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Dora Diamant – Aktivistin, Schauspielerin und Franz Kafkas letzte Lebensgefährtin

Dora Diamant, vermutlich Düsseldorf um 1928. Porträtfoto, ein Ausschnitt als Passbild markiert
Dora Diamant, vermutlich Düsseldorf um 1928. Porträtfoto, ein Ausschnitt als Passbild markiert

Die Bretter, die die Welt bedeuten

Zwei Monate später, im August 1924, packte Diamant (Abb. 9) plötzlich ihre Koffer und reiste ab. Urzidil hatte ihr eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland besorgt, mit der sie nach Berlin reisen konnte. Ein wenig Geld hatte Kafkas Familie ihr mitgegeben. Die deutsche Hauptstadt erschien ihr in den ersten Tagen, wie sie an Elli schrieb, „als Friedhof meines Lebens, auf dem ich die Gräber besuchen kam“. Wenige Tage später hatten Freunde ihr ein Zimmer im Studentenwohnheim besorgt. Hoffnung machte sie sich auf eine Schauspielausbildung.[81] Im Oktober berichtete sie Ottla in einem Brief, sie stehe kurz vor der Aufnahmeprüfung an der staatlichen Schauspielschule. Bei der Vorbereitung habe ihr eine mit dem Theaterregisseur und Intendanten Max Reinhardt (1873–1943) bekannte Schauspielerin geholfen. Im Januar 1925 hatte sich ihr Leben stabilisiert. Mit der Ausbildung hatte es zwar nicht geklappt, aber sie war in eine neue Wohnung gezogen, hatte eine Arbeit gefunden, nahm an Kursen teil und betrieb Gymnastik. Außerdem schloss sie Freundschaft mit dem polnisch-jiddischen Dichter Avrom Nokhem Stencl (Sztencl, Stenzel, Abraham Nahum Stencl, Avrom-Nokhem Shtentsl, 1897–1983), der aus Czeladź, der westlichen Nachbarstadt von Będzin, stammte.[82]

Stencl, der 1918 vor der Einberufung zur polnischen Armee geflohen war, war 1921 über die Niederlande nach Berlin gekommen, also im selben Jahr wie Diamant. Er blieb bis zu seiner Emigration nach Großbritannien im Jahre 1936 und publizierte während dieser Zeit zehn Bände mit jiddischer Poesie. Häufig obdachlos und die Taschen voller Gedichte, scharte er andere polnische Literaten aus seiner engeren Heimat um sich, suchte die Nähe zum nichtjüdischen literarischen Expressionismus, arbeitete seit 1922 mit der Dichterin Else Lasker-Schüler (1869–1945) zusammen und verkehrte im Romanischen Café am Kurfürstendamm, wo sich unter Kunstschaffenden, Schauspielenden, journalistisch Tätigen und Schach Spielenden auch die jüdischen Exilierten, Intellektuellen und aktivistisch Tätigen aus Polen, der Ukraine und Russland trafen. Er verliebte sich wohl in Diamant,[83] hatte aber eine feste Beziehung mit der Kunstlehrerin Elisabeth Wöhler, die an der Freien Weltlichen Schule in Reinickendorf arbeitete, an der er selbst auch unterrichtete. Diamant traf ihn 1942 in London-Whitechapel wieder, wo er sich als „Poet of Whitechapel“[84] etablierte und das er zu seinem britischen Shtetl erklärte.[85] (Abb. 10) Wie Diamant engagierte er sich für die Verbreitung des Jiddischen und gab die jiddische Zeitschrift Loshn un lebn [Sprache und Leben] heraus, für die Diamant von 1945 bis 1949 Artikel schrieb.

Im Frühjahr 1925 wurde Diamant (Abb. 11) ernsthaft krank. Als ihr das Geld ausging, reiste sie zu Verwandten nach Brzeziny, woher ihre Mutter stammte. Anfang 1926 kehrte sie nach Berlin zurück und bezog ein Zimmer im Waisenhaus in Charlottenburg. Im selben Jahr veröffentlichte Brod Kafkas Roman „Das Schloss“ im Kurt Wolff Verlag in München. Diamant, der er ein Freiexemplar schickte, sammelte seitdem alle erscheinenden Texte und Romane und was immer über Kafka geschrieben wurde. Sie fand eine neue Unterkunft in einem Künstleratelier im Hansaviertel unweit des Tiergartens, verdiente Geld mit Näharbeiten und nahm wieder Schauspielunterricht. Klopstock, der inzwischen in Kiel lebte, besuchte sie während der Pfingstferien in Berlin. Brod und Haas, der seit 1925 in Berlin die Zeitschrift Die literarische Welt herausgab, ließen ihr Tantiemen zukommen, die für Romane und Erzählungen von Kafka fällig geworden waren und von denen sie sich, immer noch nicht ganz gesund, einen zweimonatigen Aufenthalt an der Ostsee leisten konnte.[86]

Im November 1926 wurde sie, nachdem sie sich deutschlandweit auf Schauspielausbildungen und Theaterengagements beworben hatte, an der dem Schauspielhaus Düsseldorf (Abb. 12) angeschlossenen Hochschule für Bühnenkunst angenommen. Das Kursprogramm umfasste das Lesen von Theaterstücken, Sprechtechnik, Rollenstudium, Theatergeschichte, Fechten und Gymnastik. In den Abendstunden nahmen die Studierenden an Proben im Schauspielhaus teil und übernahmen kleinere Rollen bei Aufführungen. Bekanntester Schüler der Hochschule war der Schauspieler Gustav Gründgens (1899–1963), der dort 1919/20 studiert hatte. Die Leitung des Schauspielhauses hatten die Schauspielerin Louise Dumont (1862–1932) und ihr Ehemann Gustav Lindemann (1872–1960), die das Haus 1904 als Privattheater gegründet hatten. Sie legten ihren Schwerpunkt auf Ensemblekunst und machten das Theater als „Reformbühne“ bekannt. Eine Ausbildung an der ebenfalls von ihnen gegründeten Hochschule galt als Garantie für eine künftige Karriere. Von November 1926 bis Mai 1928 besuchte Diamant (Abb. 13) Kurse bei Dumont, die europaweit für ihre Darstellung der Hedda Gabler und anderer Charaktere von Henrik Ibsen bekannt war, sowie bei dem Schauspieler und Regisseur Hermann Greid (1893–1975) und dem Schauspieler und späteren Intendanten Franz Everth (1880–1965).[87]

Als Brod Anfang 1927 zur Premiere seines Theaterstücks „Die Opuntie – Komödie eines Prominenten“ (1926) am Kleinen Haus des konkurrierenden Düsseldorfer Stadttheaters kam und von Februar bis März im Theater eine Reihe von Vorträgen hielt, dürfte er Diamant getroffen haben. Im selben Jahr gab er Kafkas dritten Roman, „Amerika“, heraus und konnte wieder Tantiemen für Diamant aushandeln.

Es ist anzunehmen, dass Diamant 1927 in Düsseldorf auch erstmals die Dichterin, Theaterautorin und Journalistin Berta Lask (1878–1976), ihre künftige Schwiegermutter, traf. Lask, aus dem galizischen Wadowitz/Wadowice gebürtig, hatte sich unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, in dem sie beide Brüder verloren hatte, der russischen Oktoberrevolution, der Novemberrevolution 1918 in Deutschland und nicht zuletzt durch das Elend im Berlin der Nachkriegszeit radikalisiert. Nach frühen literarischen Versuchen veröffentlichte sie Gedichte, Erzählungen und Dramen, die dem Expressionismus und dem literarischen Aktivismus um Kurt Hiller (1885–1972) nahestanden. 1923 trat sie in die KPD ein. 1927 sollte sie am Düsseldorfer Schauspielhaus ihr Drama „Leuna 21“ über die Arbeiterrevolte während des Mitteldeutschen Aufstands im März 1921 inszenieren, dessen Uraufführung kurz zuvor in Berlin verboten worden war und dessen Erstaufführung in Düsseldorf ebenfalls von den Behörden unterbunden wurde. Lask beschuldigte man des Hochverrats, ihre Werke wurden aus den Buchhandlungen entfernt.

Außerdem hatte Diamant, wie sie später in Moskau zu Protokoll gab, mit einer „Sternberg-Gruppe“ Kontakt, also offenbar einer politischen Gruppierung, die sich an den Theorien des aus Breslau stammenden, jüdischen und von Martin Buber beeinflussten Ökonomen, Soziologen und marxistischen Theoretikers Fritz Sternberg (1895–1963) orientierte und die Diamant mit den „ersten Anfängen des Marxismus bekannt“ machte. Von dem ebenfalls am Schauspielhaus engagierten Schauspieler Wolfgang Langhoff (1901–1966), einem Kommunisten, KPD-Mitglied und später Mitglied der Assoziation revolutionärer bildender Künstler (ASSO), wurde sie über den Kommunismus „aufgeklärt“.[88]

Vom Oktober 1927 an spielte Diamant am Schauspielhaus in den Stücken „Der Prinz von Homburg“ und „Der zerbrochene Krug“ von Heinrich von Kleist, ab Januar 1928 in Henrik Ibsens Drama „Peer Gynt“ ein „maurisches Mädchen“. Diamants Lehrer, Greid und Everth, bescheinigten ihr eine „starke, eigenartige Begabung“.[89] Hatte sie sich bei ihrer Ankunft in Düsseldorf als „Dwora Dimant“ registrieren lassen, so änderte sie die Schreibweise im Januar 1928 in „Dymant“. Eine Kommilitonin, die schnell berühmt gewordene Schauspielerin Luise Rainer (1910-2014), kannte sie jedoch als „Doris“: „Sie war eine dunkle Person, immer in Schwarz gekleidet, als ob sie trauere. Ich hatte Kafka nie gelesen, aber sie unterhielt sich ständig mit mir über ihn. […] Es kam mir vor, als sei sie vollkommen von ihm erfüllt. […] Doris war eine Persönlichkeit. Sie war jemand.“[90] Ihre Ausbildung schloss Diamant im Mai 1928, wie sie Brod berichtete, mit einem Vortragsabend ab, an dem sie aus Kafkas Roman „Amerika“ las. Wieder bewarb sie sich an zahlreichen deutschen Bühnen, diesmal mit Empfehlungsschreiben der Hochschule, unter anderem in Berlin und bei der von Madeleine Lüders (1892–1966) geleiteten Hamburgischen Schauspielbühne.[91]

Ein Engagement für die kommende Herbstsaison erhielt sie dann in der Nachbarstadt Neuss an dem 1925 gegründeten Rheinischen Städtebundtheater, dem späteren Rheinischen Landestheater, das sich der Volksbildung verpflichtet fühlte und dem Bühnenvolksbund und den Volksbühnenvereinen nahestand. Als reisendes Schauspieltheater spielte es nicht nur im Stammhaus, sondern in der Saison 1928/29 in 42 angeschlossenen Städten und Gemeinden der Region, woran auch Diamant teilnahm. Sie übernahm gemeinsam mit einer Kollegin als Doppelbesetzung die Hauptrolle der Prinzessin Alma in Frank Wedekinds allegorischem Drama „König Nicolo oder So ist das Leben“, womit sie unter anderem auch im Stadttheater in Gladbeck auftrat. Ende Oktober stand sie als Kammerjungfer Sophie in Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“ in Neuss vor vollem Haus auf der Bühne. Im November wurde sie in zwei Einaktern am selben Abend besetzt: In Hugo von Hofmannsthals „Der Tor und der Tod“ spielte sie eine tote Geliebte des Edelmanns Claudio, in dem aktuellen Drama „Ein Spiel von Tod und Liebe“ (1925) des Literaturnobelpreisträgers Romain Rolland die Rolle der Chloris Soucy. Die Düsseldorfer Nachrichten berichteten von „ergreifendem Spiel“, in das sich auch Dora Dymant „trefflich anfügte“.[92] In dem Lustspiel „Der Glückskandidat“ des Düsseldorfer Dramatikers Hans Müller-Schlösser übernahm sie vermutlich eine Nebenrolle, ebenso wie in anderen Inszenierungen der Spielzeit.[93]

 

[81] Dora Diamant an Elli Hermann (geb. Kafka) vom August/September 1924, Bodleian Libraries; zitiert nach Kathi Diamant 2013 (siehe Literatur), Seite 175. – Das Archive of Franz Kafka der Bodleian Libraries der University of Oxford verwahrt die größte Sammlung von Notizbüchern und Briefen Franz Kafkas sowie Korrespondenz der Familie Kafka, digitales Findbuch auf https://archives.bodleian.ox.ac.uk/repositories/2/resources/12214 (zuletzt aufgerufen am 04.08.2023), darunter auch Briefe von Dora Diamant.

[82] Kathi Diamant 2013 (siehe Literatur), Seite 167–184.

[83] Ebenda, Seite 183, 233.

[84] Gennady Estraikh: Introduction. Yiddish on the Spree, in: Yiddish in Weimar Berlin. At the Crossroads of Diaspora Politics and Culture, herausgegeben von Gennady Estraikh und Mikhail Krutikov (Studies in Yiddish, 8), London/New York 2010, Seite 22.

[85] Heather Valencia: Czeladz, Berlin and Whitechapel. The World of Avrom Nokhem Stencl, in: European Judaism. A Journal for the New Europe, Band 30, Nr. 1, Frühjahr 1997, Seite 4–13; vergleiche auch Heather Valencia: A Yiddish Poet Engages with German Society. A. N. Stencl’s Weimar Period, in: Yiddish in Weimar Berlin 2010 (siehe Anmerkung 84), Seite 54–72.

[86] Kathi Diamant 2013 (siehe Literatur), Seite 185–196.

[87] Schaller 2017 (siehe Literatur), Seite 269.

[88] Lebenslauf von Dora Diamant in der Komintern-Akte in den russischen Archiven; zitiert nach Kathi Diamant 2013 (siehe Literatur), Seite 241.

[89] Briefe im Dumont-Lindemann-Archiv des Theatermuseums Düsseldorf.

[90] Interview Kathi Diamant mit Luise Rainer-Knittel, 2002; zitiert nach Kathi Diamant 2013 (siehe Literatur), Seite 203.

[91] Kathi Diamant 2013 (siehe Literatur), Seite 197–206.

[92] Düsseldorfer Nachrichten vom 4.11.1928; zitiert nach Kathi Diamant 2013 (siehe Literatur), Seite 206.

[93] Schaller 2017 (siehe Literatur), Seite 270–279.

Mediateka
  • Abb. 1: Burg und Synagoge in Będzin, um 1900

    Fotografie, Nationalbibliothek Warschau/Biblioteka Narodowa w Warszawie, Signatur F.4044/IV A
  • Abb. 2: Hebräischklasse in Będzin, um 1916

    Die Hebräischklasse für Frauen und Mädchen in Będzin mit ihrem Lehrer David Maletz, um 1916. Untere Reihe, 1. von rechts: Dora Dymant
  • Abb. 3: Ehem. Jüdisches Volksheim, Berlin

    Ehemaliges Jüdisches Volksheim (1916-1933), Berlin, Dragonerstraße 22, heute Max-Beer-Straße 5 (erbaut 1842)
  • Abb. 4: Franz Kafka, 1923/24

    Franz Kafka, 1923/24. Die angeblich letzte fotografische Aufnahme des Schriftstellers, unbekannter Fotograf
  • Abb. 5: Miquelstraße 8, Berlin-Steglitz

    Erste gemeinsame Wohnung von Dora Diamant und Franz Kafka, Miquelstraße 8, Berlin-Steglitz (Eckhaus links, 3. Stock), im Krieg zerstört, heute Muthesiusstraße 20-22, Postkarte, um 1910
  • Abb. 6: Ehem. Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, Berlin

    Ehemalige Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, Berlin, Artilleriestraße 14. Heute Leo-Baeck-Haus, Tucholskystraße 9, Sitz des Zentralrats der Juden in Deutschland
  • Abb. 7: Grunewaldstraße 13, Berlin-Steglitz

    Zweite gemeinsame Wohnung von Dora Diamant und Franz Kafka, Ehem. Villa Dr. Rethberg, Grunewaldstraße 13, Berlin-Steglitz
  • Abb. 8: Sanatorium Hoffmann, Kierling

    Franz Kafkas Sterbehaus: Ehem. Sanatorium Hoffmann, Kierling bei Klosterneuburg, Bezirk Tulln, Niederösterreich
  • Abb. 9: Dora Diamant, um 1924

    Dora Diamant, um 1924. Anonyme Fotografie
  • Abb. 10: Diamant und A.N. Stencl, 1950

    Dora Diamant und der Lyriker Avrom Nokhem Stencl, England 1950. Anonyme Fotografie
  • Abb. 11: Dora Diamant, um 1925

    Dora Diamant, um 1925. Anonyme Fotografie, rückseitig bezeichnet: „Dora circa 1925“
  • Abb. 12: Schauspielhaus Düsseldorf

    Schauspielhaus Düsseldorf, um 1910. Fotografie: Julius Söhn, Stadtarchiv Düsseldorf, 226_540_001
  • Abb. 13: Dora Diamant, um 1928

    Dora Diamant, um 1928. Porträt- oder Bühnenfoto aus ihrer Zeit an der Hochschule für Bühnenkunst, Düsseldorf; anonyme Fotografie
  • Abb. 14: Lutz Lask, um 1933

    Lutz Lask, um 1933. Anonyme Fotografie
  • Abb. 15: Dora Diamant und ihre Tochter Marianne, 1936

    Dora Diamant und ihre Tochter Marianne, Berlin 1936, kurz vor ihrer Ausreise in die Sowjetunion; anonyme Fotografie
  • Abb. 16: Dora Diamant und ihre Tochter Marianne, 1938

    Dora Diamant und ihre Tochter Marianne, vermutlich Sewastopol 1938, vor ihrer Flucht aus der Sowjetunion; anonyme Fotografie
  • Abb. 17: Plaistow Hospital, London

    Plaistow Hospital, West Ham, London E 13, Dora Diamants Sterbehaus, Postkarte, um 1930
  • Abb. 18: Dora Diamants Grabstätte

    Grabstätte von Dora Diamant, United Synagogue Cemetery, Marlow Road, East Ham, London. Gedenkstein von 1999
  • Eric Gottgetreu, 1974

    Eric Gottgetreu: They knew Kafka, in: The Jerusalem Post Magazine vom 14.6.1974, Seite 16