Das Zeichen „P“
Die Nationalsozialisten waren besessen von der Vorstellung, Menschen nach verschiedenen, vor allem „rassischen“ Kriterien zu kategorisieren. Allerdings sah man vielen dieser Menschen nicht an, welcher Kategorie sie angehörten. Um sicher zu gehen, dass innerhalb des ebenso absurden wie perfiden und letztlich tragischen Systems der rassischen Segregation „Minderwertige“ auch ja zu erkennen waren, wurden bald nach Kriegsbeginn verschiedene Kennzeichen eingeführt. Juden mussten sich in den besetzten Gebieten teils seit Herbst 1939, im Reichsgebiet seit 1941 den gelben Judenstern annähen, für polnische Zwangsarbeiter wurde im März 1940 das „P“-Zeichen geschaffen, und diejenigen Arbeitssklaven, die nach dem Überfall auf die Sowjetunion aus den neu besetzten Gebieten ins Reich geschafft wurden – darunter ebenfalls zahlreiche Polen –, hatten einen Stofffetzen mit dem weißen Wort „Ost“ auf blauem Grund zu tragen. Abgesehen davon gab es in den Konzentrationslagern eigene, ausgefeilte Kennzeichnungsregeln.
Während die jüdische Bevölkerung im Reichsgebiet rasch aus dem öffentlichen Leben verdrängt und schließlich deportiert und vernichtet wurde, die Zahl der „Judensterne“ an Blusen und Sakkos also bald sank, stieg die Zahl der „P“s: Millionenfach wurden Menschen aus den polnischen Gebieten nach Westen gebracht, um in landwirtschaftlichen Betrieben sowie in der Industrie deutsche Männer zu ersetzen, die an der Front kämpften oder bereits gefallen waren. Insgesamt dürften so während des Zweiten Weltkriegs rund 2,8 Millionen Polen innerhalb der Reichsgrenzen gearbeitet haben, die zu etwa 95% zwangsrekrutiert worden waren.
Die Kennzeichnung der Polen wurde mit den „Polenerlassen“ vom 8. März 1940 und verschiedenen zugehörigen Verordnungen geregelt. Es hieß hier: „Vom ersten Tage des Arbeitseinsatzes an muß sichergestellt sein, daß der polnische Arbeiter zu jeder Zeit und von jedermann als solcher erkannt wird. Die Kennzeichnung dient ausschließlich dieser Notwendigkeit. Eine Diffamierung soll damit nicht beabsichtigt sein.“ Aber natürlich war genau dies der Fall. Das Zeichen, laut Polizeiverordnung „auf der rechten Brustseite jedes Kleidungsstückes (…) stets sichtbar zu tragen“, bestand „aus einem auf der Spitze stehenden Quadrat mit 5 cm langen Seiten und zeigt bei 1/2 cm breiter violetter Umrandung auf gelbem Grunde ein 2 1/2 cm hohes violettes P.“ Durch die eigenartige Wahl von Farbe und Form sollte vermutlich jede Assoziation mit polnischen nationalen Symbolen vermieden werden. Die „Petka“, wie das Kennzeichen von den Polen genannt wurde, stigmatisierte die Zwangsarbeiter in der Öffentlichkeit, weshalb sie immer wieder versuchten, es außerhalb ihrer Arbeitsstätten etwa unter dem Mantelaufschlag zu verbergen oder ganz abzunehmen. Das konnte böse enden. Zbyszko Matuszewski erinnert sich: „o weh, wenn du hast vergessen deine ‚P‘. Erst mußt du Strafe zahlen, zehn Mark. Das zweite Mal schon mehr. Und wenn sie dich noch öfter erwischen, fährst ab – ins Straflager. No, mich haben die nicht so oft erwischt. Hab ich nur Strafe zahlen missen.“[1] Tatsächlich war Ende 1941 verfügt worden: „(…) wenn sie mehrfach ohne P-Kennzeichen getroffen werden, [sind sie] den Staatspolizeileitstellen zur weiteren Behandlung zuzuführen“. Was unter „weiterer Behandlung“ zu verstehen war, blieb vage, konnte aber das Schlimmste bedeuten. Dennoch blieb der Anreiz groß, ohne „P“ in die Stadt zu gehen, vielleicht sogar – was wie vieles andere verboten war – ins Kino: „Wir junge Mädchen haben das ‚P‘ ja meistens versteckt“, meinte Irina G.[2]
[1] Christoph U. Schminck-Gustavus (Hg.): Hungern für Hitler. Erinnerungen polnischer Zwangsarbeiter im Deutschen Reich 1940-1945. Hamburg 1984, S. 11.
[2] Ebd, S. 96.