Mirosław Jan Stasik (1929–2023). Arzt, Toxikologe und Förderer der Wissenschaft

Mirosław Jan Stasik (1929–2023), 2011
Mirosław Jan Stasik (1929–2023)

Mirosław Jan Stasik wurde am 27. Januar 1929 in Lódź geboren. Er war das einzige Kind von Roman Stasik, einem Büroangestellten in der Fabrikverwaltung, und Marianna Stasik, geb. Jurkiewicz. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er im Alter von 14 Jahren von den deutschen Besatzern zur Arbeit für das Industrieunternehmen Geyer in Lódź gezwungen, wo er zwei Jahre lang als Bote arbeitete. Nach dem Krieg besuchte er ein Jungengymnasium (Gimnazjum Męskie im. prez. Gabriela Narutowicza), an dem er 1948 die Reifeprüfung ablegte. Im Jahr 1953 schloss er sein Medizinstudium an der Medizinischen Akademie Lódź ab und heiratete im Jahr darauf Liliana Stasik (geb. Hansel), welche später Ärztin wurde. 1955 wurde der gemeinsame Sohn Jacek geboren. Von 1956 bis 1962 arbeitete Mirosław Stasik in einer Woiwodschaft-Fachklinik (Wojewódzki Specjalistyczny Szpital im. Mikołaja Pirogowa) in der internistischen Abteilung. Nachdem er sich auf innere Erkrankungen spezialisiert hatte, übernahm er 1962 die Leitung der neu gegründeten Abteilung für akute Vergiftungen am Institut für Arbeitsmedizin (Instytut Medycyny Pracy, IMP) von Prof. J. Nofer in Lódź, wo er Pionierarbeit auf dem Gebiet der Toxikologie und toxikologischen Information in Polen leistete.

 

Emigration 
 

Im Jahr 1969 unternahm Mirosław Stasik mit seiner Frau und seinem Sohn eine Urlaubsreise in die Schweiz. Die Familie beschloss im Ausland zu bleiben und nach Westdeutschland auszuwandern, wo sie ein Jahr lang in Heidelberg und dann in Rüsselsheim lebte. Liliana Stasik war dort als Ärztin in den Opel-Autowerken tätig. 1982 ließ sich die Familie Stasik in Niedernhausen bei Wiesbaden nieder, in einem von Sohn Jacek – damals noch junger Architekt – entworfenen Haus. Nach einem Deutschkurs in Heidelberg trat Mirosław Stasik eine Stelle beim Chemiekonzern Hoechst AG in Frankfurt am Main an, wo er das Zentrum für Toxikologie und epidemiologische Forschung zur Krebsentstehung leitete. Seine Forschung konzentrierte sich auf die Bestimmung des karzinogenen Potenzials bestimmter aromatischer Amine und Desinfektionsmittel. Während seiner Tätigkeit für die Hoechst AG absolvierte Mirosław Stasik ein Praktikum am Institut für Toxikologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und promovierte 1972 an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Darüber hinaus entsandte ihn das Unternehmen auf seinen Wunsch zu einem Studium an die University of Surrey in Guildford (Großbritannien), das er 1978 mit einem Diplom in Toxikologie beendete. In den 1980er Jahren vertrat Stasik die Hoechst AG auf zahlreichen wissenschaftlichen Konferenzen und war auch als Berater und Mitglied in wissenschaftlichen Gremien in Brüssel tätig.

Im Dezember 1987 ging Dr. Stasik aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand und anschließend in Altersrente.

 

Seine wissenschaftliche Arbeit
 

Mirosław Stasik ist Autor von mehr als 50 wissenschaftlichen Veröffentlichungen in polnischen, englischen, deutschen und japanischen Fachzeitschriften sowie von Artikeln in der Enzyklopädie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz (Encyclopaedia of Occupational Health and Safety) der Internationalen Arbeitsorganisation. Seine Forschungsergebnisse präsentierte er auf internationalen Kongressen der Internationalen Kommission für Gesundheit am Arbeitsplatz (International Commission on Occupational Health).

Im Jahr 1968 schrieb Mirosław Stasik im Rahmen der Organisation einer Konferenz der Toxikologischen Informationszentren der Woiwodschaften in Lódź eine Arbeit über die Toxizität von Tetraethylblei beim Menschen. Das Material für diesen Artikel wurde aus den Krankenakten von Patient:innen in der Abteilung für akute Vergiftungen am Institut für Arbeitsmedizin (IMP) in Lódź gewonnen. Dies war eine der weltweit ersten wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema.[1]

Mirosław Stasik wies im Jahr 1987 die krebserregende Wirkung von 4-Chlor-o-toluidin (4-COT) nach, das zu seiner Zeit als Rohstoff für die Herstellung von Farbstoffen und Pigmenten verwendet wurde sowie auch von Chlordimeform.[2] Stasik wies nach, dass dieser beliebte Stoff beim Menschen Harnblasenkrebs verursachen kann. Nach der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse von Dr. Stasik erkannte die Internationale Agentur für Krebsforschung 4-COT als für den Menschen krebserregende Substanz an. Dies war das erste der industriellen monozyklischen aromatischen Amine, das als Auslöser für Harnblasenkrebs erkannt wurde. Die Herstellung und Verwendung dieser Verbindung wurden sowohl in Deutschland als auch international eingestellt.

Nach seiner Pensionierung war Mirosław Stasik in den Jahren 1989 bis 2003 unabhängiger Mitarbeiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, wo er seine Forschungen über aromatische Amine fortsetzte. Darüber hinaus arbeitete er mit dem Lehrstuhl für Histologie und Embryologie an der Medizinischen Universität Lódź zusammen.

 

Seine sozialen Aktivitäten
 

In den 1990er Jahren machte Stasik auch durch sein Engagement für die Vertiefung der deutsch-polnischen Beziehungen von sich reden. Er war aktiv an der Arbeit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Mainz-Wiesbaden und der wissenschaftlichen Jablonowskischen Gesellschaft (Societas Jablonoviana) beteiligt, deren Zweigstelle in Wiesbaden er im Jahr 1997 gründete. Er war Mitorganisator von Vorträgen zur polnischen Kultur, von wissenschaftlichen Konferenzen und Symposien und fungierte als Referent und Moderator. 

Im Jahr 2000 nahm Stasik auf einer wissenschaftlichen Konferenz in Singapur Kontakt zu Prof. Konrad Rydzyński vom Institut für Arbeitsmedizin aus seiner Heimatstadt Lódź auf. Um der schwierigen Situation der polnischen Wissenschaft zu entgegnen, gründeten Stasik und seine Frau Liliana im Jahr 2001 die „Stiftung 4-COT“, die von 2002 bis 2015 jungen Wissenschaftler:innen des IMP in Lódź wissenschaftliche Praktika im Ausland ermöglichte. Stasik hatte das Amt des Vorstandsvorsitzenden der Stiftung inne, Prof. Rydziński war Mitglied des Vorstands. Das Stiftungskapital belief sich auf 130.000 DM. Für diesen Betrag wurden Wertpapiere an der Frankfurter Wertpapierbörse erworben. Mit den zwischen 2002 und 2015 erwirtschafteten Dividenden wurden Forschungspraktika in den Bereichen Medizin, Biochemie, klinische Analytik und Physik an Universitäten in Westeuropa und Nordamerika finanziert. Die Bewerbungsunterlagen der Kandidat:innen wurden von Mirosław Stasik am Stiftungssitz in Niedernhausen geprüft. Die Stipendien (Zuschüsse) beliefen sich auf 2.500 EUR. Dr. Stasik suchte persönlich nach geeigneten Praktikumsplätzen für die Stipendiat:innen und half bei den Formalitäten vor Ort.

Während ihrer Aufenthalte vertieften die Nachwuchswissenschaftler:innen ihr Wissen in den Bereichen Asthma und Berufsallergologie, Strahlenschutz und Molekularbiologie und knüpften internationale berufliche Kontakte im Bereich der Arbeitsmedizin. Die meisten einmonatigen Praktika absolvierten die Stipendiat:innen der „Stiftung 4-COT“ am Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IPA) an der Ruhr-Universität Bochum. Darüber hinaus wurden zweimal Praktika in der Abteilung für Arbeits- und Umweltmedizin (Occupational and Environmental Medicine Department) des National Heart and Lung Institute beim renommierten Imperial College London sowie an der Ludwig-Maximilians-Universität München absolviert. Ein zweimonatiges Praktikum fand auch am Foothills Medical Centre der Universtiy of Calgary in Kanada statt.

Mirosław Jan Stasik starb am 8. August 2023 in Niedernhausen. 

 

Joanna de Vincenz, Januar 2024

 

[1] Stasik, M. J. et al.: Acute tetraethyllead poisoning, in: Archiv für Toxikologie 24, 1969, S. 283–291.

[2] Stasik, M. J.: Carcinomas of the urinary bladder in a 4-chloro-o-toluidine cohort, in: International Archives of Occupational and Environmental Health 60, 1988 (1), S. 21–24; Stasik, M. J.: Harnblasenkrebs durch 4-Chlor-o-toluidin [4-Chloro-o-toluidine-induced bladder cancer], in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 116, 1991 (38), S. 1444–1447.