Margarete Stokowski

Margarete Stokowski
Margarete Stokowski

Der Lebenslauf von Margarete Stokowski beginnt wie bei vielen anderen deutschen Migrantinnen. Geboren 1986 in Zabrze [in Oberschlesien, Anm. d. Übers.], zieht sie im Alter von kaum zwei Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland und wächst in Neukölln, dem multikulturellstem Stadtteil Berlins, auf, wo sie ihre ersten Beobachtungen im öffentlichen Raum macht. Bald, wenn auch als Kind noch unbewusst, entdeckt sie, dass es Gendermuster gibt, denen man zu folgen oder sie gezielt abzulehnen hat. „Die Kategorien »Mädchen« oder »Junge« sind von Anfang an da. Es gibt nicht den einen Moment, in dem man im großen Theater der Geschlechterrollen auf die Bühne geschickt wird.“[1]

Stokowski ist immer schon von starken Frauen fasziniert. Die Lektüre der Biografie von Maria Skłodowska-Curie bestärkt sie in ihrer Absicht, Physik zu studieren, wofür sie übrigens die besten Voraussetzungen besitzt. Gleichwohl entscheidet sie sich schließlich für das Studium der Philosophie und der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2014 beendet sie die akademische Ausbildung mit einer Arbeit über die französische Schriftstellerin, Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir. In einem ihrer Interviews gesteht Stokowski, dass die Notwendigkeit, sich als Frau in der männerdominierten Wissenschaftsdisziplin einen Weg bahnen zu müssen, sie davon abgehalten habe, Physik zu studieren. „Entweder man muss stark genug sein, um Klischees und Widerstände einfach zu ignorieren, oder man muss aktiv gegen sie ankämpfen – beides kostet Kraft.“ [2]

Seit 2009 ist Margarete Stokowski als Autorin feministischer Kolumnen und Essays in den Medien präsent, etwa in der „taz“, im „Missy Magazine“, auf „Zeit Online“ und seit 2015 als feste Mitarbeiterin der „Spiegel Online“-Redaktion. Ihre eigentliche Popularität sowie das Interesse der Kritik an ihrem Schaffen verdankt sie jedoch dem Debüt mit ihrem Roman „Untenrum frei“, der 2016 als gebundene Ausgabe im Rowohlt Verlag erschien und in dessen Vorwort die Autorin beteuert, dieses Buch sei kein Manifest, auch wenn es viele Meinungen enthalte, die so klingen könnten. Stokowski definiert klar, was sie unter dem Begriff Feminismus versteht, indem sie schreibt: „Für mich bedeutet Feminismus, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität und ihrem Körper dieselben Rechte und Freiheiten haben sollen.“[3] Indem die Autorin ihre feministischen Forderungen formuliert, kündigt sie einen schwierigen, schmerzhaften Kampf für die Gleichberechtigung an. Zugleich gesteht sie ein, dass sie sich schwer damit tue, sich selbst als Feministin zu bezeichnen: „In den allermeisten Fällen gruselt es mich, mich einer Gruppe anzuschließen, und wenn ich eine ideale Gesellschaft zeichnen müsste, wäre das vor allem eine, in der ich meine Ruhe habe.“[4] Nach Meinung der Autorin kann es jedoch von Vorteil sein, wenn viele den Feminismus als wertendes Etikett wahrnehmen: „Labelfindung lenkt ab. Wir haben besseres zu tun. Feminismus ist nichts, was durch eine bessere PR ein attraktiveres Produkt wird und dann von allen einfach lässig nebenbei geschluckt wird. Es ist ein Kampf um fundamentale Gerechtigkeit.“[5]

Margarete Stokowski spricht in ihren Büchern klassische Themen wie Macht, Sex, Gleichberechtigung und die gendergerechte Sprache an, die mit dem Feminismus in Verbindung zu bringen sind. Sie weist auf Mängel in der Sexualerziehung hin und auf Schamgefühle, die nicht nur heranwachsende Mädchen begleiten. Sie beschreibt die Angst vor fehlender Akzeptanz und die Versuche, sich um jeden Preis in den gängigen Schönheitsidealen des Mainstreams und in den vorgegebenen gesellschaftlichen Rollen wiederzufinden. Stokowski legt die Mechanismen offen, die uns als Gesellschaft blockieren, und sie zeigt, dass sie überwunden werden können, obwohl ihre Existenz oft erst einmal festgestellt werden muss. Stokowski erkennt die wirkliche Gefahr im Kampf für Gleichberechtigung in der Gewöhnung an vorgefundene Zustände sowie in der Akzeptanz von Rollen und Unterschieden, die angeblich seit jeher da sind und damit als unveränderbar gelten. Zugleich gibt sie aber auch zu, dass die vorgegebenen gesellschaftlichen Rollen vieles vereinfachen können. In der Abkehr von den tradierten Mustern liegt nach Meinung der Autorin eine Chance und sie eröffnet ein Experiment, dessen Auswirkungen nicht vorhersehbar sind.

 

[1] M. Stokowski, Untenrum frei, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018, Seite 26f.

[2] Interview: Niemand würde Powermann sagen. In: Zeit Online, vom 25.10.2016, https://www.zeit.de/karriere/2016-10/margarete-stokowski-gleichberechtigung-selbstbestimmung-untenrum-frei-interview

[3] Untenrum frei, Seite 13.

[4] Ebenda, Seite 13f.

[5] Ebenda, Seite 14f.

Mit ihrer unverblümten Sprache, ihren kompromisslosen Meinungen und den kontroversen Themen wurde Stokowski schnell zu einer bekannten Feministin. Ihre Bücher stehen wochenlang auf den obersten Plätzen der Bestsellerlisten und sie wird gern zu Interviews und als Kommentatorin aktueller gesellschaftlicher Debatten eingeladen, wobei sie sich nicht nur darauf beschränkt, feministische Positionen zu besetzen. Phänomene wie Rassismus und Rechtspopulismus, aber auch der Klimawandel sind ihr ebenso wichtig. Einige Kritiker vergleichen Stokowski mit Alice Schwarzer, der Vorreiterin des deutschen Feminismus. Tatsächlich aber ist die Beziehung der beiden Frauen ziemlich unterkühlt: Stokowski wirft Schwarzer offen Rassismus und Islamophobie vor, indem sie die Aussagen der Nestorin der Frauenbewegung über den politisierten Islam und seinen Einfluss auf Deutschland und Europa in diesem Sinne kommentierte. Alice Schwarzer wiederum, pikiert über ihre von Stokowski wohl als Satire gemeinte Überzeichnung einer gebrechlichen Alten, die sich auf den Sesseln in Fernsehsendungen wundgesessen habe, hielt der jungen Feministin Frauenhass vor.

In ihren Beiträgen widmet sich Stokowski jedoch nicht nur eindeutig feministischen Themen, sondern auch solchen, die Probleme sozialer Ungleichheiten in anderen Lebensbereichen betreffen. So setzt sie sich in einem ihrer Texte mit dem Mythos der erwünschten Zweisprachigkeit auseinander und stellt dort fest, dass es in Deutschland „gute“ und „schlechte“ Sprachen gebe. In diesem Beitrag drücken sich die eigenen schmerzlichen Erfahrungen der Autorin aus: Als Kind dachte ich lange Zeit, bilingual aufzuwachsen heißt, dass man außer Deutsch auch noch Französisch oder Englisch zu Hause spricht und nicht das, was die ‚Polacken‘ und ‚Kanaken‘ tun. ‚Bilingual‘ klang wie etwas Wertvolles, während ich als Kind das Gefühl hatte, dass meine Muttersprache etwas ist, was ich besser loswerden sollte.[6]

Das zweite Buch von Margarete Stokowski, „Die letzten Tage des Patriarchats“, erschien im Oktober 2018 und enthält 75 Kolumnen und Essays aus den Jahren 2011 bis 2018, die vornehmlich für die „taz“ und „Spiegel Online“ geschrieben wurden. Diese Auswahl spiegelt deutlich die Entwicklung der Feministin wider. Die Texte decken die ganze Bandbreite von der ersten sexuellen Erfahrung bis zur Teilnahme an gesellschaftlichen Debatten wie „Regretting Motherhood“ (Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen) und die #MeToo-Bewegung ab. Im letzten Fall polemisiert Stokowski mit der These, dass einige Kommentatoren im Unrecht seien, wenn sie meinten, dass der in der Filmbranche ausgelöste Diskurs über den sexuellen Missbrauch von Frauen lediglich ein Luxusproblem privilegierter Schichten sei. Sie konstatiert: „Auch eine gebildete weiße Frau darf sich beschweren.“[7]

Im Vorwort zu diesem Buch verweist Margarete Stokowski auf einen weiteren Aspekt unserer Zeit: Hassreden. Mit diesen Auswüchsen wird die Autorin sowohl im Internet als auch im Alltag konfrontiert. „Es gibt Leser, die ihre Mutmaßungen zu psychiatrischen Diagnosen aufschreiben oder sie schicken Beleidigungen oder Drohungen, teilweise von ihren beruflichen Mailadressen, als Ingenieur, Anwalt oder Hochschuldozent. (…) Zynischerweise kommen die meisten Gewaltdrohungen nach Texten über Gewalt (dicht gefolgt von Migrationsthemen).“[8]

Margarete Stokowski besitzt jetzt schon einen hohen Wiedererkennungswert und sie blickt auf viele Erfolge zurück, doch sie scheint sich nichtsdestotrotz immer noch weiterzuentwickeln. Der Feministin gelingt es, in ihren Texten bewusst zu provozieren und in einer sehr direkten Art und Weise schwierige Fragen zu stellen. Indem die Autorin ihre Beobachtungen mit einer großen Dosis Ironie würzt, beweist sie, dass sich Humor, Wut und gesellschaftlich relevante Themen nicht ausschließen müssen.

 

Monika Stefanek, April 2019

 

[6] M. Stokowski, Gute Sprachen, schlechte Sprachen. In: Spiegel Online, vom 27.11.2018, https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/deutsch-tuerkisch-polnisch-gute-sprachen-schlechte-sprachen-kolumne-a-1240626.html

[7] M. Stokowski, Uns geht’s nicht gut. In: Spiegel Online, vom 14.08.2018, https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/aufschrei-metoo-metwo-kritik-an-twitter-debatten-a-1223055.html

[8] M. Stokowski, Die letzten Tage des Patriarchats, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018, Seite 16f und 19.