Polnisches Theater Kiel

Polnisches Theater Kiel, August 2018
Polnisches Theater Kiel, August 2018

Schon in der ersten Minute treibt Tadeusz Galia in der Rolle des Gimpel einem Tränen der Rührung in die Augen. Kaum auf seinem Strohlager aufgewacht, steht er mit hohen Filzstiefeln, in geflickter Leinenhose und mit einer aus grober Schafwolle gestrickten Weste vor dem Publikum. Tiefe Scham, öffentlich aus seinem Leben erzählen zu müssen, und schiere Verzweiflung über das eigene verpfuschte Dasein wechseln in seinem Gesicht ab. Man ist vom ersten Moment an gefangen von der Sprache, die den polnischen Akzent nicht verleugnet, der mal sparsamen, mal ausgreifenden Gestik, den wechselnden Regungen des Gemüts: liebevolle Zuneigung und Empörung, Hoffnung und Betrübtheit, Anklage und Vergeben, Selbstbetrug und Erkenntnis, Wehmut und Fügung in das Schicksal, die sich häufig von Halbsatz zu Halbsatz abwechseln oder ins Gegenteil verkehren. Der Monolog, den Gimpel auch während des Essens und beim Rauchen der Pfeife hält, dauert genau eine Stunde und die spürbare Betroffenheit des Publikums schlägt um in begeisterten Applaus. 

Das drei mal zwei Meter große Bühnenbild zeigt die Ecke einer Scheune aus groben Balken, die mit Lehm und Stroh abgedichtet sind. Der Melkschemel mit einem Strohsack, auf dem Gimpel von Zeit zu Zeit Platz nimmt, Wagenrad, Mistgabel, Säge, Axt, Schüssel und Krug beschreiben das Nachtlager beim Bauern, das er bei seiner Wanderung gefunden hat. Das Kostüm ist von Meike Neumann, das Bühnenbild von Galia, die Regie führte Jutta Ziemke. Galia hat den Gimpel, der in der Sommer- und Herbstsaison 2018 zusammen mit zwei anderen Stücken auf dem Spielplan des Polnischen Theaters Kiel steht, 1981 entdeckt und vom Polnischen ins Deutsche übersetzt. Wer die bei Rowohlt erschienene Übersetzung aus dem Amerikanischen kennt, wird keine Unterschiede mehr feststellen. 1985 fand die Erstaufführung im Freilichtmuseum Molfsee bei Kiel statt. 

Seitdem hat Galia den Gimpel so oft gespielt, dass er bei eintausendfünfhundert Vorstellungen aufgehört hat zu zählen. Er spielt ihn bei Gastspielen in anderen Privattheatern in ganz Deutschland, bei Veranstaltungen, in Scheunen, Schulen, Alters- und Pflegeheimen und sogar vor geistig Behinderten, und die anschließenden Diskussionen mit dem Publikum zeigen, dass auch letzteres hervorragend funktioniert. Dennoch stellt sich keine Routine ein. Er sei noch immer noch vor jedem Auftritt fürchterlich aufgeregt, sagt Galia im persönlichen Gespräch vor der Aufführung im Polnischen Theater Kiel, und er frage sich jedesmal, ob es ihm erneut gelingen werde, den Gimpel zum Leben zu erwecken. Jedes Mal entstünden die Emotionen und Bilder neu, gerate die Art der Erzählung und die dadurch erzeugte Stimmung ein wenig anders. Beim vorletzten der sieben Termine jeweils freitags und samstags um 20 Uhr sind nur zwanzig der fünfundvierzig Zuschauerplätze belegt. Erfreulich ist jedoch, dass das Publikum gemischt ist und auch Schüler und Studenten darunter sind. 

 

Mediathek
  • Die Spielstätte

    Die Spielstätte des Polnischen Theaters Kiel in der Düppelstraße 61a
  • Tadeusz Galia

    Künstlerischer Leiter des Polnischen Theaters Kiel
  • Tadeusz Galia als “Gimpel”

    Tadeusz Galia als Gimpel in dem Stück „Gimpel der Narr“ von Isaac Bashevis Singer
  • Tadeusz Galia als “Gimpel”

    Tadeusz Galia als Gimpel in dem Stück „Gimpel der Narr“ von Isaac Bashevis Singer
  • Tadeusz Galia als “Gimpel”

    Tadeusz Galia als Gimpel in dem Stück „Gimpel der Narr“ von Isaac Bashevis Singer
  • Tadeusz Galia als “Gimpel”

    Tadeusz Galia als Gimpel in dem Stück „Gimpel der Narr“ von Isaac Bashevis Singer