Seiten Ganzer Text

Błażej Stolarski (1880-1939)

Der Parkfriedhof im Berliner Stadtteil Marzahn. Wir folgen der Hauptalle bis zum rechts gelegenen Gedenkstein für die Opfer des Faschismus. Hier biegen wir nach Westen ab, Richtung Urnenfeld 9 U. An der Ecke der ersten Querallee fangen auf der rechten Seite die Kriegsgräber an, von denen es an anderer Stelle noch viel mehr auf dem Friedhof gibt. Uns interessiert jedoch besonders die Abteilung 3 U, in der bescheidene Steintafeln Auskunft darüber geben, dass hier die Opfer des zweiten Weltkriegs ihre letzte Ruhestätte fanden. Wir wissen nichts über sie, nur ihre Familiennamen (und in seltenen Fällen ihre Vornamen) belegen ihre Herkunft. Die meisten der hier Begrabenen – und das können wir nur ahnen – sind Slawen: Weißrussen, Tschechen, Polen und Ukrainer. Auf einer Tafel ist eingraviert: Błażej Stolarski, darunter das Geburts- und das Sterbedatum. Die obligatorischen Jahreszahlen 1939-1945 verraten, dass es sich hier um ein Opfer des zweiten Weltkriegs handelt. Die Tafel ist wesentlich neueren Datums und sieht trotzdem genauso aus wie alle anderen.

Die schlichte Grabstelle birgt nicht nur die Geschichte des Lebens, der Erfolge und der Niederlagen eines der größten Bauernaktivisten der Zweiten Polnischen Republik, sondern auch die der nicht restlos geklärten Tragödie, die sich in den ersten Kriegsmonaten ereignete. Eine Geschichte, von der noch bis vor kurzem nur die engste Familie und eine kleine Gruppe von Studenten und Wissenschaftlern wusste, wobei die Umstände des Todes im Oktober 1939 und der Bestattungsort bis zu dem Zeitpunkt unbekannt waren, als sich der Berliner Klaus Leutner, ein großer Freund Polens, für den Schulzen von Będków zu interessieren begann.

Public Domain, opracował do publikacji Marian Stefanowski.

Keineswegs am Rande...

Man sagt, dass eine Kette nur so stark wie ihre Glieder sei.

Die Kette von Menschen guten Willens, die zur Klärung des Schicksals von Błażej Stolarski nach seiner Festnahme in Polen beigetragen haben, besteht aus vier Personen, darunter zwei Frauen: Rima Gutte aus dem Berliner Senat, die eine Liste mit den Namen der Polen zur Verfügung gestellt hat, auf der auch Błażej Stolarski steht, die ihre letzte Ruhestätte auf dem Marzahner Friedhof fanden, und Cordula Liepack aus dem Kreisarchiv in Luckau, die den Zugang zu den Dokumenten ermöglicht hat, die den geheimnisvollen Tod von Senator Stolarski größtenteils beleuchten. Außerdem zwei Herren: dr Paweł Perzyna vom Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej, IPN) in Łódź, dem Verfasser einer Biografie von B. Stolarski, der die erwähnten Informationen zusammentrug und sie in Polen zugänglich machte, sowie selbstverständlich Klaus Leutner, allem Anschein nach das stärkste Glied dieser Kette, der sich seit vielen Jahren für die deutsch-polnische Versöhnung verwendet. Seiner akribischen Arbeit verdanken wir die Lüftung, wenn auch nur bedingt, eines weiteren Geheimnisses der Kriegsjahre.

Wojciech Drozdek, Februar 2019

Zusatz des Verfassers: Am 80. Todestag von Błażej Stolarski (22.09.2019) wurde in Będków, dem Heimatdorf des Senators, eine Gedenktafel enthüllt. Unter den geladenen Regierungsgästen war auch Antonii Macierewicz, in der 9. Wahlperiode Abgeordnete im Sejm - eine Ironie der Geschichte oder Ubu Roi ou les Polonais?