Thomas Godoj

Thomas Godoj, der DSDS-Sieger von 2008 präsentiert sich heute als arrivierter Rocksänger.
Thomas Godoj und Band im September 2015 beim Drehen des Musikvideos „Vermisst du nicht irgendwas“ in der Ausstellung „Vernetzungen“ von Danuta Karsten (mit Dirk Hupe), Maschinenhalle der ehemaligen Zeche Scherlebeck in Herten.

Dennoch sieht Thomas Godoj seine Zeit bei DSDS und den kommerziellen Musikbetrieb kritisch. In mehreren Interviews, unter anderem bei radioBerlin 88,8 am 16.12.2014 und bei Scenario, der Jugendredaktion der Recklinghäuser Zeitung am 3.9.2015 (beide auf youtube), bewertet er sowohl das einschlägige Fernsehformat als auch die wenigen auf dem Weltmarkt verbliebenen Plattenfirmen als nicht gerade zimperliche kommerzielle Unternehmen, mit denen alle gutes Geld verdienen – nur die Musiker nicht, denen am Ende kaum Geld zum Überleben bleibt. Deshalb hat er sein fünftes Album mit dem Titel „V“, das am 24.10.2014 herauskam, erstmals in Eigenregie mithilfe von Crowdfunding über die Internet-Plattform startnext.com finanziert und unter seinem eigenen Musiklabel Tomzilla herausgebracht. Innerhalb von 24 Stunden hatte er das Finanzierungsziel von 55.000 Euro erreicht und damit den europäischen Crowdfunding-Rekord für Musik gebrochen. Am Ende waren nach neun Wochen über 158.000 Euro von 784 Unterstützern zusammengekommen. Dieser Erfolg ermöglichte es Godoj, auch sein erstes im Studio produziertes Akustikalbum „V’stärker aus“ zu produzieren, auf dem seine Band mit Instrumenten ohne elektrische Verstärker musiziert und das am 25. September 2015 erschien. Für das sechste Album hat das Crowdfunding am 22. Januar 2016 begonnen und bis Ende Februar dieses Jahres rund 140.000 Euro eingespielt. Die Kampagne läuft aber noch bis zum 26. März 2016. Das Crowdfunding und das eigene Label ermöglichen es Godoj, ohne die Vorgaben einer Plattenfirma und die Zwänge der Musikindustrie die Musik zu machen, die er sich vorstellt, und dann mit dem neuen Album wieder auf Tour zu gehen.

Thomas Godoj, mit polnischem Namen Tomasz Jacek Godoj, wurde 1978 in der schlesischen Großstadt Rybnik in Süd-Polen geboren. 1986 zogen die Eltern mit ihm und seiner Schwester nach Deutschland und ließen sich zwei Jahre später in Recklinghausen nieder. Der Ankunft in Deutschland ging ein konspirativ geplanter Urlaub der Eltern an der jugoslawischen Adriaküste voraus. In Belgrad warteten sie einen Monat auf ein Visum. Über das Grenzdurchgangslager Friedland und die Landesstelle Unna-Massen gelangte die Familie zunächst nach Mettmann. Dort lebte sie zwei Jahre in einer kleinen Notwohnung, die sie nach einem Jahr mit einer anderen Aussiedlerfamilie teilen musste, und zog 1988 nach Recklinghausen. Dort, so Thomas Godoj, habe er seinen Platz gefunden, dort habe er seine Freunde. Als Jugendlicher „trieb er sich“, wie er selbst sagt, „in Probenräumen rum“, kaufte sein erstes Schlagzeug und schrieb die ersten Liedtexte. Recklinghausen sei bekannt für seine Rock ’n’ Roll-Szene, auch für Heavy Metal und Hardcore, die ihn in den 1980er- und 90er-Jahren geprägt haben. Mit seiner ersten eigenen Band Cure of Souls gewann er auf einem Newcomer-Festival in Recklinghausen den ersten Preis.

Von 2003 bis 2005 interpretierte er als Leadsänger mit der Nu-Metal-Band Tonk! selbst geschriebene deutschsprachige Texte. Im Anschluss an eine Ausbildung zum Technischen Zeichner gab er sein Studium zum Bauingenieur nach acht Semestern für die Musik auf und stand von 2005 bis 2007 als Sänger mit der Band WiNK auf der Bühne. Im Sommer 2007 bewarb er sich schließlich bei der Casting-Show Deutschland sucht den Superstar und erreichte mit einer rockigen Auswahl an Liedern das Finale. Er sei, sagt er im Interview mit radioBerlin, der Fernsehsendung DSDS durchaus dankbar, dass er sich präsentieren und in der Musikbranche Fuß fassen konnte. Was ihm im Nachhinein nicht gefallen habe, war, wie man hinterher mit den Teilnehmern umgehe und wie dann „das Geschäft tickt“. Dass im kommerziellen Musikbetrieb Bilanzen im Vordergrund stünden, gehöre seiner Ansicht nach überhaupt nicht dorthin, das habe ihn „erschüttert und ernüchtert“. Musik sei für ihn „immer noch ein Gefühl“. Die Einblicke in das Casting-Verfahren und den öffentlichen Umgang der PR-Maschinerie mit seiner Biographie und mit persönlichen Äußerungen empfand er als „absurd“.

Godojs Sieg bei DSDS hatte einen Optionsvertrag mit der Plattenfirma Sony Music Entertainment über drei Alben zur Folge. Seine Debütsingle mit der Rockballade „Love Is You“ erschien am 23. Mai 2008, stand in Deutschland, Österreich und der Schweiz dreizehn Wochen auf Platz 1 der Single-Charts und erhielt nach zwei Wochen bereits die Goldene Schallplatte für 150.000 verkaufte Exemplare. Sein Debütalbum „Plan A!“, das sechs Wochen später erschien, spielte darauf an, dass es für ihn immer nur den Sieg bei DSDS und die professionelle Karriere als Musiker, aber nie einen „Plan B“ gegeben habe. Das Album erreichte in Deutschland Gold- und Platinstatus und wurde 2009 mit dem Echo ausgezeichnet. Die Konzerttour zum Album führte Godoj seit Anfang Dezember 2008 durch sechzehn deutsche Städte. Im Februar 2009 folgten weitere zweiundzwanzig Konzerte. Der Titel des zweiten bei Sony erschienenen Albums „Richtung G“, das im November 2009 erschien, bezieht sich auf die vom Künstler durchgesetzte Mitsprache bei der Produktion. Er traf sich in Berlin mit Songwritern und gab Themen vor. Andere Texte schrieb er selbst. Sie beschreiben meist zwischenmenschliche Geschichten. Das Lied „Winterkinder“, das er schon 2006 zusammen mit Christian Bömkes geschrieben hatte und das in der Version mit der Band WiNK auf youtube bislang 247.419 Aufrufe erreichte, thematisiert den sexuellen Missbrauch von Kindern. Neun Lieder des Albums singt Godoj auf Deutsch, drei auf Englisch. Das einzige polnische Lied „Zwykła Miłość“ (dt. Einfach Liebe) schrieb Godoj in Warschau zusammen mit Robert Gawliński, dem Sänger und Songwriter der polnischen Gruppe Wilki.

2010 entschied er sich, den Optionsvertrag mit Sony für ein drittes Album nicht mehr zu unterschreiben und wechselte zur Plattenfirma SPV in Hannover, die dafür bekannt war, Künstlern kreativen Freiraum zuzugestehen. Der Titel des dort produzierten dritten Studioalbums „So gewollt“ (2011) spielt auf den Rückzug von der international angesiedelten Plattenindustrie an. Die zusammen mit Bömkes geschriebenen Songs sind sozialkritisch oder beziehen sich auf die eigene Vergangenheit und selbst erlebte Liebesbeziehungen. Bei SVP erschienen auch die Folgealben „Live ausm Pott“ (2012) mit Einspielungen der „So gewollt“-Tour und das vierte Studioalbum „Männer sind so“ (2013), über welches das Portal metalglory.de urteilte, Godoj erreiche einen „Härtegrad […] der im Bereich von Bands wie Revolverheld liegt“. Man könne sich über ein „zeitloses, ehrliches Rockalbum auf hohem Niveau freuen“.

„Ich habe mich von Jahr zu Jahr immer weiter von der Musikindustrie entfernt und versucht eigenständig an den Start zu kommen“, sagt Thomas Godoj im Interview mit radioBerlin. Die Trennung auch von der Plattenfirma SVP und die Crowdfunding-Finanzierung des Albums „V“ (was vielleicht nicht nur „Römisch Fünf“, sondern auch „Victory“ bedeutet) waren jedoch nicht die einzigen zu absolvierenden Schritte. Auch die gesamte Produktion, die Studiomusiker, das Produktionsteam, das Drehen der Videos und das Marketing müssen seitdem von Godoj selbst organisiert werden. Gut produzierter Rock ’n’ Roll, „fette Gitarren“ und „Bauchgefühl“ sind wichtig für den Sänger. Das Album, so Godoj, biete aber einen weiten Spannungsbogen, in dem auch ruhigere Stücke mit Akustikgitarren und Streichern eine wichtige Rolle spielen. Inhaltlich gibt es Lieder, die sich direkt an die Fans richten, die bei der Finanzierung des Albums mitgewirkt haben, und solche, die die eigenen Ängste vor dem Ausgang des Unternehmens, „Das finstere Tal“, reflektieren.

Für das zuletzt produzierte Akustik-Album „V’stärker aus“ wurden neben Akustik-Gitarre, Bass, Jazz-Drumset und Percussion-Instrumenten auch Flügel, Cello und Geige eingespielt. Neben Swing finden sich auf dem Album auch Elemente aus Reggae und Ska, Latin, Rockabilly, Country, Rhythm and Blues und sogar gechilltem Hip-Hop. Die Kritik hat die neuen Arrangements honoriert. „Ich höre hier einen Musiker mit einem selten so wahrgenommenen Einfühlungsvermögen“, schreibt Thomas Becker auf dem Portal powermetal.de, „einer Fähigkeit, den Hörer mit intelligenten und nachdenklichen Texten zu den großen und kleinen Themen, die uns alle täglich bewegen, zur erreichen und zum richtigen Zeitpunkt sogar tief zu berühren.“ Die Tour zum Album startete am 9. Oktober 2015 in der Kölner Kulturkirche, führte unter anderem über die Christuskirche Bochum, den Stage Club in Hamburg, die Jim+Jimmi Erlebnisarena in Hildesheim, das Stadttheater in Glauchau, das Leipziger Kulturzentrum Moritzbastei und zuletzt das Kulturzentrum Lindenpark in Potsdam und umfasste bis zum 19. Februar 2016 dreiundzwanzig Konzerte und vor allem Orte, die nach ihrer besonderen Atmosphäre ausgesucht worden waren.

Thomas Godoj führt ein bodenständiges Leben und hat mit Jennifer Opitz zwei Kinder. Liest man die Facebook-Einträge aus den letzten Jahren, so sind seine Fans offensichtlich genauso so freundlich und bodenständig wie er selbst. „Hoi, du bisch de beste sänger, chasch mich als freund annehmen, ich heisse varnan“, schreibt ein aus Sri Lanka stammender Fan in Zürcher Dialekt. Exklusiv für seine Facebook-Fans hat Godoj 2015 ein Video zu seinem Lied „Vermisst du nicht irgendwas“ aus dem Album „V’stärker aus“ produziert, das ausschließlich auf der Plattform des sozialen Netzwerks zu sehen ist. Gedreht wurde es in der Ausstellung „Vernetzungen“ der ebenfalls aus Polen stammenden und in Recklinghausen lebenden Bildhauerin Danuta Karsten (zusammen mit Dirk Hupe), der auf Porta Polonica eine umfangreiche Online-Ausstellung gewidmet ist. Godoj war über das Internet auf die Installation der Künstlerin in der Maschinenhalle der ehemaligen Zeche Scherlebeck in Herten aufmerksam geworden. Beide Künstler waren sich sympathisch. Das so entstandene Musikvideo besticht durch die gemeinsame Atmosphäre der beim Drehen vollkommen gleichrangig behandelten spindelförmigen „Lichtfallen“ von Danuta Karsten und der Performance von Thomas Godoj und seiner Band. Es wurde auf Facebook bislang 148.922-mal aufgerufen.

Godoj tritt seit jeher neben seinen Konzerten und Tourneen auch anderweitig öffentlich in Erscheinung. 2008 trat er in der Essener Grugahalle auf dem polnischen Festival Koncert Gwiazd (Konzert der Stars) zusammen mit „Legenden“ der polnischen Musikszene wie den Rockbands Kombii, Oddział Zamknięty und de Mono auf. Dort verlieh ihm das in Dortmund erscheinende polnischsprachige Magazin Samo Życie den Preis „Journalia 2008“ für seinen Beitrag zur deutsch-polnischen Völkerverständigung. 2009 erhielt er den deutschen Musikpreis Echo in der Kategorie „Bester Newcomer National“ und nahm zusammen mit der deutschen U21-Fußball-Nationalmannschaft das Lied „Helden gesucht“ als Song für die Europameisterschaft auf. 2010 trat er zusammen mit der Neuen Philharmonie Westfalen im Ruhrfestspielhaus in Recklinghausen anlässlich eines Benefizkonzertes zugunsten der Kindernothilfe auf, deren Botschafter er seitdem ist. 2011 drehte er über den Dächern Berlins das Musikvideo zu dem Lied „Dächer einer ganzen Stadt“, 2013 zusammen mit dem Youtuber Alexander Böhm das Video zu „Männer sind so“. Die Veröffentlichung des gleichnamigen Studioalbums führte zur Zusammenarbeit mit dem Hamburger Carlsen-Verlag, der das von Godoj verfasste humoristische Buch „Männer sind so“ herausbrachte. In den Rollen verschiedener Männertypen beantwortet er einhundertzwanzig Fragen, die sich Frauen im Zusammenhang mit Männern schon immer gestellt haben. 2016 steht die Kampagne für das neue Album im Mittelpunkt, bei dem, wie Godoj auf dem Werbevideo sagt, „Crowdrock“ durch „Krautfunding“ (und nicht etwa umgekehrt) finanziert wird.

 

Axel Feuß, April 2016


Quellen:

Zur Biographie von Thomas Godoj ebenso wie zu allen Alben gibt es umfangreiche sorgfältig recherchierte und belegte Wikipedia-Artikel. Neben Interviews auf youtube finden sich im weltweiten Netz die Webseite und die Facebook-Seite des Künstlers sowie zahlreiche Fanseiten und Internetforen. Die Presseabteilung von Thomas Godoj stellte Texte und Fotos zur Verfügung. 

Mediathek
  • Mit Danuta Karsten

    Thomas Godoj und die Bildhauerin Danuta Karsten in deren Ausstellung „Vernetzungen“ (mit Dirk Hupe) in der Maschinenhalle der ehemaligen Zeche Scherlebeck in Herten.
  • Video-Dreh, 2015

    In der Ausstellung der Bildhauerin Danuta Karsten.
  • Video-Dreh, 2015

    In der Ausstellung der Bildhauerin Danuta Karsten.
  • Tourplakat 2015

    Konzerttour zum Album „V’stärker aus“.
  • Plakatmotiv 2016

    V’stärker aus“-Tour 2016.
  • Profilbild 2016

    Facebook-Profilbild Februar 2016.
  • Thomas Godoj - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.