Waplitzer Patrioten. Stanisław Sierakowski und seine Frau, Helena.

Helena und Stanisław Sierakowski, Hochzeitsfoto, 1910
Helena und Stanisław Sierakowski, Hochzeitsfoto, 1910

Ein wichtiges erhaltenes Zeitdokument ist ein 1910 entstandenes Hochzeitsfoto von Helena, geborene Lubomirska, zusammen mit Stanisław Sierakowski, dem Eigentümer des in der Weichselniederung in Westpreußen (Powiśle) gelegenen Gutes Groß Waplitz im Kreis Stuhm (Sztum). Es zeigt die Braut in einem wunderschönen weißen Kleid mit Schleppe und Schleier mit dem Bräutigam in traditioneller Adelstracht, einschließlich eines links getragenen Säbels. Wir sehen ein Paar, das die Kultur und den Lebenstill von Gutsbesitzern verkörpert, einer Welt, die sich damals bereits im Niedergang befand. In vier Jahren sollte der Große Krieg beginnen, der schließlich mit der Abschaffung des deutschen Kaiserreiches endete. Indessen fiel Groß Waplitz nicht an das unabhängig gewordene Polen, obwohl Sierakowski selbst viel dafür unternahm. In den dreißiger Jahren ging das gesamte Waplitzer Areal in deutsche Hände über. Die Eheleute Sierakowski wurden bald nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als bedeutende Nationalaktivisten verhaftet und kurz darauf ermordet.

Die Geschichte der Familie Sierakowski stellt ein beispielhaftes Kapitel in der Historie des polnischen Adels der letzten dreihundert Jahre dar. Die Familie war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den Besitz des Gutes Groß Waplitz gekommen. Nach den Teilungen Polens fiel die Gegend an Preußen. Die Sierakowskis arbeiteten sehr beharrlich daran, das Gut zu halten sowie die nationale Identität und das kulturelle Erbe zu bewahren. Dies gelang durch die stetige ökonomische Entwicklung sowie dank Sierakowskis gesellschaftlicher und kultureller Aktivitäten. Die Nachfahren legten großen Wert auf die Stärkung des wirtschaftlichen Ertrags des Gutes und entwickelten den Ort auch zu einem wichtigen Zentrum der Kultur. Im Waplitzer Schloss wurden jahrzehntelang Werke europäischer Malerei gesammelt. Zudem wurden ein bedeutender Buchbestand und ein Archiv der Familie aufgebaut, in dem sich unter anderem die wertvollen Briefe Zygmunt Krasińskis befanden.

Stanisław Sierakowski wurde am 9. März 1881 in Posen (Poznań) als eines von drei Kindern der Eheleute Adam und Maria Potocki geboren. Stanisław interessierte sich seit dem Besuch der Mittelschule für Politik. Für seine Mitwirkung in der geheimen Organisation Towarzystwo Filomatów (Gesellschaft der Philomaten) am Katholischen Gymnasium in Culm (Chełmno) wurde er kurz verhaftet und schließlich der Schule verwiesen. Das Abitur legte er in Krakau (Kraków) ab, um anschließend in Berlin und Brüssel Recht und Ökonomie zu studieren. Außer der Politik interessierte er sich auch für die Wissenschaft. Vor dem Ersten Weltkrieg wurde er Mitglied der Towarzystwo Naukowe (Wissenschaftlichen Gesellschaft) in Thorn (Toruń). 1909 übertrug ihm sein Vater Adam den Familienbesitz in Groß Waplitz sowie die Güter Osiek und Kleinkrettig (Kretki Małe) bei Strasburg (Brodnica) im Kreis Rypin.

1910 heiratete Stanisław Helena Lubomirska aus Przeworsk (Galizien), die Tochter von Andrzej Lubomirski, einem Abgeordneten im Galizischen Landtag und im Wiener Reichstag. Die junge Frau Sierakowska zeigte sich trotz ihrer geringen Körpergröße (für ihr Hochzeitsfoto stieg sie auf einen Hocker) als eine entschiedene, charismatische Persönlichkeit.

(…) Sie wurde von den Leuten geachtet – erinnerte sich nach Jahren die Enkelin Izabella Sierakowska-Tomaszewska. Sie hatte Prinzipien, von denen sie nie abwich. Sie pflegte zu sagen: „Man muss handeln, wie es sich gehört“, was mein Vater später von ihr übernahm. Mit Ausnahme des befreundeten Arztes wurden Deutsche in ihrem Haus nur im Büro empfangen, niemals in den Salons. Menschen, „deren Papiere nicht in Ordnung waren“, das heißt, die ohne eine kirchliche Trauung zusammenlebten, wurden nicht ins Haus geladen. 

 

Helena hat ihren Ehemann aktiv unterstützt, in dem sie im Ermland und in der Weichselniederung wohltätige Aufgaben im Bildungswesen übernahm. Dabei galt ihr besonderes Augenmerk dem Polnischunterricht für Kinder und Jugendliche. Sie zählte zu den Gründern und Mitgliedern zahlreicher Organisationen, unter anderem des Towarzystwo Kobiet Chrześcijańskich pod wezwaniem świętej Kingi (Verein Christlicher Frauen unter dem Patronat der Heiligen Kunigunde) und des Polsko-Katolickie Towarzystwo Szkolne na Powiślu (Polnisch-Katholischer Schulverein für die Weichselniederung in Westpreußen).

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs setzte sich Stanisław Sierakowski für die Angliederung dieser Gebiete an Polen und trat in diesem Zusammenhang in verschiedenen Funktionen auf. Um die Jahreswende 1918/19 war er Vorsitzender des Polnischen Volksrats (Rada Ludowa) in Stuhm sowie Mitglied im Unterkommissariat des Obersten Volksrats für die Regionen Königlich Preußen, Ermland und Masuren mit Sitz in Danzig (Gdańsk). Im Dezember 1918 wurde er in den Provinziallandtag in Posen delegiert. Alle diese Aufgaben erfüllte er vorbildlich und erlangte dadurch das Vertrauen der Regierung in Warschau, die ihm in den Folgejahren weitere Aufgaben übertrug. 1919 leitete er im Auftrag der polnischen Regierung die Volksabstimmung in Ermland und Masuren. 1920 und 1921 war er Generalkonsul der Republik Polen in Marienwerder (Kwidzyn). 1919 nahm er als einer von drei polnischen Experten an der Versailler Konferenz zur Vorbereitung der Volksabstimmung in Ermland, Masuren und in der Weichselniederung teil. In dieser Zeit empfing er in Waplitz bedeutende Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland, unter anderem den Apostolischen Nuntius in Warschau, Achille Ratti, die Schriftsteller Jan Kasprowicz und Stefan Żeromski sowie den Komponisten Feliks Nowowiejski. 1922 empfingen Stanisław und Helena Sierakowski den Orden „Polonia Restituta“ für ihr Engagement in der Volksabstimmungskampagne.

Das für Polen ungünstige Abstimmungsergebnis bedeutete, dass Waplitz bei Deutschland verbleiben sollte. Die Familie Sierakowski erhielt zwar (im Zuge eines Landtauschs) wie auch andere Gutsbesitzer in der Weichselniederung die Möglichkeit, nach Polen auszureisen, tat es aber nicht. Im Gegenteil, sie entwickelte noch mehr Elan in den Bereichen Kultur und Bildung und setzte sich für die Verbesserung der Lage der Polen in Deutschland ein. Helena Sierakowska gehörte zu den Mitbegründern des Bundes der Polen in Ostpreußen (Związek Polaków w Prusach Wschodnich), der am 30. November 1920 in Allenstein (Olsztyn) ins Leben gerufen wurde. Die neue Organisation, die bald rund 3.000 Mitglieder hatte (davon rund 1.800 aus der Weichselniederung), verfolgte unter anderem diese Ziele:

Schutz der Interessen der polnischen Minderheit, Bemühungen zur Steigerung des Wohlstands des polnischen Volkes (…) insbesondere wird der Bund der Polen die Durchsetzung aller berechtigten Forderungen der polnischen Bevölkerung einfordern (…). Der Bund der Polen ist Vertreter aller Polen, ohne Unterscheidung der gesellschaftlichen Klassen.

Schließlich wurde der Ruf polnischer Kreise in Deutschland nach einer Dachorganisation immer lauter. In diesem Zusammenhang wurden ab Mitte 1921 Gespräche mit diversen Organisationen in Deutschland geführt. Am 5. Juni dieses Jahres fand eine Konferenz der Vertreter dieser Organisationen statt, bei der die Polen in Ostpreußen von Jan Baczewski und Stanisław Sierakowski vertreten wurden. Nach diesem Treffen wuchs das Ansehen von Sierakowski weiter, so dass ihn die Teilnehmer damit betrauten, mit weiteren Organisationen zu sprechen. Diese Unterredungen dauerten einige Monate und endeten mit wichtigen Vereinbarungen. Daraufhin wurde der BdPiD anlässlich einer Versammlung am 27. August 1922 in Berlin gegründet: Eine zentrale Vereinigung polnischer Organisationen, die in ganz Deutschland ansässig waren. Erster Vorsitzender des Bundes wurde Stanisław Sierakowski, der dieses Amt bis 1927 innehatte.

 

Sierakowski genoss großes Vertrauen der polnischen Gemeinschaft, so dass ihm weitere Funktionen übertragen wurden. 1923 wurde er als Abgeordneter in den Preußischen Landtag gewählt, dem er bis Dezember 1924 angehörte, wobei er mehrfach das Wort ergriff. Im Februar 1923 reichte er zusammen mit dem polnischen Abgeordneten Jan Baczewski eine förmliche Anfrage zum polnischen Schulwesen in Deutschland ein. Ab 1923 gehörte er dem Präsidium des Związek Polskich Organizacji i Towarzystw Szkolnych (Verband der polnischen Organisationen und Schulvereine) an.

Die Gründung der zentralen Organisation der Polen in Deutschland war ein bedeutsamer Akt, der die in ganz Deutschland ansässigen polnischen Organisationen miteinander verband und gemeinsame politische Willensbekundungen gegenüber dem deutschen Staat erlaubte. Da die Verantwortlichen des BdPiD von Anfang an Verbündete unter den Vertretern anderer Minderheiten suchten, kam es auf Initiative von Stanisław Sierakowski und Jan Baczewski im Sommer 1923 in Groß Waplitz zu einem Treffen mit Vertreten dänischer und sorbischer Organisationen. In Folge dieser Gespräche fand am 26. Januar 1924 in Berlin eine Tagung statt, bei der eine neue Institution ins Leben gerufen wurde. Dabei handelte es sich um den Verband der nationalen Minderheiten in Deutschland, dem deutsche Staatsbürger polnischer, dänischer, sorbischer, friesischer und tschechischer Herkunft angehörten. Die ebenfalls zu dieser Tagung eingeladenen Litauer erschienen nicht, sondern traten dem Verband erst 1927 bei. Stanisław Sierakowski wurde der erste Vorsitzende dieses Verbands. Nach seinem Verzicht auf dieses Amt in späteren Jahren wurde der Däne Ernst Christiansen 1934 zu seinem Nachfolger gewählt. Presseorgan des Verbands war die Monatszeitschrift „Kulturwille“ (Zeitschrift für Minderheitenkultur und -politik), die 1925 in „Kulturwehr“ umbenannt wurde. Chefredakteur dieser Verbandszeitschrift wurde der aus der Oberlausitz stammende Journalist, Schriftsteller und Politiker Jan Skala. Eigentümer und Herausgeber war der Verbandsvorsitzende Stanisław Sierakowski. Die Zeitschrift wurde rasch zu einem wichtigen Forum für Mitteilungen und für den Erfahrungsaustausch der nationalen Minderheiten in Deutschland.

Sierakowski versuchte auch, die Position der Polen in Deutschland auf der internationalen Bühne zu stärken. So vertrat er die polnische Minderheit ab 1924 im Völkerbund. Ein Jahr später wurde er aufgrund seiner Funktionen zur Teilnahme an den Vorbereitungen eines Kongresses der nationalen Minderheiten in Europa eingeladen. Bei dieser Gelegenheit protestierte er unter anderem gegen Forderungen, die Bestimmungen des Versailler Vertrages zu revidieren, und bemühte sich darum, die Vertreter anderer in Deutschland lebender Minderheiten bzw. nationaler Gruppierungen, etwa die Sorben, Friesen und Litauer, ebenfalls zu dieser Konferenz zu bitten.

Stanisław Sierakowski hat seine gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten aus privaten Mitteln finanziert. Dabei wurden er und seine Frau Helena wegen ihres Engagements für die Polen in Deutschland sehr aufmerksam von den deutschen Behörden verfolgt. Diesbezüglich erschien in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre eine deutsch-polnische Publikation mit einer umfassenden Auswahl deutscher Dokumente, die den Status und die Arbeit der Minderheiten in den Jahren von 1920 bis 1939 belegen. Das Wirken der Eheleute Sierakowski nimmt dort gebührenden Raum ein, zumal es nicht nur auf den Argwohn der deutschen Behörden, sondern auch der Presse stieß. 

 

Die zweite Hälfte der zwanziger Jahre leitete den Verfall des Gutes Groß Waplitz ein. Einer der Gründe für den Niedergang war, dass es schlecht verwaltet wurde. Stanisław Sierakowski wurde gezwungen, Kredite aufzunehmen, die er später nicht zurückzahlen konnte. 1932 wurde er von der Berliner Zentral-Boden-Kreditbank aufgefordert, die Verbindlichkeiten in Höhe von fast einer Million Mark umgehend zurückzuführen. Daraufhin wurde Sierakowskis Landbesitz letztlich von der polnischen Regierung, die ihm das Geld damals lieh, vor der Zwangsversteigerung gerettet. Dennoch war dies der Anfang vom Ende. Die Deutschen setzten eine kommissarische Verwaltung ein und Sierakowski durfte nur einen Teil der Ländereien behalten, die er schließlich verpachtete. Er selbst ließ sich auf Gut Osiek bei Strasburg nieder, das auf der polnischen Seite lag.

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der Einnahme Pommerellens durch die Deutschen musste die Familie Sierakowski Osiek verlassen und zog zu ihrer Tochter und ihrem Mann Tadeusz Gniazdowski. Am 20. Oktober wurde Sierakowski von der Gestapo verhaftet und im Gefängnis in Rypin festgesetzt. Bald darauf ereilte seine Frau, ihre Tochter und ihr Schwiegersohn dasselbe Schicksal. Ende Oktober, Anfang November 1939 wurden sie erschossen. Der Ort ihrer Bestattung ist unbekannt. Die Epitaphe der Eheleute Sierakowski befinden sich in der Kirche in Osiek sowie in der ehemaligen Kapelle der Familiengruft in der Kirche von Waplitz. Das gesamte Vermögen der Sierakowskis ging in den Besitz des Reiches über. Die Kunstsammlung, darunter alle Werke der europäischen Malerei, und der Buchbestand wurden in alle Winde zerstreut.

Jan Baczewski, ein enger Mitarbeiter von Stanisław Sierakowski und auch sein Freund, hat sich nach Jahren in diesen Worten an ihn erinnert:

(…) Von den gemeinen Polen wurde er geschätzt und geehrt. Er kannte alle Sorgen der Angehörigen der polnischen Gemeinschaft, war verständnisvoll, gerecht und bei Bedarf auch sehr resolut.

 

Krzysztof Ruchniewicz, Februar 2017

 

Quellen (Auswahl):

Polen und Deutsche zwischen den Krieg. Minderheitenstatus und „Volkstumskampf“ im Grenzgebiet. Amtliche Berichterstattung aus beiden Ländern 1920-1939, hrsg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und der Generaldirektion der Polnischen Staatsarchive von Rudolf Jaworski und Marian Wojciechowski, 1. Halbband, München 1997.

Magdalena Grzebałkowska, Należy postępować, jak należy, [ein Gespräch mit Izabella Sierakowska-Tomaszewska, in:] „Gazeta Wyborcza“ vom 18.02.2008. Digitale Ausgabe unter http://www.wysokieobcasy.pl/wysokie-obcasy/1,96856,4924397.html (Zugriff am: 27.11.2016).

Janusz Hochleitner und Piotr Szwedowski (Hg.), Ród Sierakowskich na ziemi malborskiej, Malbork o.J.

Tadeusz Oracki, Sierakowski Stanisław, Polski Słownik Biograficzny [Polnisches biographisches Wörterbuch], Bd. XXXVII, Heft 2/153, S. 303-305. Digitale Ausgabe unter http://www.ipsb.nina.gov.pl/a/biografia/stanislaw-sierakowski (Zugriff am: 27.11.2016).

 

Mediathek
  • Helena und Stanisław Sierakowski

    Helena und Stanisław Sierakowski, Hochzeitsfoto, 1910
  • Groß Waplitz, Schulfoto der Geschwister Sierakowski

    Groß Waplitz, Schulfoto der Geschwister Sierakowski, ca. 1893
  • Groß Waplitz (Waplewo), Frontansicht, 1920-er Jahre

    Groß Waplitz (Waplewo), Frontansicht, 1920-er Jahre
  • Groß Waplitz (Waplewo), Gartenansicht

    Groß Waplitz (Waplewo), Gartenansicht, 1920-er Jahre
  • Groß Waplitz (Waplewo), 1920-er Jahre

    Groß Waplitz (Waplewo), 1920-er Jahre
  • Helena Sierakowska mit den Kindern, 1926

    Helena Sierakowska mit den Kindern, 1926
  • Sierakowskis verlassen Waplewo, 1929

    Sierakowskis verlassen Waplewo, 1929
  • Waplewo 2017

    Waplewo 2017 - Panoramainnenansicht
  • Waplewo 2017

    Waplewo 2017 - Innenansicht
  • Waplewo 2017

    Waplewo 2017 - Panoramainnenansicht
  • Waplewo 2017

    Waplewo 2017 - Innenansicht
  • Waplewo 2017

    Waplewo 2017 - Innenansicht
  • Waplewo 2017

    Waplewo 2017 - Innenansicht
  • Waplewo 2017

    Waplewo 2017 - Innenansicht
  • Stanisław und Helena Sierakowski - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.