmoniker.de

Anna Ignatowicz-Glińska: Konzert für Marimba, Trompete und Streichorchester, Katarzyna Myćka und die Prager Kammerphilharmonie, Leitung: Matthias Kuhn, Liederhalle Stuttgart, 2011 (youtube.com)

Auskünfte der Künstlerin