Louis Lewandowski

Louis Lewandowski
Louis Lewandowski, ca. 1880

Obwohl sich Lewandowskis wirtschaftliche Situation nun zum Guten gewandt hatte und er eine gewisse Vertrauensstellung in der Gemeinde genoss, blieb sein Wunsch, durch eigene Kompositionen zu einer Erneuerung der synagogalen Musik beizutragen, in den nächsten Jahren unerfüllt. Zwar komponierte er zahlreiche Stücke, in denen er die jüdische Tradition mit Elementen der klassischen europäischen auch kirchlichen Musikkultur verband, veröffentlichte diese aber in Ermangelung einer geeigneten Zuhörerschaft nicht.[4]

Die jüdische Gemeinde Berlins berief 1845 den Stettiner Kantor Abraham Jacob Lichtenstein zum neuen Kantor. Lichtenstein, ein hervorragender Kantor, Konzertsänger und Violinist, verfügte über eine fundierte klassische Musikausbildung und war auch musikalischen Arrangements gegenüber aufgeschlossen, die eine Annäherung von jüdischer und christlicher Musiktradition vollzogen. Für Lewandowski war Lichtenstein eine Inspirationsquelle, er brachte ein umfangreiches Repertoire an Formen und Melodien des jüdischen Gebetsgesangs der polnisch-litauischen Tradition nach Berlin. Da Lichtenstein nie Komposition studiert hatte, war es fortan Lewandowskis Aufgabe, Lichtensteins Melodien für den vierstimmigen Synagogenchor zu arrangieren. Lichtensteins Repertoire wurde zur Grundlage für Lewandowskis eigene Kompositionen.[5] Ebenso flossen zahlreiche Gebetsgesänge durchreisender polnisch-jüdischen Kantoren in Lewandowskis Werk ein. Lewandowski besaß die Fähigkeit dieses traditionelle Material behutsam und zugleich meisterlich in eine neue Form zu gießen. Da er selbst in dieser Tradition aufgewachsen war, gelang es ihm den eigentlichen Charakter der Melodien zu erhalten. Er zögerte allerdings weiterhin mit seinen Kompositionen an eine breite Öffentlichkeit zu treten, möglicherweise weil er seine eigene Position in der jüdischen Gemeinde erst weiter ausbauen wollte.

Lewandowskis Beharrlichkeit trug erst in den 1860er Jahren Früchte. Anlässlich seines 25-jährigen Amtsjubiläums als Chordirigent der jüdischen Gemeinde wurde Lewandowski 1865 der Titel eines Königlich Preußischen Musikdirektors verliehen. Noch bedeutender war seine Berufung zum Dirigenten der Neuen Synagoge, die 1866 in der Oranienburger Straße eingeweiht wurde. Diese Position an der größten deutschen Synagoge eröffnete ihm musikalisch völlig neue Möglichkeiten, da in diesem Gotteshaus nach langjährigen Diskussionen, auf die Lewandowski durch eine Expertise Einfluss genommen hatte, eine Orgel eingerichtet worden war. Während Lewandowski in seiner bisherigen Tätigkeit vor allem Kompositionen Sulzers überarbeitete und mit seinem Chor präsentierte, hatte er nun die Möglichkeit, Werke mit Instrumentalbegleitung zur Aufführung zu bringen. Eines seiner wichtigsten Werke, die ihn weit über Berlin hinaus bekannt machten, erschien 1871, das „Kol Rinnah u-T’fillah“ (Stimme des Jubels und des Gebets). Er legte damit die erste Sammlung musikalisch durchgestalteter Gottesdienste für das gesamte jüdische liturgische Jahr vor.  Durch die Anlage der Kompositionen für Kantorsolo und zwei Stimmen, bezog Lewandowski neben dem Kantor und dem Chor auch den Gemeindegesang mit ein, ein Novum im jüdischen Gottesdienst. Lewandowski nahm in dieser Sammlung Rücksicht auf die musikalischen Möglichkeiten, die in den Gemeinden tatsächlich zu Verfügung standen. In seinem Vorwort zu „Kol Rinnah u-T’fillah“ schrieb er: „Ich habe zu Gunsten der leichteren Ausführbarkeit und in Rücksicht, dass in kleineren und nicht selten auch in grösseren Gemeinden ein Mangel an geeigneten Gesangskräften thatsächlich vorhanden ist, auf die unendlichen Mittel der Harmonik und der Modulation verzichtet und mich lediglich auf eine fliessende Melodie und natürliche Stimmführung beschränkt. Selbst diejenigen Piècen, welche ich contrapunktisch behandelt habe, sind sehr bequem und leicht einzuüben.“[6] 

 

[4] Unter diesen Werken befinden sich auch Bearbeitungen hebräischer Gebetsgesänge für Solisten mit Instrumental- oder  Orgelbegleitung. Zu dieser Zeit hatte sich in vielen jüdischen Gemeinden ein erbitterter Streit um die Frage entzündet, ob in den Synagogen Orgeln zugelassen werden sollten. Aus diesem „Orgelstreit“ entwickelte sich ein regelrechter Glaubenskrieg, da die Orthodoxen durch die Zulassung der Orgel eine „Verchristlichung“ des jüdischen Ritus und somit einen Traditions- und Identitätsverlust befürchteten. Siehe auch Frühauf, Kunst.

[5] Dies belegen musikwissenschaftliche Untersuchungen der Manuskripte Lichtensteins und der Werke Lewandowskis. Siehe Nemtsov / Simon, Lewandowski S. 30-31.

[6] Lewandowski, Vorwort Kol Rinnah.

 

Mediathek
  • Louis Lewandowski 1850

    Porträt Louis Lewandowskis in der ständigen Ausstellung des Jüdischen Museums in Berlin, Anonymus, Öl auf Leinwand 1850
  • Sonderbriefmarke der DDR-Post

    Sonderbriefmarke der DDR-Post vom 18.09.1990
  • Kol Rinnah u-T'fillah

    Titelblatt „Kol Rinnah u-T'fillah“, Berlin 1882.
  • Gedenktafel in Września

    Die Gedenktafel für Louis Lewandowski in seiner polnischen Heimatstadt Września.
  • Das Grab von Louis und Helene Lewandowski

    Das Grab von Louis und Helene Lewandowski in der Ehrenreihe des jüdischen Friedhofs in Berlin-Weißensee.
  • Louis Lewandowski - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.