Kosmopolen in Bochum: Europäische Kultur mit polnischem Akzent aus dem Ruhrgebiet

Ad van Rijsewijk und Emanuela Danielewicz in Duisburg, 2012
Ad van Rijsewijk und Emanuela Danielewicz in Duisburg, 2012

Was ist ein Kosmopole?

Die Frage, was ein Kosmopole eigentlich ist, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die Definitionen werden mindestens so zahlreich sein, wie der Verein Mitglieder gehabt hat, und darüber hinaus noch ein paar mehr. Dahinter verbirgt sich nämlich mehr als ein Typ Mensch, es ist ein Konzept, ein Geisteszustand. Erfunden hat den Begriff vielleicht schon 1960 der Autor und Essayist Andrzej Bobkowski (1913–2013). In jenem Jahr veröffentlichte er in der polnischen Pariser Exilzeitschrift „Kultura“ die Biografie eines großen Kosmopolen („Biografia wielkiego Kosmopolaka“). Gemeint war damit Joseph Conrad, der als Pole im Russischen Kaiserreich geboren wurde, aber schließlich, in Großbritannien lebend und Afrika und Südostasien bereisend, zu einem der wichtigsten Autoren in englischer Sprache des 19. Jahrhunderts wurde. (Sein „Herz der Finsternis“ wurde frei als „Apocalypse Now“ verfilmt.)

Das Wort Kosmopole setzt sich zusammen aus kosmopolita und Polak, also Kosmopolit und Pole. Meinen tut Bobkowski damit allerdings nicht bloß einen reisenden, weltgewandten Menschen polnischer Abstammung. Eher scheint er damit ein anderes Wort für Exilpolen gefunden zu haben: Joseph Conrad „war natürlich kein Engländer. Aber ganz polnisch war er auch nicht. Er war ein Musterbeispiel eines Kosmopolen und sollte als ein solches Musterbeispiel wahrgenommen werden.“[2] Und zwar eins, über das die Polen noch beschämt sprechen, dabei gebe es so viele Kosmopolen, darunter auch einige wenige herausragende. Bobkowski nennt in dem Kontext etwa Frédéric Chopin.[3]

Der Kosmopole ist nach Bobkowski also ein Pole im Exil, einer, der nicht mehr ganz Pole ist, aber auch kein richtiger Engländer, Amerikaner, Deutscher, „Ruhri“ etc. Aber wegen der unterschiedlichen Assoziationen, die er weckt, und der Vielfalt der Polonia, also der polnischen Gemeinschaft im Ausland, machte der Begriff Schule. Kosmopolen können beides sein. Sie können Menschen sein, die Widersprüchliches in sich vereinen. Sie können beides und noch mehr sein. 2016 veröffentlichte Artur Becker seinen Essayband „Kosmopolen: Auf der Suche nach einem europäischen Zuhause“. Für ihn ist Kosmopolen „ein Raum der Entspannung, Inspiration und vor allem ein Raum des Rückzugs“[4]. Nach der Veröffentlichung ist auch er Mitglied der Bochumer Initiative geworden, die er aber schon vorher kannte.

Die Initiative selbst sah den undefinierbaren Facettenreichtum des Begriffes ein. Einerseits spielen sie die Bedeutung ihres Namens herunter: „Ein Name ist jedoch und im besten Sinne nur ein Öffner, ein Schlüsselbegriff. Er weckt schnell Interesse und sollte, so unser Wille, nicht zu ernst genommen werden. Was Kosmopolen ist, war oder sein wird, hängt nach wie vor von unser aller Ideen ab und deren tatsächliche Art und Weise der Umsetzung, der Zielsetzung. Es kommt nun mal auf die Inhalte an.“[5] Andererseits steht diese Erklärung – paradoxerweise – am Ende einer langen Herleitung des Namens auf einer eigenen Unterseite ihrer Webseite.

Dass der Verein diesen Namen gewählt hat, geht auf ein Gespräch zwischen Emanuela Danielewicz und dem Schauspieler Joachim Król zurück. Als die Fotografin ihn einmal porträtierte, habe er den Namen vorgeschlagen, erinnert sich Danielewicz. „Wir nehmen den Namen, wenn du dabei bist“, hat sie gesagt. Mit Króls „Selbstverständlich“ war es dann besiegelt – auch wenn der Schauspieler mit den schlesischen Wurzeln später in einem Interview mit dem Tagesspiegel zitiert wurde mit den Worten: „Erzähl bloß nicht, wo du herkommst.“[6]

 

[2] Andrzej Bobkowski, Biografia wielkiego Kosmopolaka, in: Kultura (1960), 19–32, hier 32.

[3] Ebd.

[4] Kosmopolen e. V., Geschichte des Namens: Kosmopolak, zu deutsch Kosmopole, in: Kosmopolen.org, Stand: 01.03.2021, http://kosmopolen.org/kosmopolen-bochum/geschichte-des-namens/.

[5] Ebd.

[6] Markus Ehrenberg, Erzähl’ bloß nicht, wo du herkommst, in: Tagesspiegel.de, Stand: 09.05.2011, https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/medien/interview-erzaehl-bloss….

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