Klecki/Kletzki, Paul

Paul Klecki/Kletzki, um 1948
Paul Klecki/Kletzki, um 1948

Klecki/Kletzki, Paul (Paweł), polnisch-jüdisch-schweizer Dirigent und Komponist. Seit 1921 Studium an der Hochschule für Musik in Berlin. Bis zu seiner Flucht aus Deutschland 1933 als Dirigent und Komponist in Berlin ansässig. *21.3.1900 Łódź, †5.3.1973 Liverpool. Mit neun Jahren lernt er Geige zu spielen. Bereits mit fünfzehn Jahren spielt er 1915 beim Eröffnungskonzert des neu gegründeten Sinfonieorchesters von Łódź/Łódzka Orkiestra Symfoniczna, dem er bis 1919 treu bleibt. Während des Ersten Weltkriegs kämpft er als Soldat im Fronteinsatz. Ab 1919 studiert er Philosophie an der Universität Warschau/Uniwersytet Warszawski sowie Komposition bei Juliusz Wertheim (1880-1928) und Dirigieren bei Emil Młynarski (1870-1935) am Staatlichen Konservatorium/Konserwatorium Państwowe in Warschau. 1920/21 leistet er Kriegsdienst im Polnisch-Sowjetischen Krieg. Ab 1921 setzt er sein Studium in Berlin an der Hochschule für Musik bei dem Komponisten Friedrich Ernst Koch (1862-1927) fort; Freundschaft mit dem Violinisten und Komponisten Joseph Kaminski/Józef Kamiński (1903-1972). Anfangs ist er als Komponist tätig und schreibt Lieder, Sinfonien sowie Violin- und Klavierkonzerte. Die Dirigenten Wilhelm Furtwängler (1886-1954) und Arturo Toscanini (1867-1957) nehmen seine Werke in ihre Programme auf. Das Pozniak-Trio (Bronisław Poźniak, 1887 Lemberg-1953 Halle/Saale) spielt sein Trio, op. 16 bei Polydor ein. Ab 1925 dirigiert er auf Einladung von Furtwängler die Berliner Philharmoniker, aber auch das Berliner Funk-Orchester sowie Orchester in Bremen, Dresden, Essen, Dortmund, Duisburg, Lübeck, Kiel, Heidelberg und Göteborg und unterrichtet am Stern'schen Konservatorium in Berlin. 1928 heiratet er die Schweizerin Hildegard Woodtli. 1933 flieht er vor den Nationalsozialisten über Venedig nach Mailand, wo er durch Vermittlung von Toscanini 1935-37 an der Mailänder Musikhochschule als Lehrer für Komposition und Instrumentation sowie eine Klasse für Kammermusik unterrichtet. 1937-38 ist er Chefdirigent in Charkow (heute Charkiw), von wo er wegen der „Säuberungsaktionen“ Stalins erneut nach Mailand flüchtet. Vor den italienischen Faschisten emigriert er 1939 in die Schweiz. Längere Zeit isoliert, kann er durch das Engagement des Schweizer Dirigenten Ernest Ansermet (1883-1969) wieder öffentlich dirigieren und wird ab 1943 als Dirigent zu den Internationalen musikalischen Festwochen in Luzern eingeladen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitet er international als Gastdirigent. 1949 nimmt er die Schweizer Staatsbürgerschaft an. 1954-55 Chefdirigent des Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, 1958-61 des Dallas Symphony Orchestra in Dallas, Texas, 1964-66 des Berner Sinfonieorchesters, 1967-70 als Nachfolger von Ansermet des Orchestre de la Suisse Romande in Genf. ­– Werke von ihm erschienen zum größten Teil bei Simrock in Berlin und Leipzig sowie ab 1930 in Leipzig bei Breitkopf & Härtel. Der kompositorische Nachlass befindet sich in der Zentralbibliothek Zürich. An Vokalmusik schuf K. Klavier‑ und Orchesterlieder sowie Chorwerke mit Orchester oder a capella. An Orchesterwerken schuf er unter anderem ein Konzert für Violine und Orchester (1928), vier Sinfonien, ein Konzert für Klavier und Orchester (1930), sowie Konzertmusik für Streichorchester und Solobläser (1932), außerdem Kammermusik-Trios für Klavier, Violine und Violoncello (1926) sowie vier Streichquartette. 1923 schuf er drei Präludien für Klavier, 1933 eine Sonate für Solo-Violine. Seine gemäßigt moderne Tonsprache zeigt eine besondere Affinität zu einer tonal gebundenen spätromantischen Harmonik. Enger Traditionsbezug zeigt sich in Rückgriffen auf Brahms und Mahler. Als Dirigent reichte sein Repertoire von Beethoven über Wagner, Mahler und Schönberg bis zu Lutosławski. Früh dirigierte er Mahler und trat als Interpret tschechischer und russischer Komponisten hervor.

Antisemitische Publikationen:

Brückner-Rock. Judentum und Musik mit dem ABC jüdischer und nichtarischer Musikbeflissener, begründet von H. Brückner und C.M. Rock, bearbeitet und erweitert von Hans Brückner, 3. Auflage, München 1938, Seite 148 (Klecki, Paul)

Lexikon der Juden in der Musik. Mit einem Titelverzeichnis jüdischer Werke. Zusammengestellt im Auftrag der Reichsleitung der NSDAP auf Grund behördlicher, parteiamtlich geprüfter Unterlagen, bearbeitet von Theo Stengel und Herbert Gerigk = Veröffentlichungen des Instituts der NSDAP zur Erforschung der Judenfrage, Band 2, Berlin 1940, Spalte 135 (Klecki, Paul; Pseudonym: Kletzki, Paul)

Literatur:

Wilhelm Altmann: Handbuch für Streichquartettspieler (2 Bände, Berlin 1928), Reprint Wilhelmshaven 1971, Seite 339 f.

H. Fischer: Paul Kletzki, in: Simrock-Jahrbuch, 1, Berlin 1928, Seite 121-129

Riemann Musiklexikon. Personenteil A-K, Mainz 1959, Seite 930

Marian Fuks: Muzyka ocalona. Judaica polskie, Warschau 1989

Antonio Baldassarre: Paul Klecki. Dirigent und Komponist im Exil. Versuch einer Interpretation seines Schaffens im biographischen Kontext, in: Musik im Exil. Die Schweiz und das Ausland 1918-1945, herausgegeben von Chris Walton und Antonio Baldassarre, Bern 2003

Antonio Baldassarre: Klecki, Pawel, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume, herausgegeben von Ludwig Fischer, 2. Ausgabe, Kassel, Stuttgart und andere, 2003, Personenteil 10, Spalte 215-17

Online:

Paul Kletzki, auf Naxos Records, https://www.naxos.com/person/Paul_Kletzki_26103/26103.htm

Biografie und Beschreibung des Nachlasses auf ZBCollections, Zentralbibliothek Zürich, https://zbcollections.ch/home/#/content/dd8b60e7ef66409ab5ebb1431d960628

Diskografie auf discogs, https://www.discogs.com/de/artist/835066-Paul-Kletzki

(alle Links wurden zuletzt im November 2019 aufgerufen)

 

Axel Feuß, November 2019

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