Dynastische Hochzeiten zwischen polnischen und deutschen Fürstenhäusern Piasten: 1148 Judith von Polen

Brakteat Ottos I. von Brandenburg, um 1160/70. Silber, Dm 30 mm, geprägt in Brandenburg an der Havel, Inschrift: OT-TO BRANDE-BURGENSIS, Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Bode-Museum
Brakteat Ottos I. von Brandenburg, um 1160/70. Silber, Dm 30 mm, geprägt in Brandenburg an der Havel, Inschrift: OT-TO BRANDE-BURGENSIS, Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Bode-Museum

1148 Judith/Judyta Bolesławówna (1130/35-1171/75), Tochter von Bolesław III. Schiefmund/Bolesław III Krzywousty (1086-1138), Herzog von Polen, heiratet Otto I., später Markgraf von Brandenburg (1125/26-1184)

Judith ist eines von vierzehn Kindern aus der 1115 geschlossenen Ehe des polnischen Herzogs Bolesław III. Schiefmund/Bolesław III Krzywousty mit der deutschen Grafentochter Salome von Berg/Salomea z Bergu (um 1099-1144). Ihr Vater Bolesław III., Sohn von Władysław I. Herman, ist Alleinherrscher von Polen, seitdem er 1007/08 seinen älteren Bruder und Miterben Zbigniew zunächst vertrieben und dann 1112/13 dessen Tod verursacht hat. Bolesław III. betreibt in den Jahrzehnten nach seiner Eheschließung eine intensive Heiratspolitik, indem er neun seiner Kinder und seine Halbschwester Adelajda/Adelheid an benachbarte europäische Fürstenhäuser verheiratet. Nach seinem Tod 1138 und der Einführung der Senioratsverfassung führen seine Söhne, der Seniorherzog Bolesław IV. Kraushaar, der Herzog von Großpolen, Mieszko III. der Alte, und der Herzog von Schlesien, Władysław II. der Vertriebene, diese Heiratspolitik fort.

Allerdings haben sich die Grundbedingungen im Römisch-Deutschen Reich geändert. Durch den Führungswechsel von Lothar III. zu Konrad III. bei der Königswahl 1138 gelangen die Staufer an die Macht. Damit „verlieren der Osten und der Nordosten des Reichs an Bedeutung für die politische Zentralgewalt im Reich“, und die Entwicklungen bei den östlichen Nachbarn geraten aus dem Blickfeld. Da in Polen mit der Einführung der Senioratsverfassung der Einfluss des Seniors auf Gesamtpolen sinkt, müssen sich die Piasten bei den deutsch-polnischen Beziehungen wieder auf die Territorialherrschaften in den regionalen Kontaktzonen konzentrieren. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts sind dies die wettinischen Markgrafen von Meißen und der Lausitz, die askanischen Markgrafen von Brandenburg und die Erzbischöfe von Magdeburg.[1] Eine erste Heirat zur Konsolidierung dieser neu belebten Bündnisse, die Vorläufer um die Jahrtausendwende gehabt haben, ist die Hochzeit von Dobroniega Ludgarda um das Jahr 1142, welche die polnischen Herzöge mit Dietrich von Meißen, dem späteren Erbe der Lausitz, verheiraten.

Konkreter Anlass für ein weiteres Bündnis zwischen den sächsischen und den polnischen Fürsten ist der Wendenkreuzzug im Jahre 1147, bei dem es um konkurrierende Gebietsansprüche sowie um die Oberherrschaft über die zwischen Elbe, Oder und Trave siedelnden Elbslawen, die Lutizen und die Pomoranen und deren Christianisierung geht. Am Wendenkreuzzug der sächsischen Fürsten, einem Ableger des zweiten Kreuzzugs, beteiligt sich auch Mieszko III., der die Gebietsansprüche und Bündnisse seines Vaters wahren will. Als das Kreuzfahrerheer die Gebiete der pommerschen Fürsten erreicht, wird das polnische Einflussgebiet tangiert, da Bolesław III. Pommern und Rügen schon 1135 auf dem Hoftag zu Merseburg als Lehen erhalten, aber bald wieder verloren hat. Um die gemeinsamen Ansprüche zu bekräftigen und die Beziehungen zu befrieden, schließen Erzbischof Friedrich von Magdeburg, der brandenburgische Markgraf Albrecht I. der Bär, Bolesław IV. und Mieszko III. am Dreikönigstag 1148 ein Bündnis und vereinbaren die Verheiratung der Schwester der Polenherzöge, Judith, mit Otto, dem ältesten Sohn des Markgrafen von Brandenburg.[2] Strittig ist, ob die Hochzeit tatsächlich an diesem speziellen Datum stattgefunden hat.

Biographen des 19. Jahrhunderts sind davon ausgegangen, dass Judith in erster Ehe mit dem ungarischen Thronfolger Ladislaus/László II. (1131-1163) verheiratet worden sei. Aus der bald geschiedenen Ehe sei eine Tochter, Maria, hervorgegangen, die später einen venezianischen Patrizier geheiratet habe. Der polnische Mittelalterhistoriker und Genealoge Kazimierz Jasiński (1920-1997) schloss jedoch aus mittelalterlichen Chroniken, dass Judith als etwa sechsjähriges Kind dem Bruder von László, Géza II. (1130-1162), versprochen und schon zu diesem Zeitpunkt, vermutlich 1136, an den Hof des künftigen Schwiegervaters, des ungarischen Königs Béla II. (um 1110-1141), geschickt worden sei. Die Verlobung sei jedoch 1146 in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst worden, woraufhin Judith nach Polen zurückkehrte. Grund dafür könne die zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefundene Hochzeit von Judiths Bruder, Mieszko III. dem Alten, mit Bélas Tochter Elisabeth gewesen sein, die die Allianz zwischen Polen und Ungarn bereits gesichert habe.

 

[1] Kersken/Wiszewski 2020 (siehe Literatur), Seite 46

[2] Ebenda, Seite 46 f.

Am 6. Januar 1148, dem Dreikönigstag, oder in der Zeit danach heiratet Judith also in Kruszwica in Kujawien, einem Ort mit einer Inselfestung der Piasten und einer Stiftskirche und zu dieser Zeit vermutlich Sitz des Bischofs von Kujawien, ihren künftigen Ehemann, Otto von Brandenburg, den Nachfolger von Albrecht I. dem Bären (um 1100-1170), Markgraf der Nordmark und ab 1150 erster Markgraf von Brandenburg aus dem Geschlecht der Askanier. Die Hochzeit erfolgt im Beisein ihrer Brüder Bolesław und Mieszko. Auch in den folgenden Generationen werden zahlreiche schlesische und großpolnische Piasten nach Brandenburg heiraten um sich den Einfluss auf die Region zu sichern (siehe Liste).

Otto I. erhält bei seiner Geburt von seinem Paten, dem slawischen Abodriten-Fürsten Pribislaw (†1178, als Lehnsmann Heinrichs des Löwen Herr über Mecklenburg und Kessin), die Zauche, das Kerngebiet der späteren Mark Brandenburg, als Geschenk. 1157 übergibt ihm sein Vater die neu gegründete Mark Brandenburg mit der Aufgabe, diese „als stabiles Fürstentum auf- und auszubauen“ (Helmut Assing, 1999). 1161 wird er erstmals als Markgraf von Brandenburg erwähnt. Zur Mark Brandenburg gehören alle ostelbischen Besitzungen der Askanier südlich von Brandenburg, im südlichen und mittleren Havelland sowie im Elbe-Havel-Winkel, außerdem vermutlich Besitzungen in der späteren Altmark. Otto, seit dem Tod seines Vaters 1170 regierender Markgraf, organisiert den bäuerlichen Landesausbau und festigt damit das Territorium. Er lässt Burgen errichten und gründet 1180-83 die Klöster Lehnin und Arendsee. An den Kämpfen der sächsischen Fürsten gegen Heinrich den Löwen beteiligt er sich auffallend wenig und kümmert sich kaum um die Reichspolitik.

Mit Judith von Polen hat er zwei Söhne, Otto II. (nach 1148-1205), Nachfolger als dritter Markgraf von Brandenburg, und Heinrich (um 1150-1192), erster Graf von Gardelegen. Judith stirbt zwischen 1171, dem Jahr, in dem sie von zeitgenössischen Quellen zum letzten Mal als lebende Person erwähnt wird, und 1176, dem Jahr, in dem die Quellen über eine zweite Ehefrau Ottos I. mit Namen Adelheid berichten, die mit ihrem Mann einen weiteren Sohn, Albrecht II. von Brandenburg (vor 1177-1220), bekommt. Dieser übernimmt die Herrschaft 1205 nach dem Tod seines Halbbruders. Judith ist offenbar im Dom von Brandenburg an der Havel beigesetzt worden; denn eine Quelle des 16. Jahrhunderts zitiert die Inschrift auf ihrem Grabstein („VIII idus Iulii obiit Iuditha, marchionissa, gemma Polonorum“), und zwar vermutlich auf einer Bodenplatte in der Mitte des Doms, die heute nicht mehr vorhanden ist. Danach ist „Judith, die Markgräfin und das Juwel der Polen“, an einem 8. Juli „dahingegangen“, wobei das Jahr offenbar nicht mehr lesbar gewesen ist. Otto I. wird 1184 im Kloster Lehnin bestattet.

Axel Feuß, Juli 2021

 

Literatur:

Norbert Kersken / Przemysław Wiszewski: Neue Nachbarn in der Mitte Europas: Polen und das Reich im Mittelalter (WBG Deutsch-polnische Geschichte, 1: Mittelalter), Darmstadt 2020

Norbert Kersken: Heiratsbeziehungen der Piasten zum römisch-deutschen Reich, in: Fernhändler, Dynasten, Kleriker. Die piastische Herrschaft in kontinentalen Beziehungsgeflechten vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert, herausgegeben von Dariusz Adamczyk und Norbert Kersken, Wiesbaden 2015, Seite 85, 99 f., 102 f.

Johannes Schultze: Die Mark Brandenburg, 4. Auflage, Berlin 2011, Seite 96-102

Eduard Mühle: Die Piasten. Polen im Mittelalter, München 2011

Karol Maleczyński: Bolesław III Krzywousty (1975), Krakau 2010

Owald Balzer: Genealogia Piastów, 2. Auflage, Krakau 2005

Kazimierz Jasiński: Rodowód pierwszych Piastów, 2. Auflage, Poznań 2004, Seite 255-260

Helmut Assing: Otto I., in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 675 f. [Online-Version], https://www.deutsche-biographie.de/sfz74107.html#ndbcontent (zuletzt im Juni 2021 aufgerufen)

Kazimierz Jasiński: Powiązania genealogiczne Piastów (małżenstwa piastowskie), in: Piastowie w dziejach Polski, herausgegeben von Roman Heck, Wrocław 1975, Seite 135-148

Weitere Einträge zu den dynastischen Hochzeiten zwischen polnischen und deutschen Fürstenhäusern

Piasten

Um 978 Mieszko I.

984 Bolesław I. Chrobry

1002 Regelinda/Reglindis

1013 Mieszko II. Lambert

1018 Bolesław I. Chrobry

1088 Władysław I. Herman

1115 Bolesław III. Schiefmund/Bolesław III Krzywousty

vor 1118 Adelajda/Adelheid

um 1142 Dobroniega Ludgarda/Luitgard, Lukardis