„Von Breslau sind wir ungern abgereist“. Fryderyk Chopin in Schlesiens Hauptstadt

Denkmal für Fryderyk Chopin in Breslau (heute Wrocław)
Denkmal für Fryderyk Chopin in Breslau (heute Wrocław)

Die ersten Verbindungen zu Schlesien


Der junge Komponist und Pianist hielt sich mehrfach in Schlesien auf, wobei er Breslau manchmal nur auf der Durchreise erlebte, während er zu anderen Gelegenheiten länger Station gemacht hat. Die erste Reise in diese Gegend, konkret in den Kurort Bad Reinerz (heute Duszniki Zdrój), unternahm Chopin mit seiner Mutter und seinen Schwestern Ludwika und Emilia im Juli und August 1826. Es war die Heimat seines Lehrers Joseph Elsner, der 1769 in Grottkau (heute Grodków) geboren wurde und in Breslau das renommierte St.-Matthias-Gymnasium besuchte bis er anschließend Theologie und später Medizin in der Stadt an der Oder studierte.

Bei seinen ersten Aufenthalten in Breslau, die sowohl auf dem Weg nach Bad Reinerz als auch auf der Rückfahrt erfolgten, soll Chopin Briefe übergeben haben, die Elsner an seine Breslauer Freunde, den Organisten der Elisabethkirche Friedrich W. Berner und Domkapellmeister Joseph I. Schnabel, geschrieben hat. Vermutlich hat er anlässlich dieser Besuche auch seine Fähigkeiten als Pianist dargeboten. Ob er damals außer den besagten Gotteshäusern auch die anderen Sehenswürdigkeiten der Stadt aufgesucht hat, ist nicht bekannt.

Im Sommer 1829 traf Chopin in Begleitung seiner Freunde Alfons Brandt und Ignacy Maciejowski auf der Rückreise aus Wien kommend zum dritten Mal tauchte in Breslau ein. Genaueres über diesen Besuch ist nicht überliefert. Man weiß nur, dass die jungen Männer im Gasthaus zum Rautenkranz in der Ohlauerstrasse (heute ulica Oławska) übernachtet haben.

Im November 1830 war Chopin dann erneut in der Stadt. Diesmal zu einem Zwischenstopp auf einer Reise, von der er – wie sich später herausstellen sollte – nie mehr in sein Heimatland zurückkehrt ist. Zusammen mit seinem Freund und Reisebegleiter, Tytus Woyciechowski (1808–1879), einem politischen Aktivisten und wegweisenden Landwirt, stieg er im Hotel „Zur Goldenen Gans“ in der Junkerstrasse (heute ulica Ofiar Oświęcimskich) ab.

„Zur Goldenen Gans“


In der Stadt gab es viele Hotels, die verschiedene Standards boten. Für Polen war das Hotel „Zur Goldenen Gans“ besonders nach ihrem Geschmack, da man dort in sauberen Zimmern logieren und eine köstliche Küche genießen konnte, ein allgemein bekannter Vorzug dieser Unterkunft, den sie sich mit anderen gehobenen Eigenschaften bis zum zweiten Weltkrieg erhielt. Das Haus war keineswegs billig, wie ein weiterer berühmter Pole, Juliusz Słowacki, der im März 1831 in Breslau weilte, am 12. April 1831 in einem Brief an seine Mutter schrieb:

„Unanständiges Breslau – in der ‚Goldenen Gans’ hat man mich fürchterlich gebeutelt, als ich für 16 Tage 30 Taler bezahlte, und dafür nur das Vergnügen hatte, in einem uralten Haus zu wohnen, dessen Dächer höher sind als drei Stockwerke hohe Wände, während unter den Dächern ein Hahn kräht und Katzen schreien.“ (Zitat nach Mikulski, ...)

Der Besitzer des Hotels war sehr rührig und tat alles dafür, um Gäste anzuziehen, auch aus den russischen Teilungsgebieten [Polens]. Unter anderem schaltete er Anzeigen in der Posener und in der Warschauer Presse, in denen er die Vorzüge seines Etablissements pries. Angeblich behauptete er, 

„(…) in diesem Hotel wird Polnisch und Französisch gesprochen, ferner werden Zeitungen in diesen Sprachen abonniert.“ 

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Hotel dann zerstört und anschließend abgerissen. 

„Als wir 1945 aus verschiedenen Richtungen nach Wrocław kamen, stand das Hotel ‚Zur Goldenen Gans‘ noch in der Ofiar Oświęcimskich-Straße – erinnerte sich der Breslauer Literaturhistoriker Tadeusz Mikulski. Es stellte sich als riesiges, während der Belagerung Breslaus ausgebranntes Viereck dar. Der Weg zur Goldenen Gans führte durch eine durch Ziegel und Steinen verschüttete Straße und es bedurfte einer gewissen Ausdauer, diese Hindernisse zu überwinden. Nicht ohne Rührung näherten wir uns der Ruine. An der Mauer hielt sich auf der Höhe des zweiten Stockwerks immer noch ein vergoldeter großer Vogel mit einem abgebrochenen Flügel fest. Es war die goldene Gans, das Wappentier des Gasthauses.“ 

Eindrücke von diesem Aufenthalt


Bei diesem letzten Aufenthalt in Breslau hatte Chopin Zeit, sich mit seinem Freund den Kulturangeboten zu widmen und sich mit Elsners Freunden zu treffen. Bereits an ihrem ersten Tag in der niederschlesischen Metropole, am Samstag dem 6. November, besuchten sie das Stadttheater in der Taschenstrasse (heute an der Ecke der Straßen Oławska und Piotra Skargi) und sahen sich das Stück „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ des in Warschau sehr beliebten österreichischen Dramatikers Ferdinand Raimund an. Am Sonntag trafen sie sich mit dem Domkapellmeister, den Chopin schon kannte. Schnabel lud den Komponisten zu einer Konzertprobe ein, die am nächsten Tag im großen Redouten-Saal des „Hotels de Pologne“ in der Bischofsgasse (heute ulica Biskupia) angesetzt war. Chopin nahm diese Einladung an. Unter dem Vorwand, das Instrument ausprobieren zu sollen, überredete Schnabel Fryderyk zu spielen, wobei er sich mit dieser kleinen List des Laienmusikers Hellwig entledigte. 

„Ehe Hellwig sich an das Instrument setzte – schrieb Chopin am 9. November 1830 in seinem Brief aus Breslau an die Familie –, bat mich Schnabel, der mich seit vier Jahren nicht gehört hatte, das Klavier zu probieren. Ich konnte nicht ablehnen, setzte mich also nieder und spielte einige Variationen. Schnabel war ungemein erfreut, Herr Hellwig verlor den Mut, die anderen aber begannen mich zu bitten, dass ich mich am Abend hören lassen möge.“

Chopins Darbietung am Montag wurde ein voller Erfolg. Ein Pressebericht blieb jedoch aus, da die Veranstaltung einem kleinen Publikum vorbehalten war. Das Abendprogramm sah zwar die Romanze aus Chopins Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e-Moll (Op. 11) vor, doch er spielte nur das Rondo. Über das Konzert und den anschließenden Empfang berichtet der Musiker in dem bereits zitierten Brief:

„Außer dem Rondo habe ich für Kenner über ein Thema aus ‚Die Stumme von Portici‘ improvisiert. Zum Schluss wurde eine Ouvertüre gespielt und nachher getanzt. (…) Eine Dame – schreibt Chopin weiter –, der ich, als der ersten hiesigen Pianistin, nach dem Konzert von dem Direktor vorgestellt wurde, dankte mir sehr für die angenehme Überraschung und bedauerte, dass ich mich öffentlich nicht hören lasse.“

Näheres über die in den nächsten Tagen vom Chopin und seinem Freund besichtigten Orte ist nicht überliefert. Vermutlich wurde die Stadt den beiden von dem Kaufmann Scharff, den sie zufällig kennengelernt hatten, gezeigt:

„Er hat uns (...) in ganz Breslau herumgeführt, selbst eine Droschke gemietet und ist mit uns auf den schönsten Spazierwegen herumgefahren.“ 

Die Stadt beeindruckte den Komponisten offensichtlich sehr. Als er Breslau am 10. November 1830 verließ, konnte er sein Bedauern nicht verbergen.

„Von Breslau sind wir nur ungern abgereist“, schrieb Chopin aus Dresden. 

Aber es wartete die Welthauptstadt Paris auf ihn. Zwanzig Tage später brach in Warschau der Novemberaufstand aus.

 

Krzysztof Ruchniewicz, Juni 2018

 

 

Die Zitate stammen aus:

Tadeusz Mikulski, Pod Złotą Gęsią, [in:] ders., Spotkania wrocławskie, Kraków 1954, Seite 121. Polskie podróże po Śląsku w XVIII i XIX wieku (bis 1863), ausgesucht und bearbeitet von Andrzej Zieliński, Wrocław 1974, Seite 161-163.

Aus den Briefen Chopins zitiert nach: Friedrich Chopins gesammelte Briefe. Zum ersten Mal herausgegeben und getreu ins Deutsche übertragen von Bernard Scharlitt, Leipzig 1911, Seite 105-107.

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