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Haben oder sein? Mit der Welle oder gegen den Strom? Magda Potorska im Gespräch mit Barbara Nowakowska-Drozdek

Barbara Nowakowska-Drozdek mit Ehemann Wojciech, Berlin 2014
Barbara Nowakowska-Drozdek z mężem Wojciechem w Ambasadzie Rzeczypospolitej Polskiej w Berlinie w 2014 r.

Barbara Nowakowska-Drozdek erinnert sich: „Im Dezember 1981 habe ich ein Protestschreiben gegen die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen unterzeichnet.“ Das von Peter Raina angeregte Schreiben, das in der Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel” erschien, sowie unsere Teilnahme an den Protesten gegen das Kriegsrecht in Polen haben die Gründung der „Arbeitsgruppe Solidarność Berlin-West (AG-Solidarność)“ angestoßen, der ersten Vereinigung in Westdeutschland, die auf Seiten der polnischen Solidarność-Bewegung stand.

Die Veröffentlichung des Schreibens unter Angabe der Privatanschrift von Barbara und Wojciech Drozdek als Kontaktadresse führte dazu, dass sich nicht nur die Stadt Berlin und die Presse für die Eheleute interessierten, sondern auch die Polizei und diverse Nachrichtendienste. Da Gelder für die Polen-Hilfe nur von einer offiziell registrierten juristischen Person vereinnahmt werden konnten, wurde es erforderlich, die bis dahin spontanen Aktivitäten zu institutionalisieren. Die Hauptaufgabe der „AG-Solidarność“ bestand damit darin, die wohltätige Hilfe für die Verfolgten und die Geschädigten des Systems, vor allem für die internierten Solidarność-Funktionäre und deren Familien, zu organisieren und durchzuführen. Außerdem wurde die im Untergrund arbeitende Opposition mit heimlich eingeführten Schriften aus der Emigration und Druckutensilien versorgt, und es wurden Kontakte zu den Medien gepflegt. Darüber hinaus hat die Arbeitsgruppe der deutschen Öffentlichkeit Informationen über die Situation in Polen vermittelt.

Im Februar 1982 nahmen Barbara Nowakowska-Drozdek und Krzysztof Kasprzyk an einem Treffen mit deutschen Gewerkschaftlern und Mitarbeitern von VW in Wolfsburg teil, bei dem sie von Joachim Trenkner, einem Journalisten des SFB und Reporter des Magazins „Kontraste”, begleitet wurden. Kein Geheimnis ist, dass sich die deutschen Gewerkschaften anders als die französischen damals eher reserviert gezeigt haben. Die deutschen Arbeiterorganisationen kamen erst Jahre später nach einer tiefergehenden, objektiveren Faktenbewertung dazu, den Unabhängigen Selbstverwalteten Gewerkschaftsbund „Solidarność“ (NSZZ Solidarność) regelmäßig (wenn auch diskret!) zu unterstützen, wobei es dabei hauptsächlich um die Bereitstellung technischer Hilfsmittel ging. Die Verhängung des Kriegsrechts in Polen löste dann jedoch einen scharfen Protest des DGB aus, der wiederum in schnelle humanitäre Hilfe und in die Gründung des Vereins „Solidarität für Polen– DGB e. V.“ in Düsseldorf mündete.

Unabhängig von seiner politischen Tätigkeit war der Berliner Verein vom Geist des Humanismus geprägt. Barbara Nowakowska-Drozdek und ihr Ehemann Wojtek haben an der Universität Łódź studiert und sind beide Polonisten; Krzysztof Kasprzyk, ihr engster Mitarbeiter, von Hause aus Geograph, ist Journalist und Dichter, und war unter anderem Kulturbeauftragte der Studentenbewegung im Danziger Kult-Club „Żak“. Unter diesen Voraussetzungen gab die Arbeitsgruppe ihre eigene Zeitschrift „Przekazy“ (Übermittlungen) heraus, sie richtete Ausstellungen zugunsten der Solidarność, auch mit Künstlern aus der DDR, sie präsentierte die Kunst von Andrzej Krauze und sie veranstaltete Konzerte des Liedermachers der Solidarność, Jacek Kaczmarski, die bald zu wichtigen Events im Kulturkalender West-Berlins wurden. Dies fand auf dem Fundament der „Arbeit an der Basis” statt, die in der Einrichtung einer Sonntagsschule mit Polnischunterricht für Kinder sowie in der Gründung einer Bibliothek mit Veröffentlichungen von Emigranten bestand.

Die Institutionalisierung der ursprünglich spontanen, politisch aber uneinheitlichen Aktivitäten in einer festen Organisation ließ die Arbeitsgruppe erstarren, wobei die Differenzen durch unterschiedlich motivierten Prioritäten und die Machtkämpfe in der Gruppe schließlich zu ihrer Spaltung führten.

„Die Institutionalisierung hat uns verändert - wir wurden desillusioniert und demotiviert“, sagt Barbara Nowakowska-Drozdek. „Diese Erkenntnis und meine Verantwortungsgefühl für mein Kind waren die Gründe, warum ich mein Engagement eingestellt habe. Und obwohl ich die Wahl zur Vorsitzenden der Arbeitsgruppe gewann, habe ich das Amt nicht angetreten – den Vorsitz übernahm mein Mann. Ich habe ihn dann in seiner öffentlichen und in seiner konspirativen Arbeit unterstützt, zog mich jedoch als unabhängige Aktivistin aus der Berliner Politikszene zurück. Erst am 4. Juni 1989, anlässlich der ersten halbwegs freien Wahlen in Polen, trat ich in der Polnischen Militärmission (Polska Misja Wojskowa) in Berlin als Vertrauensfrau der Solidarność auf.“

Jefferson sagte einmal: „Jede Generation braucht eine neue Revolution“. Habt ihr Euch als Revolutionäre gefühlt?

Nein, antwortet Barbara, wir fühlten uns nicht als Revolutionäre, denn eine Revolution haben wir seinerzeit mit einem blutigen Umsturz assoziierten, durch den ein Regime ein anderes ersetzt: Beispiele hierfür sind die Jahre des Terrors nach der Französischen Revolution oder Sowjetrussland. Wir haben uns zwar an die „Nelkenrevolution” 1974 in Portugal erinnert, aber den Ausdruck „unblutige Revolution“ gab es auch für uns erst nach 1989. Mein Engagement folgte einer natürlichen Regung des Herzens und des Verstands, die aus meiner patriotischen Lebenseinstellung resultierte. Die wurde mir in meinem Elternhaus vermittelt und war traditionell geprägt. Die Erfahrung des direkten Kontakts mit der Oppositionsbewegung war zweifelsohne von erheblicher Bedeutung, wobei Jacek Kuroń großen Einfluss auf mich hatte.

Man sagt, man solle Politik aus der Jahrzehntperspektive nicht tagesaktuell beobachten... Glaubst Du, dass Ihr diejenigen gewesen seid, die es geschafft haben, einen Teil des Eisernen Vorhangs zu durchtrennen?

Nicht aus der makrokosmischen Sicht, da wir ja keine professionellen Politaktivisten waren. Mikrokosmisch sicher ja, weil sich alle Aktivitäten, selbst die kleinesten, potenzieren, so dass aus Quantität automatisch Qualität entsteht. Uns war bewusst, dass jede weitere Gründung einer Pro-Solidarność-Organisation und die Vernetzung dieser Organisationen unsere Chancen steigert, den Kampf für die Solidarność im Westen zu popularisieren und die öffentliche Meinung zu formen. In diesem Sinne fand 1982 in Düsseldorf das erste Koordinierungstreffen aller Pro-Solidarność-Organisationen in Deutschland statt.

Glaubst Du, dass die Menschen, die politische Macht haben, Einfluss auf den Lauf der Dinge haben?

Ja, schon, aber nicht nur sie alleine, da es ja auch noch eine parlamentarische und eine außerparlamentarische Opposition gibt.

Hattet Ihr jemals das Gefühl, wirklich einen solchen Einfluss zu haben?

Dank der Medienarbeit ja, denn wir haben ja den positiven Einfluss der westlichen Medien auf die Politik des Ostblocks gekannt und geschätzt.

 

Ist der Glaube an die Politik Deiner Meinung nach heutzutage rational oder irrational?

Nun, das hängt davon ab, ob man sich selbst als Rationalisten oder Idealisten betrachtet...

Alle Menschen haben eins gemeinsam: Sie möchten unterbewusst Zeugen bedeutender historischer Ereignisse sein. Könnte es sein, dass wir aus diesem Grund in der Versuchung sind, sinnfreie Fakten aufzuwerten?

Die einzige Massenbewegung, mit der ich mich voll und ganz identifiziert habe, war die Solidarność-Bewegung. Ich war sogar Mitbegründerin der Solidarność an der Universität in Łódź. Jeder, der die Jahre 1980 und 1981 in Polen miterlebt hat, erinnert sich immer noch an diese ganz außergewöhnliche, von einer rationalen Euphorie getragene Stimmung. Die Geschichte hat bestätigt, dass die Ereignisse, an denen ich damals selbst in Polen und später mit meinem Mann in West-Berlin teilgenommen habe, historisch geworden sind. Zum ersten Mal in unserem Leben hatten wir das Gefühl, uns mitten in einem bedeutenden Wandel zu befinden. Aber wir fühlen uns nicht wie „Veteranen“.

Der Beruf des Politikers ist einer der größten Mythen überhaupt. Welche Menschen entscheiden sich für politische Laufbahnen? Geht es darum, im Kampf um die Macht Kompromisse mit sich selbst einzugehen und seine einstigen Ideale zu opfern?

Die Beweggründe von Politikern für ihr Handeln kennen wir nicht, wobei ich vermute, dass sie sehr verschieden sind. Politik impliziert den Kampf um die Macht, deren Besitz wiederum Menschen verändert. Erfahrungen führen zur Korrektur von Idealen. Aus einem Idealisten kann schnell ein Realist werden. Wir waren zwar keine Berufspolitiker, aber rückblickend möchte ich doch daran erinnern, dass selbst die quasi-politischen Aktivitäten und deren Institutionalisierung die Spaltung der „AG-Solidarność“ in Berlin bewirkt haben. Wenn man sich für die Demokratie einsetzt, ist es schwierig, manchmal sogar unmöglich, seinen Idealen treu zu bleiben. Deshalb meine ich, dass all jene, denen dieser „Seiltanz” gelingt, unseren besonderen Respekt verdienen.

Was denkst Du: Kann man ohne Politik auskommen?

Auf unserem zivilisatorischen Stand sicher nicht, denn die Politik ist bis heute eine Plattform für disparate, oft widersprüchlich Ideale und Bestrebungen.

 

Magda Potorska, März 2021

 

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  • Wojciech Drozdek erhält den polnischen Verdienstorden, Berlin 2014

    Wojciech Drozdek erhält den polnischen Verdienstorden (Krzyż Komandorski) von dem Botschafter der Republik Polen Jerzy Margański, daneben Barbara Nowakowska-Drozdek, Berlin 2014.   
  • Barbara Nowakowska-Drozdek erhält den polnischen Verdienstorden, Berlin 2014

    Barbara Nowakowska-Drozdek erhält den polnischen Verdienstorden (Krzyż Komandorski) von dem Botschafter Jerzy Margański, Berlin 2014.
  • Wojciech Drozdek bedankt sich im Namen der Ausgezeichneten, Berlin 2014

    Wojciech Drozdek bedankt sich im Namen der Ausgezeichneten, Berlin 2014.
  • Wojciech Drozdek bedankt sich im Namen der Ausgezeichneten, Berlin 2014

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  • Botschafter Jerzy Margański, Wojciech Drozdek, Barbara Nowakowska-Drozdek, Marian Stefanowski, Berlin 2014

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  • Barbara Nowakowska-Drozdek, Botschafter Jerzy Margański, Wojciech Drozdek, Dagna Drozdek, Berlin 2014

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  • Barbara Nowakowska-Drozdek mit Wojciech Drozdek, Berlin 2014

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